Sie ist kitzlig, lacht gerne und trinkt regelmäßig: „Josy“ ist eine Assistenztechnologie, die ältere Menschen im Alltag unterstützen kann. Entwickelt haben sie Franziska Braun und ihre Kolleginnen und Kollegen vom Institut für Arbeitswissenschaft und Technologiemanagement (IAT) der Universität Stuttgart und des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO.
„Josy ist eine Freundin oder ein Freund, mit der oder dem sich ältere Menschen gerne unterhalten und die oder den sie in ihren Alltag einbeziehen“, erklärt Braun. Der virtuelle Begleiter trinkt zum Beispiel regelmäßig, was gerade ältere Menschen oft vergessen. Und er erkennt, wenn sich jemand einsam fühlt oder traurig ist. „Möchtest du deine Verwandten anrufen? Oder sollen wir ein Foto von dir verschicken?“, fragt Josy dann. So soll die Technik dabei helfen, Einsamkeit und soziale Isolation zu verhindern.
Hinter Josy steckt eine App, die auf Basis der Gesichtserkennung arbeitet. Die eingebaute Kamera scannt das Gesicht und vergleicht die Daten mit einer Emotionserkennungsbibliothek. Hängende Mundwinkel werden so interpretiert, dass das Gegenüber traurig ist. Josy reagiert, indem sie zum Beispiel vorschlägt, gemeinsam ein virtuelles Fotobuch anzusehen. Die Bilder können Angehörige zuvor auswählen und in der App hinterlegen. Braun und ihrem Team ist es wichtig, dass sich Josy personalisieren lässt: „Wir wollen eine personalisierte Lösung schaffen, die einen emotional berührt. Jede und jeder freut sich, wenn etwas von Herzen kommt.“ Deshalb bieten die Wissenschaftler*innen auch eine Nähanleitung für eine Hülle für Josy an. Angehörige können damit den Begleiter noch individueller gestalten.
Die Nutzeransicht steht im Mittelpunkt
Das Projekt ist Teil des Leistungszentrums „Mass Personalization“ (LZMP). Dort verfolgen die Forschenden einen nutzerzentrierten Ansatz: „Wir haben uns viel mit unseren potenziellen Nutzerinnen und Nutzern auseinandergesetzt und uns immer überlegt, wie und was sie denken.“ Ältere Menschen haben sich dabei besorgt gezeigt, sie könnten im Umgang mit digitalen Geräten etwas falsch oder kaputtmachen. „Deshalb haben wir Josys Bedienung so simpel wie möglich programmiert. Keiner kann dabei das Internet löschen oder etwas versehentlich kaufen“, sagt Braun.
Um in den Bereich der Geräte-Einstellungen zu gelangen, muss ein Code eingegeben werden. Den können Angehörige und Freunde nutzen, um zum Beispiel Fotos zu ergänzen oder Ansichtseinstellungen zu ändern. Diese Erkenntnisse haben Braun und ihr Team unter anderem in Online-Workshops gesammelt. Ziel der Veranstaltungen ist zwar auch, Interessierten Josy als Assistenzlösung vorzustellen. Doch es geht viel um Austausch.
Wir haben Josys Bedienung so simpel wie möglich programmiert. Keiner kann dabei das Internet löschen oder etwas versehentlich kaufen.
Franziska Braun
Die Workshops richten sich an ganz unterschiedliche Zielgruppen: Führungskräfte, die sich für innovative Produktionsprozesse interessieren, Pflegeeinrichtungen, die sich informieren möchten, Unternehmen, die Interesse am Produkt haben – und nicht zuletzt Angehörige von älteren Menschen.
Forschung profitiert vom Austausch
Braun legt Wert darauf, dass die Schulungen keinem frontalen Unterricht gleichen. Sie verfolgt mit dem Projekt einen Gemeinschaftsgedanken: „Der Austausch mit den Interessierten und der Öffentlichkeit ist enorm wichtig für uns. Wir wünschen uns hier explizit, dass die Gesellschaft mitarbeitet. Und wir wollen das Feedback in die Forschung mit einbeziehen. Davon profitieren wir und das Projekt sehr.“
So verraten zum Beispiel die Reaktionen beim Erstkontakt mit Josy sehr viel. Kommt den Menschen dabei ein „Wow“ über die Lippen oder ein skeptischer Kommentar, was den Datenschutz betrifft? Ein Ergebnis des Austauschs war, dass die selbstgenähten Hüllen sehr positiv auffallen. Allen Interessierten gefiel auch, dass Josy darauf reagiert, wenn sie berührt wird. Sie sagt dann zum Beispiel: „Kitzel mich nicht.“ Zu den offenen Wünschen zählt zum Beispiel, dass Josy lernt, Gesichtszüge noch besser zu erkennen. Braun und ihr Team wollen auch künftig Workshops anbieten und den Austausch mit der Gesellschaft suchen. Im Mittelpunkt sollen dabei stets die Wünsche und Bedürfnisse der Menschen stehen.
Leistungszentrum "Mass Personalization" (LZMP)
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von neun Instituten der Universität Stuttgart erforschen zusammen mit vier Stuttgarter Fraunhofer-Instituten und zukunftsorientierten Industriepartnern, wie maßgeschneiderte Produkte für den Massenmarkt hergestellt werden können. Das Konzept der „Mass Personalization“ berücksichtigt die individuellen Bedürfnisse von Nutzerinnen und Nutzern bereits bei der Produktentstehung.
Autorin: Bettina Wind
Franziska Brau, E-Mail, Telefon: +49 711 970 2384