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Stuttgarter unikurier Nr. 89 April 2002
75 Jahre Institut für Fördertechnik und Logistik:
Von der Seilforschung zu e-Commerce-Lösungen
 

Wenn es um die Sicherheit von Seilen geht, schauen Wissenschaftler und Praktiker aus der ganzen Welt auf die Uni Stuttgart. Dafür steht das Institut für Fördertechnik und Logistik (IFT), das im Februar sein 75-jähriges Bestehen feierte. Was läge näher, als das Jubiläum mit einem Festakt und einem „Internationalen Stuttgarter Seiltag“ zu begehen.

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Ob Professoren oder Wirtschaftsbosse - die Liste der Prominenten beim Festakt im Vortragssaal der Universitätsbibliothek war lang. Auf die vielfältigen Aufgaben des IFT verwies Institutsleiter Professor Karl-Heinz Wehking die rund 200 Gäste aus aller Welt. Schließlich berge das IFT nicht nur eine der bedeutendsten Seilprüfstellen der Welt, sondern erforsche heute in vier gleichberechtigten Abteilungen „alles, was mit Fördern, Lagern und Handhaben zu tun hat“. Und das sind neben Seilen auch Logistikfragen oder Lösungen für die Abfallwirtschaft.
„Unsere Stadt profitiert erheblich vom Know-how des Instituts“, stellte Professor Hartwig Beiche, Technischer Referent der Stadt Stuttgart, fest, der die Grüße der Landeshauptstadt überbrachte. Bei vielen Bauwerken in Stuttgart, so der Löwentorbrücke oder dem Seilturm auf dem Killesberg, stehe das IFT beratend zur Seite. „Wir sind stolz auf ihr erfolgreiches Institut.“
Der Wissenstransfer zwischen Institut und Industrie sei ein wichtiger Baustein für das Wirtschaftswachstum im Großraum Stuttgart, ergänzte Staatssekretär Dr. Horst Mehrländer vom Wirtschaftsministerium: „Mit Ihrer Innovationskraft fördern Sie den Wohlstand in der Region.“
Prorektor Professor Christoph Hubig, Dekan Rainer Gadow und viele andere lobten die vorbildliche Aufstellung des Instituts, „in dem Interdisziplinarität eine Tradition ist und als behutsame Annäherung zwischen Wissenschaft und Praxis verstanden wird“.
Die Seilforschung ist bis heute das Kernstück des 1927 durch den Stuttgarter Ingenieur Richard Woernle als Institut für Hebezeuge, Transportanlagen und Baumaschinen gegründeten Zentrums an der Holzgartenstraße. Jeder Dritte der 63 Institutsmitarbeiter forscht auf diesem Feld. Weltweit begutachtet das Institut 120 Seilbahnanlagen. In Baden-Württemberg läuft keine Gondel ohne den Segen der Prüfer vom IFT. 

Stuttgarts oberster Seilprüfer: IFT-Chef Karl-Heinz Wehking.
Seilforschung ist bis heute das Kernstück des Instituts für 
Fördertechnik und Logistik. (Foto: Eppler)

Modernste Prüfstände
Da sich die komplizierten Drehungen, mit denen Seile gewickelt sind, in keine Formel packen lassen, ist man bei Sicherheitstests auf Langzeitexperimente angewiesen. 
Daher verfügt die Abteilung Seiltechnik und Seilanwendung auf 860 Quadratmetern Fläche über mehr als zwanzig modernste Prüfstände, an denen alles simuliert werden kann, was Seile reißen lässt. „So eine Ausstattung finden sie nur in Stuttgart“, bemerkte Abteilungsleiter Dr. Wolfram Vogel stolz. Einige dieser Maschinen können prüfen, wie viele Biegewechsel ein Drahtseil aushält. Aus den Versuchsdaten lässt sich mit Hilfe einer Regressionsformel errechnen, wie lange ein Seil noch eingesetzt werden kann, bis es „stirbt“. Diese auf Professor Klaus Feyrer zurückgehende „Stuttgarter Formel“ ist heute weltweit Standard.
An einem anderen Experimentierstand läuft das armdicke Tragseil einer Bergbahn gemächlich über gigantische Drehscheiben. Vier Kameras filmen das Seil Millimeter für Millimeter ab. Die Aufnahmen werden auf einen Computerbildschirm überspielt, wo man beobachten kann, ob einzelne Drähte beschädigt sind. Für diese visuelle Prüfung, die der Gesetzgeber für Bergbahnen einmal monatlich vorschreibt, müssen die Kontrolleure derzeit noch in zugigen Bergbahnstationen auf Gondeldächer steigen und die kilometerlangen Seile persönlich in Augenschein nehmen. Ein monotoner Job, bei dem Bruchstellen manchmal übersehen werden. Wenn die am IFT entwickelte Technik serienreif ist, könne man die Seile bequem vom Büro aus prüfen und die Ergebnisse mit den gespeicherten Daten früherer Untersuchungen vergleichen, beschrieb Institutsleiter Wehking das Forschungsziel. „Dann müssen wir nur noch jemanden in die Berge schicken, wenn es Probleme gibt.“
Für die Entwicklung zukunftsweisender Fasern seien die Versuchsdaten unentbehrlich, erklärte Wehking am Beispiel eines feinen Aramidseiles. Es ist in einer streng geheimen Technik konstruiert. Vier Jahre wurde gemeinsam mit einem Schweitzer Aufzugbauer an dem Seil gefeilt, das 40 mal haltbarer ist als ein herkömmliches Drahtseil gleicher Stärke.
Doch wenn auch am Internationalen Seiltag tatsächlich noch einige Hanfseile an die Tradition des Hauses erinnerten: neue Aufgabenbereiche wie die Erforschung vollautomatischer Transportanlagen oder moderner Hochregalsysteme gewinnen an Bedeutung. Traditionelle und junge Abteilungen arbeiten dabei eng zusammen. „Bei der Untersuchung der Hebeseile im Schiffshebewerk Lüneburg“, verdeutlichte Wehking, „haben wir Probleme an den Seilscheiben festgestellt. Jetzt machen wir dort eine ingenieurmäßige Prüfung der Gesamtanlage.“
Solche Komplettlösungen sind in der Industrie gefragt. Um die Beschaffung von Drittmitteln muss Professor Wehking sich denn auch keine Sorgen machen. Eine Million Euro jährlich fließen aus der Industrie in das Institut. 

