Personalisierte Therapie gibt bei Brustkrebs Anlass zur Hoffnung. Mit dieser Motivation erforscht Prof. Monilola Olayioye am Institut für Zellbiologie und Immunologie der Universität Stuttgart das Innenleben und Verhalten der Krebszellen. Die Prorektorin für wissenschaftlichen Nachwuchs und Diversity koordiniert den Potentialbereich Biomedical Systems.
Frau Prof. Olayioye, gibt es Fortschritte bei der Behandlung von Brustkrebs?
Prof. Monilola Olayioye (MO): Durchaus. Das bessere Verständnis der molekularen Vorgänge, die zur Brustkrebsentstehung führen, hat zur Entwicklung neuer Therapien geführt. Diese basieren zum Beispiel auf monoklonalen, also von einer Zellinie produzierten Antikörpern, die sehr spezifisch Zielstrukturen auf den Zellen bestimmter Brusttumoren erkennen. Das gehäufte Auftreten dieser Zielstrukturen in den Tumoren ist dabei Voraussetzung für die Therapie.
Wird Brustkrebs früh erkannt, haben Betroffene häufig gute Chancen zu überleben. Gilt das für alle Brustkrebs-Erkrankten?
MO: Es hängt davon ab, welche Form von Brustkrebs eine Patientin oder ein Patient hat. Bei einer Art von Brustkrebs, der Hormonrezeptor-positiv ist, haben die Betroffenen eine sehr gute Prognose. Für sie kann neben der operativen Entfernung auch eine Antihormon- Therapie eingesetzt werden. Eine andere Brustkrebsform präsentiert viel von dem Wachstumsfaktor-Rezeptor HER2 auf der Zelloberfläche, gegen die es die eben erwähnten blockierenden Antikörper gibt. Besonders aggressiv ist der sogenannte dreifach negative Brustkrebs, bei dem sowohl die Hormonrezeptoren als auch der HER2-Wachstumsfaktor- Rezeptor gar nicht oder nur in geringem Maße vorkommen.
Wie kommt es generell dazu, dass normale Körperzellen entarten und plötzlich anfangen, unkontrolliert zu wachsen?
MO: Tumoren entstehen, wenn sich über die Zeit genetische Veränderungen in der Zelle anhäufen. Diese betreffen sowohl Onkogene, das sind wachstumsfördernde Gene, als auch Tumorsuppressor-Gene. Tumorsuppressoren bremsen das zelluläre Wachstum. Mutationen bei Tumorsuppressoren führen dazu, dass Mechanismen ausgeschaltet werden, die Wachstum kontrollieren, Fehler reparieren oder den Zelltod einleiten.
Krebszellen können sich aus dem Zellverband lösen und an weit entfernten Körperregionen Metastasen bilden. Warum passiert das?
MO: Dieser Schritt kann ebenfalls durch genetische Veränderungen in der Krebszelle aktiviert werden. Einen großen Einfluss hat darüber hinaus die Wechselwirkung der Zelle mit ihrer Umgebung, etwa mit Zellen des Bindegewebes oder des Immunsystems. Die Tumorzellen schaffen es, sich einerseits für das Immunsystem unsichtbar zu machen, andererseits aber auch Immunzellen so umzuprogrammieren, dass die Metastasierung gefördert wird.
Wie funktioniert diese Wechselwirkung zwischen Krebs- und Immunzellen?
MO: Die Tumorzellen werden besonders invasiv, wenn bestimmte Immunzellen vorhanden sind. Die Tumorzellen schütten einen Wachstumsfaktor aus, der diese Immunzellen anlockt und zusammen mit weiteren Faktoren umprogrammiert. Daraufhin schütten die Immunzellen einen anderen Wachstumsfaktor aus, der wiederum die Tumorzellen stimuliert. Es entsteht dadurch ein sich selbst verstärkender Kreislauf, der die Metastasierung fördert. Wir haben diesen Kreislauf in unserem Labor in dreidimensionalen, gewebeähnlichen Zellkulturen untersucht, in denen Brustkrebszellen nicht isoliert wachsen, sondern zusammen mit Immunzellen. Dadurch können wir die Situation im Körper viel besser abbilden als mit der herkömmlichen zweidimensionalen Zellkultur. In dem 3D-System haben wir einen neuen molekularen Regulationsmechanismus aufklären können, der den Kreislauf zwischen den Brustkrebszellen und Immunzellen noch weiter verstärkt.
Welche Faktoren bewirken sonst noch, dass Krebs voranschreitet?
