Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna erhielten 2020 für die Entwicklung der Methode den Nobelpreis für Chemie. Forschende der Universität Stuttgart nutzen die Technik auf vielfältige Weise.
DNA von Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen kann mit der Genschere CRISPR-Cas9 punktgenau geschnitten werden. Nach Wunsch lassen sich anschließend an der Schnittstelle einzelne DNA-Bausteine austauschen oder ganze Genabschnitte einfügen. Die Hoffnung ist groß, dadurch zum Beispiel pilzresistenten Mais, Schweine mit mehr Muskelmasse oder neue Krebstherapien entwickeln zu können. Auch Erbkrankheiten lassen sich womöglich irgendwann heilen.
Methoden, das Erbgut zu verändern, gibt es seit den 1970er-Jahren, allerdings waren sie bis vor Kurzem zu ungenau, zeitaufwendig und teuer. So nutzten Forschende aus, dass der Zellapparat eingeschleuste Gene manchmal anstelle einer vorhandenen Genvariante einbaut. Danach waren meist jahrelange Kreuzungsversuche nötig, bis etwa Versuchstiere entstanden waren, die in allen Körperzellen die neuen Gene aufwiesen.
Anfänge der Genscheren
Für Gentherapieversuche wurden oft abgeschwächte Viren genutzt, die jedes beliebige Stück DNA in das Erbgut einbauen können – jedoch unkontrolliert an zufälliger Stelle. Dadurch konnte es passieren, dass unbeabsichtigt wichtige Gene unterbrochen wurden, etwa solche, die vor Krebs schützen.
Um die Jahrtausendwende versetzten erste Genscheren wie Zinkfingernukleasen und später TALENs die Forschergemeinde in Euphorie, weil damit erstmals ein präzises Chirurgiewerkzeug für Gene verfügbar war. Durchsetzen konnten sie sich nicht: „Diese DNA-schneidenden Enzyme müssen für jeden Genort, den sie adressieren sollen, neu designt werden. Das ist nicht ganz trivial“, sagt Prof. Albert Jeltsch. Der Leiter der Abteilung Biochemie am Institut für Biochemie und Technische Biochemie (IBTB) der Universität Stuttgart experimentiert seit ihren Anfängen mit den Genscheren.
Das Forschungsfeld explodiert
Für die CRISPR-Cas9-Methode ist hingegen kein aufwendiges Proteindesign nötig. Es braucht lediglich ein kurzes RNA-Schnipsel, das die Abschrift der Ziel-DNA enthält und das DNA-Schneideenzym Cas9 an seinen Wirkort leitet. „Die Sequenz dieser Leit-RNA spuckt mir eine Online-Software aus, die ich dann für unter 10 Euro bestellen kann. Das ist eine Sache von fünf Minuten, wenn ich genau weiß, wo Cas9 schneiden soll“, sagt Dr. Cathrin Hagenlocher vom Institut für Zellbiologie und Immunologie (IZI).
Als Charpentier und Doudna die Methode 2012 veröffentlichten, arbeitete Hagenlocher gerade an ihrer Doktorarbeit. „Die Theorie habe ich damals schon mitbekommen und mir überlegt, diese Technik möchte ich auch nutzen“, sagt die Zellbiologin. Vier Jahre später wälzte sie Unmengen Protokolle, die damals schon im Internet zu finden waren, und etablierte die neue Technik in ihrer Arbeitsgruppe.
Wir wollten herausfinden, warum manche Krebszellen resistent sind, um vielleicht in der Krebstherapie irgendwann gezielt den Zelltod von Tumorzellen auslösen zu können.
Dr. Cathrin Hagenlocher
Eine Studentin von ihr untersuchte in Darmkrebszellen einen Signalweg innerhalb der Zellen, der diese in den programmierten Zelltod treiben kann, aber nicht immer auf ankommende Todessignale an der Zelloberfläche reagiert. „Wir wollten herausfinden, warum manche Krebszellen resistent sind, um vielleicht in der Krebstherapie irgendwann gezielt den Zelltod von Tumorzellen auslösen zu können“, erklärt Hagenlocher.
