Künstliche Intelligenz ist längst Teil unseres Alltags und wirft zugleich viele Fragen auf. Ein Forschungsteam der Universität Stuttgart will mit Bürgerinnen und Bürgern über Chancen und Grenzen der Technik diskutieren.
Fehlerhafte digitale Gesichtserkennung in Bahnhöfen, Programme zur automatisierten Auswahl von Bewerbungen, die diskriminieren: Der Einsatz von Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI) löst auch Sorgen aus. Andererseits nutzen die Menschen KI längst ganz selbstverständlich im Alltag, etwa bei der Internetsuche oder beim Spam-Filter für E-Mails. Über diese weit verbreitete Technik und die damit verbundenen Vorstellungen und Erwartungen will ein Forschungsteam der Universität Stuttgart zusammen mit der Hochschule der Medien (HdM) im Projekt „Fragen an Kollegin KI“ mit Bürgerinnen und Bürgern ins Gespräch kommen. Es ist eines von zwei Vorhaben, die das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) für das Wissenschaftsjahr 2022 „Nachgefragt“ ohne Auflagen fördert.
„Es gibt ein großes Bedürfnis, mitzureden, was auf die Forschungsagenda kommt“, berichtet Dr. Elke Uhl, Geschäftsführerin des Internationalen Zentrums für Kultur- und Technikforschung (IZKT) der Universität Stuttgart. In dem Projekt gehe es darum, „welche Befürchtungen, Hoffnungen, Ängste, Visionen der Einsatz von KI in der Arbeits und Lebenswelt hat“, erklärt die Wissenschaftlerin. „Deshalb der Name Kollegin KI: Müssen wir uns mit ihr am Arbeitsplatz arrangieren? Welche Konsequenzen hat das?“
Breiten Dialog über das Thema KI anstoßen
Um diese Fragen breit zu erörtern, besteht das Vorhaben aus drei Säulen: In einer öffentlichen Diskussionsreihe in der Stadtbibliothek Stuttgart stellen Expert*innen vor, wo sie Methoden der KI einsetzen, und diskutieren darüber mit ihrem Publikum. Dazu kommt als zweite Säule ein Projektseminar von HdM und Uni, bei dem Studierende aus den Natur-, Technik- und Medienwissenschaften gemeinsam Fragestellungen aus dem Themenfeld KI aufgreifen. Dabei können zum Beispiel Video oder Multimedia Reportagen entstehen, die bei der Diskussionsreihe gezeigt werden.
„Die Studierenden sollen lernen, Wissenschaftskommunikation zu einer dialogorientierten Wissenschaftskommunikation weiterzuentwickeln“, erklärt Dr. Alexander Mäder von der HdM. Er leitet das Seminar gemeinsam mit Elke Uhl. „Ich beobachte, dass es ein zunehmendes Interesse daran gibt, mit dem Publikum in einen Austausch zu kommen“, sagt Mäder. Die angehenden Medienschaffenden sollen daher nicht nur über KI berichten, sondern auch moderieren, vernetzen und unterschiedliche Positionen herausarbeiten. Das Hochschulradio Horads und die „Zukunftsreporter“ auf der Journalismus-Plattform riffreporter.de begleiten das Projekt journalistisch.
