Wie lernen Studierende, Berufsschülerinnen und Berufsschüler sowie deren Lehrkräfte in der Fortbildung am besten, eine Index-R200-Dreh-Fräsmaschine zu bedienen oder zu warten? Diese Frage stand am Beginn der Bachelorarbeit des Maschinenbaustudenten Alfonso Terrasi. Um sie zu beantworten, entwickelte Terrasi ein modernes Lehrformat: eine App mit erweiterter Realität (Augmented Reality).
Seine Arbeit ist Teil des noch bis 2023 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekts „Lehrerbildung an berufsbildenden Schulen 2“ (LEBUS2) am Institut für Werkzeugmaschinen (IfW) und dem Institut für Erziehungswissenschaft (IfE) der Universität Stuttgart. Es nimmt die Stärkung des Lehramts für gewerblich-technische Berufsschulen in den Blick mit dem Ziel, mehr junge Menschen für ein Technikpädagogik-Studium und die Tätigkeit als Berufsschullehrkraft zu begeistern.
Im Rahmen des interdisziplinären Projektes erarbeiten die Forscherinnen und Forscher unter anderem das Konzept für eine Lehrveranstaltung „Mechatronik der Werkzeugmaschinen“. „Dieses soll neue didaktische Methoden wie Virtual Reality (VR) oder Augmented Reality beinhalten“, erklärt Walther Maier, Gruppenleiter Maschinenkonstruktion am IfW. Die Ingenieur*innen und Pädagog*innen ergänzen sich dabei mit ihrem jeweiligen Fachwissen sehr gut: „Unsere Technikpädagogik-Studierenden bringen neben einer fachlichen auch eine didaktische Komponente ein, die Maschinenbaustudierenden die technischen Kenntnisse“, sagt Evelyn Hoffarth, wissenschaftliche Mitarbeiterin am IfE.
AR-Brillen zeigen die notwendigen Handgriffe
Schon länger arbeite man am IfE mit VR-Lernumgebungen, so Hoffarth. Seit neuestem verfüge man am IfW darüber hinaus neben Smartphones und Tablets auch über verschiedene AR-Brillen. Deren Einsatz werde nun getestet und Applikationen würden dafür entwickelt werden. Im Fall von Terrasi bedeutete das beispielsweise, dass er an der Dreh-Fräsmaschine für jeden Arbeitsschritt Aufkleber mit AR-Markern anbrachte. Seine App leitet Lernende so zu den einzelnen Bedienelementen der Maschine.
Die Kamera des Tablets, des Smartphones oder eben der AR-Brille erkennt die Marker. Hält man sein Gerät darüber, blendet das Display mit Bildern, Texten und Videos alle nötigen Informationen zu den Handgriffen ein, die an der Maschine zu erledigen sind. Manchmal machen virtuelle 3D-Animationen sogar vor, was zu tun ist. „Zum Beispiel sieht man dann einen Schlüssel, der sich nach rechts dreht, um die Freigabe zu aktivieren“, erklärt Hoffarth.
Noch ist die Forschungsgruppe dabei herauszufinden, für welche Lehrinhalte sich welche digitale Unterstützung am besten eignet und ob man dabei besser ein Smartphone oder eher eine AR-Brille einsetzt. „Vorteil des Handys ist, dass man zu zweit drauf schauen kann“, sagt Maier. „Aber man hat immer etwas in der Hand und ist dadurch eingeschränkt. Mit einer AR-Brille hat man hingegen beide Hände frei.“
Auch wenn ein spielerisches Lernen mit AR-Apps und VR-Brillen den meisten Schülerinnen, Schülern und Studierenden mehr Spaß machen dürfte, wägen die Forschenden genau ab, wann deren Einsatz Sinn ergibt. „Man muss schon immer schauen, wo der Mehrwert im Vergleich zu einem gut gemachten 3D-Lehrvideo liegt“, so Hoffarth. „Denn oft schult es schon die räumliche Vorstellung, wenn man ein Objekt auf dem Tablet drehen kann. Man kann dann individuell den Fokus setzen, was man anschauen möchte.“
Apps in Schulen noch kaum im Einsatz
Auch wenn Lehrkräfte digitalen Programmen und AR-Apps aufgeschlossen gegenüberstehen, kommen diese an Schulen noch kaum zum Einsatz. Zum einen sei der Aufwand, eine AR-App zu erstellen, immens und für die einzelne Lehrkraft kaum zu leisten, sagt Maier. Hoffarth ergänzt: „Eine Lehrperson wird derzeit nur in den seltensten Fällen fertig modellierte 3D-Objekte finden, die sich gut zum Erstellen der eigenen App für den Unterricht eignen. Diese hingegen selbst zu modellieren und, falls gewünscht, auch zu animieren oder die App gar für verschiedene, sich schnell weiter entwickelnde Endgeräte zu optimieren, ist oft sehr zeitaufwendig und setzt Programmierkenntnisse voraus.“
Ich glaube, dass zunehmend Firmen Hilfsmittel für die digitale Lehre anbieten werden.
Walther Maier, Gruppenleiter Maschinenkonstruktion am IfW
Zum anderen sind die Anbieter von Lehr- und Unterrichtsmaterialien nach Beobachtung der Forschenden bislang noch nicht in größerem Stil auf solche Apps aufgesprungen. Bei existierenden Unterstützungsangeboten müsse man meistens pro Aufruf bezahlen, was für Schulen nicht darstellbar sei. „Schneller geht es dann oftmals doch, Wissen direkt an der Maschine zu vermitteln. Auch wenn die Motivation der Schülerinnen, Schüler und Studierenden unter Umständen dann nicht so groß ist“, sagt Hoffarth.
Maier schätzt, dass die Marktlücke bald erkannt wird: „Die asynchrone Lehre vorzubereiten, fällt nicht jedem Lehrenden leicht. Daher glaube ich schon, dass zunehmend Firmen Hilfsmittel für die digitale Lehre anbieten werden.“ Noch seien aber etwa die AR-Brillen sehr gewöhnungsbedürftig, was die Benutzung erschwere. Und auch deren Anschaffung in Klassenstärke wäre kostspielig. In der schulischen Lehre werden AR- und VR-Apps daher wohl zumindest vorerst ein allenfalls kleiner Bereich bleiben.
Text: Daniel Völpel
Walther Maier, Institut für Werkzeugmaschinen, E-Mail, Telefon: +49 711 685 82791
Evelyn Hoffarth, Institut für Erziehungswissenschaften, E-Mail, Telefon: +49 711 685 84366