Wie von Geisterhand
Sie finanzierten auch die mit Technik vom Feinsten gespickte Versuchshalle für Fördertechnische Maschinen. Wie von Geisterhand gezogen rattern dort ferngesteuerte Trägerboxen über eine Elektrohängebahn. Ein Teleskoparm setzt die Ladung auf ein führerloses Transportfahrzeug um, das die Boxen schließlich auf einer Induktionsschleife zu einem entfernt gelegenen Lager fährt. „In Zukunft“, so Wehkings Prognose, „wird der Roboter die Waren auch noch in das Regal einsortieren.“
Die enge Zusammenarbeit mit den Firmen zahlt sich auch bei der Suche nach zukünftigen Forschungsfeldern aus, für die das Institut eigens eine Stabsstelle „Neue Konzepte und Ideen“ eingerichtet hat. Ein solcher Zukunftsmarkt ist der Einkauf im Internet. „Bei Electronic Commerce denkt jeder erst einmal an Computer“, erklärte der Leiter der Stabsstelle, Klaus-Peter Rahn, „die eigentliche Herausforderung besteht aber darin, wie die bestellte Ware zum Kunden kommt.“ Paketdienstleister müssten ihre Arbeitsabläufe gründlich rationalisieren, wenn sie der zu erwartenden Päckchenflut Herr werden wollen. Daher führte das IFT gemeinsam mit DaimlerChrysler und dem Transportunternehmen Hermes einen Pilotversuch durch, bei dem Pakete direkt vom Förderband elektronisch sortiert und in ein transportables Regalmodul gestapelt werden. Der Fahrer kann das komplette Regal in den Transporter schieben und spart vor Fahrtbeginn bis zu einer Stunde Ladezeit. Dieser Produktivitätsgewinn, so Rahn, mache den etwas größeren Platzbedarf für die maßgeschneiderten Module mehr als wett.
Auch der normale Bürger profitiert von der Arbeit des IFT. So entwickelte die Abteilung „Förder-, Lager- und Handhabungstechnik für die Entsorgung“ unter der Leitung von Torsten Mallée nicht nur einen speziell auf die Belange der Industrieentsorgungslogistik abgestimmten, flexibel beförderbaren Müllbehälter, sondern berät auch kommunale Abfallentsorger. Mitarbeiter dieses Bereiches durchleuchteten zum Beispiel die Sammlung von Bio- und Restmüll bei der Stuttgarter Müllabfuhr. Oft helfen schon Kleinigkeiten wie eine veränderte Schüttungstechnik an den Fahrzeugen, um die Arbeitszeit der Müllmänner besser zu nutzen und teure Extratouren zu vermeiden, erzählte Mallée. „Wenn die Stadt Stuttgart die Ratschläge beherzigt, kann sich der Gebührenzahler freuen.“ 

Andrea Mayer-Grenu

KONTAKT
Institut für Fördertechnik und Logistik, Holzgartenstr. 15B, 70174 Stuttgart, Tel. 0711/121-3770, -3771, Fax 0711/121-3769, e-mail: wehking@ift.uni-stuttgart.de, vogel@ift.uni-stuttgart.de

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart

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