Mit CRISPR-Cas wehren sich Bakterien gegen Viren. CRISPR heißen bestimmte Abschnitte im bakteriellen Erbgut. In diese Abschnitte baut das Bakterium DNA-Stücke von Viren ein, von denen es befallen wurde, und speichert sie anschließend ab. Bei erneutem Befall mit den gleichen Viren dient der ausgelesene Abschnitt dem Bakterienenzym Cas dazu, das Erbgut des feindlichen Virus wiederzuerkennen. Anschließend zerschneidet Cas das Viruserbgut präzise an der „gemerkten“ Stelle. Das Virus wird somit unschädlich. Im Labor lässt sich das bakterielle System leicht zweckentfremden, um gezielt Erbgutveränderungen in allen möglichen Organismen durchzuführen.
Es funktioniere am Institut mittlerweile bestens, sogenannte Gen-Knockout-Zelllinien, in denen Gene zerstört sind, mittels der CRISPR-Genschere herzustellen, sagt Hagenlocher. „Komplizierter ist es, etwas in das Erbgut einzubringen.“ Dazu schleust man zum Beispiel das gewünschte DNA-Stück in die Zelle und lässt es vom zelleigenen Reparatursystem an der Bruchstelle einfügen. Institutsmitglieder hätten bereits erfolgreich bekannte Krebsmutationen in das Erbgut von Zellen eingefügt, um sie genauer analysieren zu können. „Das Feld explodiert geradezu und es gibt unglaublich viele abgewandelte Formen der ursprünglichen CRISPR-Cas9-Technik“, sagt Hagenlocher.
Überraschende Funde dank CRISPR
Das Verfahren lässt sich beispielsweise auch nutzen, um Marker oder Proteine an bestimmte Genorte zu bringen. Dazu wird das Cas9-Enzym deaktiviert, sodass es die DNA nicht mehr schneidet. Die Forschungsgruppe um Prof. Jörn Lausen, Leiter des Instituts für Eukaryotengenetik (IIG), bringt mithilfe der spezifischen Leit-RNA markierte Cas9-Enzyme beispielsweise an Gene, die normalerweise die Zellteilung und Differenzierung steuern und bei Krebs fehlreguliert sind. „Wir wollen identifizieren, welche Proteine an das Gen binden, für das wir uns interessieren“, sagt Lausen. Das können Transkriptionsfaktoren sein, die für das Ablesen von Genen notwendig sind. Es binden aber auch sogenannte epigenetische Enzyme, die Methylgruppen an die DNA anhängen oder entfernen und dadurch Gene an- oder abschalten.
Um diese Proteine aufzuspüren, zerstückeln die Forscher zunächst das komplette Erbmaterial von Krebszellen. Aus dieser DNA-Suppe fischen sie anschließend nur die mit dem Cas9-Enzym markierten DNA-Stücke heraus – mitsamt den daran bindenden Proteinen. „Wenn wir zum Beispiel ein epigenetisches Enzym an einem Tumorsupressorgen finden, könnten wir das Enzym mit Inhibitoren hemmen, um das Gen zu reaktivieren und die Krebszelle in den Zelltod zu treiben. Solche Inhibitoren werden derzeit weltweit für die klinische Anwendung entwickelt“, erklärt Lausen.
Mit den bisherigen Methoden konnten Grundlagenforscher lediglich ihre Hypothese bestätigen, dass Protein X an Gen Y bindet. „Mit der CRISPR-Methode kann ich einfach schauen, was ich finde. Womöglich ist das etwas, was ich nie erwartet hätte“, begeistert sich der Genetik-Professor.
Mit der CRISPR-Methode kann ich einfach schauen, was ich finde.
Prof. Jörn Lausen
Auch Albert Jeltsch am IBTB beschäftigt sich mit epigenetischer Genregulation. In einem Projekt, das er zusammen mit einer Tübinger Forscherin beantragt hat, möchte der Biochemiker nun ein deaktiviertes Cas9-Enzym direkt mit einem epigenetischen Enzym koppeln und erstmals bei Ratten testen. Dabei soll ein Gen angepeilt und mit Methylgruppen versehen werden, das bei einigen Parkinson-Patienten mutiert oder überaktiv ist. Somit wäre das Gen abgeschaltet. „Der Vorteil ist, dass hierbei nicht das Erbgut verändert wird, sondern nur die epigenetischen Marker“, sagt Jeltsch. Bei der klassischen CRISPR-Cas9-Methode würde das Gen unwiederbringlich zerstört werden, die DNA-Schädigung könnte in Einzelfällen sogar den Zelltod hervorrufen.
