Gebautes Wohlbefinden

Forschung Erleben

Bauphysiker forschen an Büroräumen, die Gesundheit und Leistung fördern.

Ein Kollege will telefonieren, zwei weitere unterhalten sich und der vierte soll konzentriert eine Aufgabe lösen: eine alltägliche Herausforderung in Tausenden von Büros. Wie aber lassen sich neben dem Schall auch Raum-bedingungen wie Temperatur und Licht so regeln, dass sich Beschäftigte wohlfühlen, gesund bleiben und leistungsfähig arbeiten können? Dieser Frage gehen die Forscher am Institut für Akustik und Bauphysik (IABP) der Uni-versität Stuttgart nach. Sie wollen Empfehlungen geben, wie der Büroraum der Zukunft aussehen kann.

Des einen Freud, des anderen Leid: „Geselligkeit“ im Großraumbüro verhilft manch einem zu mehr Kreativität, manch anderer verliert die Konzentration.

Als der Mensch anfing, Behausungen zu errichten, wollte er sich gegen die Witterung schützen. Und natürlich auch für sich und die Seinen mehr Komfort und Wohlbefinden schaffen. „Seit etwa 100 Jahren setzt sich in baulichen Regelungen der Gedanke durch, dass Gebäude mehr sind als ein Witterungsschutz“, erklärt Prof. Philip Leistner. Er leitet das IABP und das mit ihm verbundene Fraunhofer-Institut für Bauphysik (IBP). Mit den ersten Baunormen rückte in der Mitte des 20. Jahrhunderts ein Mindestschutzniveau in den Fokus. Die Erkenntnis, dass die Bedingungen in Räumen, in denen sich Menschen aufhalten, eine zentrale Bedeutung für deren Gesundheit, Wohlbefinden und Leistungsfähigkeit haben, wird jedoch nur teilweise anerkannt. Wobei Leistungsfähigkeit nicht in dem Sinn zu ver-stehen ist, „dass man zum Beispiel in Büros das letzte Quäntchen Leistung aus den Beschäftigten herauspresst“, betont der Wissenschaftler. Sie sollenvielmehr Bedingungen vorfinden, unter denen sie ihre Tätigkeit motiviert, konzentriert und effizient erledigen können. Um nach den täglichen acht Stunden Arbeit ihre Freizeit zu genießen „und bei möglichst guter Gesundheit aus dem Arbeitsleben auszuscheiden“, so Leistner. 

Nicht nur Ansichtssache

Bislang werden Gebäude als starr oder stationär gesehen, obwohl sich die Bedingungen innen wie außen ständig ändern. An einem Zukunftsthema forschen daher die Bauphysiker gemeinsam mit zahlreichen anderen Instituten der Uni Stuttgart innerhalb des Sonderforschungsbereichs 1244 „Adaptive Hüllen und Strukturen für die gebaute Umwelt von morgen“. „Wir gehen der Frage nach: Wie müsste eine Fassade auf wechselnde Bedingungen bei Wärme, Wind oder Geräuschen reagieren, damit innen immer ein behagliches Klima herrscht“, berichtet Leistner. Die Deutsche Forschungs-gemeinschaft fördert den SFB 1244 noch bis 2021 mit zunächst zehn Millionen Euro.

Welche Faktoren sind entscheidend für unsere Leistungsfähigkeit? Dafür befragen die Bauphysiker die Nutzer der Räume und messen die bauphysikalischen Parameter.

Zentraler Ansatzpunkt des Teams am IABP ist aber eine „Kommunikationsaufgabe“, wie Leistner es nennt: „Wenn wir einen Raum gestalten wollen, können wir die Menschen nicht fragen: ‚Wie viel Grad Celsius bevorzugen Sie?‘ oder: ‚Wie viel Dezibel Lautstärke oder welchen CO2-Anteil in der Luft möchten Sie?‘. Mit genau diesen Werten müssen Ingenieure aber planen und gestalten.“ Daher befragen die Bauphysiker die Nutzer der Räume und messen gleichzeitig die bauphysikalischen Parameter – sowohl in Laborversuchen als auch direkt in der gewohnten Arbeitsumgebung. Ein Labortest kann beispielsweise so aussehen, dass die Probanden bestimmte Aufgaben erfüllen müssen und währenddessen die Raumtemperatur schrittweise verändert wird. Die Bauphysiker untersuchen so, bei welchen Bedingungen die Aufgaben am besten erledigt und die Behaglichkeit am höchsten bewertet werden. Damit können sie den Planern genau die Werte liefern, die diese benötigen. „Interessanterweise stehen die einzelnen Raumparameter in Wechselbeziehungen zueinander“, berichtet der Institutsleiter: Bei unterschiedlichen Temperaturen empfinden die Probanden auch ein konstantes Geräusch unterschiedlich laut.

