Karl Kußmaul begann 1957 seine
wissenschaftliche Tätigkeit in der MPA unter Professor Karl Wellinger, bei dem er 1963
zum Dr.-Ing. promovierte.
In den Jahren 1957 bis 1969 lag der Schwerpunkt der Arbeiten Kußmauls sowohl auf dem
Gebiet der Entwicklung und Qualifizierung von Werkstoffen, Komponenten und Systemen als
auch auf dem Gebiet der Schadensanalyse. Als Projektleiter und später als Leiter der
Außenstelle der MPA in Düsseldorf war Kußmaul beteiligt an der Verwirklichung
zahlreicher Großprojekte im Anlagenbau sowie am Bau von Hochdruckfernleitungen für Öl,
Gas und Wasser in Europa. Begonnen hat dies mit der Bodenseefernwasserleitung für die
Trinkwasserversorgung der Region Stuttgart, die mit ihrer seit 40 Jahren bewährten
Anlagentechnik mit Seepumpwerk sowie Filterwerk und Pumpspeicherwerk Sipplinger Berg
vielerorts als Jahrhundertbauwerk bezeichnet wird.
Diese Aufgaben führten Kußmaul über 12 Jahre hinweg in die Werke und
Forschungsanstalten namhafter Unternehmen der eisen- und metallverarbeitenden Industrie
bis hin nach Japan. So konnte er Erfahrungen sammeln und Verbindungen knüpfen, die für
die weitere Entwicklung der MPA von großer Bedeutung waren.
Ab 1969 übernahm Kußmaul, zum Stellvertretenden Direktor berufen, zunehmend die Aufgaben
im wissenschaftlich-technischen Management der MPA; 1976 erfolgte der Ruf als Ordinarius
auf den Lehrstuhl für Materialprüfung, Werkstoffkunde und Festigkeitslehre, verbunden
mit der Leitung der MPA als Nachfolger der Professoren Carl von Bach, Richard Baumann,
Otto Graf, Erich Siebel und Karl Wellinger. Besonders hervorzuheben sind die Verdienste
Kußmauls um Forschung und Entwicklung im Bereich der Energietechnik und Verkehrstechnik.
Durch die Schaffung zum Teil weltweit einzigartiger Prüfmöglichkeiten in der MPA
Stuttgart, aber auch in drei externen Prüffeldern, sowie durch die von ihm entwickelten
und durchgesetzten Konzeptionen in den Bereichen Werkstoff, Verarbeitung, Festigkeit und
Qualitätssicherung, unter spezieller Berücksichtigung der Entwicklung und Einführung
neuer Schweißtechnologien, hat er wesentlich zu dem in Deutschland heute gegebenen hohen
Entwicklungsstand von konventionellen und nuklearen Energieerzeugungsanlagen beigetragen.
Zielstrebig hat er eine Systematik entwickelt, die es erlaubt, katastrophales Versagen
auszuschließen und den Sicherheitsabstand zu quantifizieren. In der Zusammenarbeit
zwischen Staat, Wirtschaft, Forschungs- und Universitätseinrichtungen hat Kußmaul sowohl
in der Bundesrepublik Deutschland als auch im internationalen Umfeld neue Wege aufgezeigt
und erfolgreich beschritten. Das von ihm 1970 definierte und über Jahre gestaltete
Großforschungsvorhaben Komponentensicherheit wurde bereits in der Planungsphase als
Verbundprojekt mit internationalem Charakter ausgelegt. Dieses Projekt hat Modellcharakter
für andere staatlich geförderte Vorhaben.
Die Vielzahl der Aktivitäten und der Mangel an Computerkapazität brachte Kußmaul dazu,
zusammen mit der Universitätsleitung die Voraussetzungen für das Rechenzentrum der
Universität Stuttgart (RUS) zu schaffen, aus dem das erste
Bundeshöchstleistungsrechenzentrum in Deutschland hervorgegangen ist. Seine Ideen und
seine Überzeugungskraft strahlten auch in andere Bereiche aus. Beispiele dafür sind die
Qualifikation des Boosters (Feststoffmotors) der Ariane V-Rakete und das Tragwerk des
Centre Georges Pompidou in Paris. Das formgebende Schweißen beziehungsweise Formschmelzen
bedeutete für ihn die Möglichkeit, komplexe Bauteile maßzuschneidern, wie ihn im
übrigen alle Fügeverfahren von der Mikroschweißung bis zur Engspaltschweißung großer
Querschnitte interessierten. In jüngster Zeit konnte er seine Erfahrungen in das
Verbundvorhaben Entwicklung und Optimierung von Fertigungstechnologien für
Aluminium-Leichtbaustrukturen der Partner Land Baden-Württemberg/Audi AG als
Sprecher des Lenkungskreises einbringen. Sowohl bei Schäden großen Umfangs als auch bei
Einführung neuer Technologien ist Kußmaul unter anderem nach Großbritannien, Italien,
Japan und in die USA gerufen worden. Seit 1976 war er Sachverständiger bei den deutschen
Verwaltungsgerichten für Kernenergiefragen sowie beim Bundesgerichtshof für
Patentfragen. Das erarbeitete Wissen ist heute Allgemeingut und wird in weiten Bereichen
der Technik angewandt.
