Das Labor im Rechner

Materialtheorie

Intelligente Materialien versprechen zahllose Anwendungsmöglichkeiten. Sie zu erforschen ist aber eine große Herausforderung. Ein Ausweg sind Simulationen.

Material kann nicht denken oder kreativ sein – in diesem Sinne kann es auch nicht intelligent sein.

Prof. Marc-André Keip

Prompt wirkt es wie ein Widerspruch, dass Keip am Lehrstuhl für Materialtheorie ausgerechnet zu intelligenten Materialien forscht. Der 40-Jährige löst die Verwirrung umgehend auf: Bestimmte Materialien, erklärt er, reagieren auf physikalische oder chemische Einwirkungen auf steuerbare Weise. Damit wirken sie dann doch ein bisschen smart.

Prof. Marc-André Keip
Im Fokus: vertieftes Wissen über die Eigenschaften intelligenter Materialien.

„Es geht im Wesentlichen um Kopplungsphänomene“, sagt Keip. Materialien gelten zum Beispiel dann als „intelligent“, wenn in ihnen magnetische und mechanische Kräfte interagieren. Eine klassische Nutzung ist in vielen Feuerzeugen zu finden. Darin sorgt nicht ein Feuerstein für den Zündfunken, sondern ein sogenannter piezoelektrischer Quarz. Dieser wird durch das Drücken des Nutzers unter Spannung gesetzt und erzeugt dadurch einen Funken.

Solche eher banalen Anwendungen sind für Keip und die sieben wissenschaftlichen Mitarbeitenden seiner Forschungsgruppe freilich uninteressant. „Wir arbeiten ohnehin nicht ausschließlich anwendungsgetrieben“, sagt Keip. „Uns interessieren oft stärker die grundlegenden Phänomene, uns reizt die Herausforderung, diese in mathematischen Modellen auszudrücken.“ Lachend fügt er hinzu: „Für uns ist es oft schon Praxis, wenn es sich im Computer darstellen lässt.“

Im Laborexperiment schwer zu untersuchen

Damit liefern die Stuttgarter Wissenschaftler allerdings die Basis für im eigentlichen Sinn praxisorientierte Entwicklungsarbeit, beispielsweise an magnetorheologischen Elastomeren. Das sind weiche Kunststoffe, die magnetische Partikel enthalten und sich im Zusammenspiel mit magnetischen Feldern verformen. Auf diese Weise können sie etwa Ventile abschließen oder adaptive Dämpfungsaufgaben übernehmen.

Intelligente Materialien könnten nach Keips Einschätzung zwar noch eine Vielzahl weiterer technischer Anwendungen ermöglichen, manche sind im Laborexperiment aber nur schwer zu untersuchen. Das liegt ausgerechnet an ihren sonst so willkommenen Eigenschaften: Wird etwa ein Metallbauteil im Labor einer Zugprobe unterzogen, wirken an allen Punkten im Inneren Kräfte, die von außen exakt einstellbar sind. Weiche magnetoelastische Materialien reagieren im Experiment viel komplexer. Wenn diese einem Magnetfeld ausgesetzt werden, stellt sich im Inneren ein inhomogener Kraftzustand ein. Das mache es deutlich schwerer für Forschende, verlässliche Parameter für solche Materialien experimentell zu ermitteln, erklärt Keip. Ohne das vertiefte Wissen über die Eigenschaften intelligenter Materialien und ihrer Reaktionen auf äußere Einflüsse bleibt aber auch deren Entwicklung stecken.

"Wir schaffen die theoretischen Grundlagen, mit denen man das Verhalten von Materialien rechnerisch abbilden kann."

- Prof. Marc-André Keip

Prof. Marc-André Keip
Exzellenter Forscher und Lehrer: 2018 erhielt Keip den Lehrepreis der Universität Stuttgart.

Den Ausweg zeigen die Stuttgarter Materialtheoretiker auf. „Wir schaffen die theoretischen Grundlagen, mit denen man das Verhalten von Materialien rechnerisch abbilden kann“, erklärt Keip. Die theoretischen Modelle sind die Basis für numerische Simulationen, anhand derer man das Verhalten von Materialien und die aus ihnen geschaffenen Strukturen untersuchen und optimieren kann.

Das ermöglicht es Ingenieuren, besser einzuschätzen, ob es überhaupt zu einer Anwendung kommen soll. „Eine gute Simulation macht es überflüssig, bestimmte Versuche in der Realität vorzunehmen“, sagt Keip. Ein Beispiel: die teuren Crash-Tests in der Automobilentwicklung. Simulationen sind günstiger, aber sie haben noch einen weiteren Vorteil, so Keip: Nahezu beliebig viele Parameter können in den Simulationsläufen geprüft werden. Damit kann unter anderem die Zusammensetzung von Kompositwerkstoffen in wiederkehrenden Simulationsreihen optimiert werden, was im Labor nicht ohne Weiteres möglich ist.

Die Arbeit seines Teams, erklärt Keip, bewege sich vor allem auf der sogenannten Kontinuumsebene, also im Größenbereich zusammenhängender Materialstrukturen. „Viele intelligente Materialien besitzen eine Mikrostruktur, die wir betrachten und versuchen, Rückschlüsse auf das zu ziehen, was man mit bloßem Auge sieht.“

Eine gute Simulation macht es überflüssig, bestimmte Versuche in der Realität vorzunehmen.

Prof. Marc-André Keip
Im Bilde: die Visualisierung eines Simulationsergebnisses.

Poröse Medien besser verstehen

In Kooperation mit dem Sonderforschungsbereich 1313 der Universität Stuttgart arbeitet die Forschungsgruppe auch daran, poröse Medien besser zu verstehen. Unter anderem beleuchten die Wissenschaftler die Frage, wie sich in Gesteinen Risse bilden und fortsetzen, wenn unter hohem Druck Flüssigkeiten eingesetzt werden. Dieses Wissen ist zum Beispiel bei Fracking-Verfahren von Bedeutung. Auch wenn etwa Bauteile Risse bekommen, können Simulationen Hinweise darauf geben, wie sie sich vermeiden lassen.

Intelligente Materialien und ihre Kopplungsphänomene beschäftigten Keip schon bei seiner Promotion an der Universität Duisburg-Essen. Als 2013 eine Juniorprofessur am Stuttgarter Institut für Mechanik ausgeschrieben wurde, ergriff der gebürtige Essener die Chance. Das Exzellenzcluster SimTech erhöhte die Attraktivität der Universität Stuttgart für ihn noch mehr. Seit Januar 2019 hat er nun den Lehrstuhl für Materialtheorie inne. „Ein besonderer Reiz an der Erforschung intelligenter Materialien ist, dass sie die Mechanik mit einer Vielzahl angrenzender Forschungsfelder verknüpft“, sagt Marc- André Keip.

Text: Jens Eber

Dr. Eric Heintze
Projektleiter Let US start! und Stabsstelle des Rektors im Rektoratsbüro, Universität Stuttgart

Der Beitrag erschien im Magazin forschung leben

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