Das ideale Büro hängt von der Tätigkeit ab

Ob und wie behaglich und gesundheitsfördernd ein Büro ist, hängt davon ab, was darin geschieht: „Wir fragen immer zuerst nach dem Tätigkeitsprofil und der Arbeitsorganisation. Diese Informationen verbinden wir mit den bauphysikalischen Anforderungen und entwickeln die Arbeitsraum­-Bedingungen, die anzustreben sind“, so Leistner.

Seit etwa 100 Jahren setzt sich in baulichen Regelungen der Gedanke durch, dass Gebäude mehr sind als ein Witterungsschutz.

Prof. Philip Leistner, Universität Stuttgart

Kein Luxus, sondern bares Geld wert

Mit ihren Ergebnissen und Empfehlungen treffen die Bauphysiker in den Unternehmen meist auf zwei Positionen. Da ist eineseits der Betriebsrat, den vor allem interessiert, wie sich bauphysikalische Mängel als physische und psychische Belastungen auswirken. Dem gegenüber steht die Geschäftsführung eines Unternehmens, die von den Bauphysikern wissen will, wie die Produktivität oder gar der Umsatz steigen könnten, wenn sie in Klimatisierung, Akustik oder regelbares Licht investiert. Welches Potenzial darin steckt, verdeutlicht Leistner wie folgt: Nimmt man je Mitarbeiter Personalkosten von 60.000 Euro im Jahr an, verursacht schon ein Leistungsverlust von zwei Prozent, der sich durch bauphysikalische Maßnahmen verhindern ließe, 1.200 Euro Kosten – pro Kopf und Jahr! „Obwohl sich die Investition in gute Bauphysik lohnt, werden diese Kostenpositionen viel zu oft dem Sparzwang geopfert“, beklagt Leistner. Und verweist auf den Sommer 2018: Er habe wieder verdeutlicht, dass hitzebedingte Leistungseinbußen oder Abwesenheit deutlich mehr kosten als eine Klimaanlage. „Immer noch müssen sehr viele Menschen mit einer Umgebung zurechtkommen, die Gesundheit, Komfort und Leistungsfähigkeit beeinträchtigt, statt sie zu fördern“, so Leistner. „Unsere Forschungsergebnisse klingen manchmal nach Empfehlungen für Luxusräume. Sie richten sich aber auf die alltäglichen 90 Prozent unserer Lebenszeit, die wir in Räumen verbringen."

Daniel Völpel

Energieeffizienz mit Wohlfühlfaktor
Mit möglichst geringem Energieeinsatz ein behagliches Raumklima schaffen – das ist auch ein zentrales Anliegen des neuen Instituts für Gebäudeenergetik, Thermotechnik und Energiespeicherung (IGTE) der Universität Stuttgart, das am 1. Juli durch die Zusammenführung der Institute für Gebäudeenergetik (IGE), für Thermodynamik und Wärmetechnik (ITW) mit seinem Forschungsund Testzentrum für Solaranlagen (TZS) sowie für Energiespeicherung (IES) entstanden ist. Forschungsziele sind unter anderem die Verbesserung der energetischen Standards von Gebäuden und Anlagentechnik als Beitrag zur Senkung des Energieverbrauchs, der Emissionen sowie zur Erhöhung der Energieeffizienz. Ebenso wollen die rund 60 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die energetische Funktion und die Raumluftqualität des Gesamtsystems „Gebäude“ bzw. „Quartier“ optimieren und zu Fortschritten in der Einbindung von erneuerbaren Energien, insbesondere der Solarthermie, in heiz- und raumlufttechnische Systeme beitragen.

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