Das Lego-Prinzip: Bausteine beliebig kombinieren
Prinzipiell lassen sich mit einer inaktiven Genschere wie bei einem Lego-Baukasten beliebig Bausteine miteinander kombinieren und zu ganz neuen Werkzeugen zusammenbauen. Jeltsch und sein Mitarbeiter Dr. Pavel Bashtrykov haben zum Beispiel einen Methylierungssensor entwickelt und patentieren lassen, mit dem sich erstmals live unter dem Mikroskop beobachten lässt, wie im Laufe der Zellteilung Gene in einzelnen Zellen an- oder abgeschaltet werden.
Dafür wird eine Komponente eines Fluoreszenzfarbstoffs an eine inaktive Genschere – mittlerweile ist das die CRISPRCas- Genschere – gekoppelt und an den gewünschten Genort gebracht. Die andere Hälfte des Farbstoffs wird an eine Proteindomäne gekoppelt, die Methylierungsstellen erkennt. Befinden sich die beiden Farbstoffkomponenten in räumlicher Nähe, leuchten sie: der Beweis, dass ein bestimmtes Gen ausgeschaltet wurde.
Angesichts der vielen Möglichkeiten ist in Wissenschaftskreisen längst auch eine medizinethische Debatte entbrannt. Als umstritten gelten vor allem Eingriffe in die Keimbahn, während Gentherapien an Erwachsenen bei schweren oder bisher unheilbaren Erkrankungen weniger kritisch gesehen werden. „Ein ungeborenes Kind kann sich zu der Frage nicht äußern, ein Erwachsener schon“, kommentiert Jeltsch.
Der Vorteil ist, dass hierbei nicht das Erbgut verändert wird, sondern nur die epigenetischen Marker.
Prof. Albert Jeltsch
In der Öffentlichkeit weckt die CRISPR-Technik aber auch Befürchtungen: „Die Ängste gehen soweit, dass Supersoldaten gezüchtet werden könnten, die die Weltherrschaft übernehmen“, berichtet Jörn Lausen von einer Podiumsdiskussion. Noch gibt es viele offene Fragen, wie effizient und sicher das CRISPR-Verfahren langfristig beim Menschen ist, schreibt Miterfinderin Jennifer Doudna im Februar 2020 in der Fachzeitschrift Nature. Das Präzisionswerkzeug schneidet nämlich manchmal an falscher Stelle, auch wenn die Technik stetig weiter verbessert wird.
In Laboren sind mit der Technik bereits zahlreiche Nutzpflanzen und Tiere mit neuen Eigenschaften erzeugt worden. Bisher ist noch keiner dieser Organismen auf dem Markt. In der EU gelten sie zudem als „gentechnisch verändert“ und müssen ein aufwendiges Zulassungsverfahren durchlaufen. In klinischen Studien werden derzeit CRISPR-Therapien für Krebs, HIV, vererbte Blutkrankheiten und für eine seltene angeborene Blindheit am Menschen erprobt. Genetische Veränderungen an Keimbahnzellen, die an Nachkommen vererbt werden, sind in den meisten Ländern verboten. Dennoch sind 2018 in China mit CRISPR-Cas genveränderte Zwillinge geboren worden. Der Forscher He Jiankui und zwei Kollegen wurden dafür zu Gefängnis- und hohen Geldstrafen verurteilt.
Forschende tragen Verantwortung für genetische Änderungen
„Für uns als Grundlagenforscher stellen sich diese ethischen Fragen so nicht, weil wir keine Patienten heilen oder in die Keimbahn von menschlichen Embryonen eingreifen“, sagt Prof. Dr. Markus Morrison, Direktor des Stuttgart Research Center Systems Biology und Leiter des IZI der Universität Stuttgart. Dennoch trage jeder Verantwortung, der genetische Änderungen an Zelllinien und Tieren vornehme, die als Modellsysteme in der Forschung dienten. „Da muss für jede genetisch veränderte Zelllinie eine Risikobewertung erfolgen und vor jedem Tierversuch der Entscheid eines unabhängigen Ethikkomitees eingeholt werden“, betont Morrison.
CRISPR-Cas beschleunigt die Forschung ungemein und wird die nächste molekularbiologische Standardmethode sein.
Prof. Markus Morrison
Unabhängig davon, wie die Debatte um den Einsatz der Genschere am Menschen ausgeht, Morrison ist sich jedenfalls sicher: „CRISPR-Cas beschleunigt die Forschung ungemein und wird die nächste molekularbiologische Standardmethode sein.“
Text: Helmine Braitmaier
Prof. Markus Morrison, Institut für Zellbiologie und Immunologie
E-Mail, Telefon: +49 711 685 66987