Im Zuge einer Neustrukturierung und Erweiterung der Aufgabenbereiche der MPA Stuttgart
vergrößerte sich unter der Leitung Kußmauls die Zahl der Mitarbeiter von anfangs etwa
100 auf zeitweise mehr als 300 Wissenschaftler, Techniker und Verwaltungsangestellte;
heute sind es etwa 280, die zu 90 Prozent aus Drittmitteln finanziert sind. Die
Aufstockung des Personals war mit der Durchführung umfangreicher Baumaßnahmen für
modernste Prüfeinrichtungen verbunden. Es gelang Kußmaul, Mitarbeiter und Partner zu
begeistern und die MPA Stuttgart zu einem Zentrum auf dem Gebiet der Prüfung großer
Strukturen zu machen, das weltweit hohes Ansehen genießt. In den letzten Jahren förderte
er die mikromechanische Untersuchung und Modellierung von metallischen und
metallkeramischen Werkstoffen sowie Verbundwerkstoffen mit besonderem Nachdruck.
Die wissenschaftliche Leistung Kußmauls spiegelt sich in mehr als 400 Veröffentlichungen
im In- und Ausland wider. Seit 1975 hat in Stuttgart jährlich neben zahlreichen anderen
internationalen Tagungen das internationale MPA-Seminar stattgefunden, zu dem führende
Fachleute zusammenkommen, um über Werkstoffe, Komponenten und Anlagen vorzutragen und zu
diskutieren.
Es war Kußmaul stets ein besonders großes Anliegen, die eigenen Arbeiten in die
internationalen Aktivitäten einzubinden. Dies äußerte sich vor allem in der Errichtung
des mit Spendenmitteln aus der Industrie finanzierten Datenverarbeitungs- und
Technologietransferzentrums der MPA Stuttgart im Jahr 1984, das Gastwissenschaftlern aus
aller Welt die Möglichkeit bot, ihre Forschungen für einen begrenzten Zeitraum in
Stuttgart durchzuführen. So sind hier ständig etwa zehn Gastwissenschaftler, vor allem
aus dem asiatischen Raum und Staaten der ehemaligen Sowjetunion, tätig. Andererseits hat
Kußmaul immer wieder meist einjährige Auslandsaufenthalte seiner Mitarbeiter in den USA,
Frankreich und Japan gefördert und Studenten zu Studienaufenthalten an ausländischen
Universitäten ermuntert.
Neben seinen Verpflichtungen als Hochschullehrer war Kußmaul wiederholt Dekan der
Fakultät Energietechnik, arbeitete für zahlreiche nationale und internationale
technisch-wissenschaftliche Kommissionen und Vereinigungen.
Im Rahmen der internationalen Kooperationsvereinbarungen der Bundesrepublik Deutschland
wurde Kußmaul auf seinem Fachgebiet zum Kontaktexperten für die Länder USA, Japan,
Frankreich, Brasilien, VR China sowie die seinerzeitigen Länder DDR und UdSSR ernannt.
Über viele Jahre hinweg war sein Rat in Gremien bedeutender in- und ausländischer
Industriekonzerne gefragt. Im Zuge des zusammenwachsenden Europa hat er in enger
Zusammenarbeit mit dem Institute for Advanced Materials (IAM) der Europäischen Kommission
die europäischen Netzwerke mitbegründet und ist Mitglied der Senior Advisory Group
for all the European Networks on Structural Integrity Matters of the European
Commission. Seine Vorstellungen mit Blick auf die Kraftwerkstechnik und die
Wasserstoffwirtschaft in der Verkehrstechnik finden im neuen Rahmenprogramm der
Europäischen Kommission ihren Niederschlag.
Hohe Ehrungen wurden Kußmaul zuteil. Hervorzuheben sind das Verdienstkreuz 1. Klasse des
Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland in Anerkennung seiner wissenschaftlichen
Leistungen bei der Erforschung und Entwicklung sicherer konventioneller und nuklearer
Kraftwerke sowie seine Ehrenprofessur der Nanjing University of Chemical Technology in der
VR China für seine Verdienste auf dem Gebiet der Werkstofforschung und
Druckbehältertechnologie. In diesem Jahr wurden ihm die Erich-Siebel-Gedenkmünze des
Deutschen Verbandes für Materialforschung und -prüfung (DVM) und der Europäischen
Forschungsgesellschaft für Blechverarbeitung (EFB) sowie die Guilleaume-Gedenkmünze der
Technischen Vereinigung der Großkraftwerksbetreiber (VGB) zuerkannt.
Aus Anlaß der Emeritierung von Karl Kußmaul fand am 7. Oktober 1998 an der Uni Stuttgart
ein wissenschaftliches Kolloquium mit Ansprachen und Fachbeiträgen aus Deutschland,
Frankreich, USA und Japan statt.
Klaus Richter
KONTAKT
Staatliche Materialprüfungsanstalt (MPA) Universität Stuttgart, Pfaffenwaldring 32,
70569 Stuttgart. Tel.: 0711-685 25 80, Fax: 0711-685 2635, e-mail: mpa@mpa.uni-stuttgart.de.
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