MO: Ich interessiere mich sehr für Veränderungen des Zytoskeletts. Das ist das Gerüst der Zellen, das auch ihre Form bestimmt. Gerade beim Metastasierungsprozess sehen wir, dass Krebszellen aktiv ihre Form verändern. Das Zytoskelett beeinflusst aber auch die Signalweiterleitung von Wachstumsfaktor-Rezeptoren. Genau dieses Wechselspiel untersuche ich mit meinem Team genauer. Wie wir in mehreren Publikationen zeigen konnten, führt der Verlust von bestimmten Tumorsuppressoren, die das Zytoskelett regulieren, nicht nur zu einer erhöhten Zellbeweglichkeit, sondern verstärkt auch die Aktivität der HER-Wachstumsfaktor-Rezeptoren. Hier arbeiten wir eng mit Privatdozentin Dr. Angelika Hausser an unserem Institut zusammen.
- Stuttgarter Weg
Vernetze Disziplinen und interdisziplinare Zusammenarbeit an der Universität Stuttgart
Ein neues Projekt in Kooperation mit Prof. Albert Jeltsch vom Institut für Biochemie und Technische Biochemie der Universität Stuttgart beschäftigt sich mit epigenetischen Veränderungen bei Brustkrebs. Worum geht es?
MO: Epigenetische Veränderungen sind in der Regel reversible chemische Modifikationen der DNA. Sie beeinflussen, welche Gene in der Zelle an- oder abgeschaltet sind. Dadurch entstehen auch unterschiedliche Zelltypen. In Krebszellen werden durch epigenetische Veränderungen zum Beispiel Tumorsuppressor-Gene abgeschaltet. Ein interessanter therapeutischer Ansatz könnte sein, diese epigenetischen Veränderungen aufzuheben und somit das Tumorwachstum zu hemmen.
Was wollen Sie in dem Projekt genau untersuchen?
MO: Wir wollen epigenetische Veränderungen in lebenden Brustkrebszellen mit spezifischen fluoreszierenden Sensoren sichtbar machen, die in der Abteilung von Prof. Albert Jeltsch entwickelt wurden. Dadurch können wir mikroskopisch untersuchen, ob bestimmte Tumorsuppressor- Gene abgeschaltet sind. Im Umkehrschluss können wir aber auch erkennen, ob Medikamente, die epigenetische Modifikationen von der DNA entfernen, diese stillgelegten Tumorsuppressor-Gene wieder reaktivieren.
Kommen wir noch einmal zurück zu dem aggressiven dreifach negativen Brustkrebs, für den es bisher nur wenige Therapieoptionen gibt. Welche zielgerichteten Therapieansätze können Sie sich für diese Unterart vorstellen?
MO: Bei diesen Tumoren findet man sehr häufig einen anderen Wachstumsfaktor-Rezeptor: den HER1- oder EGF-Rezeptor. Ihn allein zu blockieren, reicht nicht aus, um die Brustkrebszellen am Wachsen zu hindern. Wenn man einen Signalweg blockiert, führt das häufig dazu, dass andere kompensatorische Signalwege angeschaltet werden. Blockieren wir aber parallel zwei verschiedene Wachstumsfaktor-Rezeptoren, den HER1- und den HER3-Rezeptor, dann werden dreifach negative Brustkrebszellen in Zellkultur und im Tiermodell in ihrem Wachstum gehemmt. Das konnten wir gemeinsam mit Prof. Roland Kontermann von unserem Institut nachweisen.
Krebserkrankungen umfassend zu heilen, wird in naher Zukunft eine Herausforderung bleiben.
Monilola Olayioye, Professor für Molekulare Tumorzellbiologie
Welchen Herausforderungen müssen sich Forschende sonst noch stellen, wenn sie neue Brustkrebs-Therapien entwickeln wollen?
MO: Eine weitere Schwierigkeit ist, dass selbst der dreifach negative Brustkrebs noch in weitere Untergruppen aufgeteilt werden kann. Tatsächlich werden wir in Zukunft eine Art molekularen Fingerabdruck jedes einzelnen Tumors erstellen müssen, anhand dessen erfolgversprechende maßgeschneiderte Therapien abgeleitet werden können. Dafür ist es notwendig, dass wir die veränderten Signalwege in Brustkrebs als System ganzheitlich verstehen. Im Rahmen des Stuttgart Research Center Systems Biology der Universität Stuttgart wollen wir gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Fakultäten mathematische Modelle der Signalwege in Krebszellen erstellen. Das Ziel ist es, das Verhalten der Krebszellen und die Effizienz von molekularen Therapien vorhersagen zu können.
Denken Sie, dass Krebs in Zukunft geheilt werden kann?
MO: Krebserkrankungen umfassend zu heilen, wird durch die Verschiedenheit der Krebsformen in naher Zukunft eine Herausforderung bleiben. Allerdings können wir erreichen, dass Krebs durch verbesserte Behandlung zu einer chronischen Erkrankung wird, mit der Krebskranke alt werden können. Gerade hier sehe ich bei zielgerichteten Therapeutika ein großes Potenzial.
Interview: Helmine Braitmaier
Dr. Eric Heintze
Projektleiter Let US start! und Stabsstelle des Rektors im Rektoratsbüro, Universität Stuttgart
Der Beitrag erschien im Magazin forschung leben.