Lernprozesse mit neuer Technik unterstützen
Während des Seminars könnte auch KI als Lernformat zum Einsatz kommen: An der Abteilung Lehren und Lernen mit intelligenten Systemen am Institut für Erziehungswissenschaft forscht Jun.-Prof. Maria Wirzberger mit ihrem Team an der Entwicklung adaptiver Bildungstechnologien, die den Lernprozess wirksam unterstützen. Die intelligenten tutoriellen Systeme basieren auf Methoden der KI. „Diese sind aber in keinster Weise bedrohlich“, sagt Wirzberger. „Trotzdem muss man sich Gedanken machen: Welche Daten sammeln sie? Was passiert damit? Und welche Effekte hat dies möglicherweise auch langfristig auf die Lernenden?“
„ Welche Daten sammeln intelligente Systeme? Was passiert damit? Und welche Effekte hat dies möglicherweise auch langfristig auf die Lernenden?“
Jun.-Prof. Dr. Maria Wirzberger
Das Fenster zur KI öffnen
In der dritten Säule des Projekts sollen die Beiträge der Studierenden über die Beispielfälle zur KI-Nutzung Diskussionen auslösen: Der Bürgerrat KI bringt dafür 300 repräsentativ ausgewählte Menschen aus ganz Deutschland virtuell zusammen. Über das Programm „Demokratiefabrik“ will ein Team um den Politologen Prof. André Bächtiger, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Sozialwissenschaften, erreichen, dass sich die Teilnehmenden intensiv mit KI befassen. Ihre Fragen gehen gebündelt an die Fachleute. Diese müssen dazu Stellung nehmen, was zur nächsten Runde der Diskussion führt.
„Bei der Entwicklung neuer Technologien besteht die Gefahr, dass man Systeme am Bedarf vorbei entwickelt. Dies lässt sich nur vermeiden, wenn man die Perspektiven der späteren Nutzerinnen und Nutzer von Beginn an in den Prozess einbringt. Genau hier sehe ich die große Chance des Projekts, das Fenster zur KI zu öffnen“, sagt Wirzberger.
Die Psychologin ist auch Sprecherin des seit 2021 bestehenden Stuttgart Research Focus „Interchange Forum for Reflecting on Intelligent Systems“ (SRF IRIS) und Leiterin des darin angesiedelten Lehr- und Lernforums „Reflecting on Intelligent Systems In the Next Generation“ (RISING), in dessen Veranstaltungskanon das Seminar aufgeführt ist.
In IRIS sind Forschende aus fast allen Fakultäten der Universität Stuttgart vertreten. Aus diesem Verbund heraus ist das Projekt „Fragen an Kollegin KI“ entstanden, es profitiert dadurch von einem fortwährenden kreativen Austausch. Bächtiger, ebenfalls Mitglied im Direktorium von IRIS, findet hier etwa die Fachleute zu den Themen im Bürgerrat. „Das ist einmalig, dass wir nicht eine paternalistische Expert*inneninvolvierung haben, die also den Menschen etwas vorgeben, sondern die Experten auf das reagieren müssen, was die Bürger sagen“, sagt er.
„ Ich möchte wissen, wie der Umgang mit der virtuellen Moderatorin das Ergebnis beeinflusst, wie zufrieden die Leute damit sind.“
Prof. Dr. André Bächtiger
Sachliche Diskussionen fördern
Die Studierenden des Projektseminars werden eine von drei Gruppen des Bürgerrats moderieren. In Redaktionssitzungen will Mäder darauf schauen, wie man sachliche Diskussionen fördert. „Als Ziel stelle ich mir vor, dass man die wirklich kritischen Punkte herausarbeitet, wenn man die rein fachlichen Fragen geklärt hat“, sagt er. Um KI damit zu vergleichen, moderiert eine artifizielle Moderatorin namens Sophie die zweite Gruppe. Die dritte dient als Kontrollgruppe ohne Moderation. Der intelligente Chatbot Sophie fordert unter anderem dazu auf, Beiträge von anderen zu lesen oder auf Fragen zu antworten. Der Vorteil: ein deutlich reduzierter Personalaufwand. Bächtiger hebt zugleich hervor: „Ich möchte wissen, wie der Umgang mit der virtuellen Moderatorin das Ergebnis beeinflusst, wie zufrieden die Leute damit sind.“
Zu Beginn und am Ende des Experiments beantworten die Teilnehmenden des Rats in einem Text die Frage: Was wünschen Sie sich von Kollegin KI? „Darüber können wir computerlinguistische Textanalysen laufen lassen“, erläutert Bächtiger, der auch wissenschaftlicher Direktor des Zentrums für interdisziplinäre Risiko- und Innovationsforschung (ZIRIUS) der Universität Stuttgart ist. Dieses wird die Fragebögen auswerten und die Ergebnisse ans BMBF weiterleiten. So fließen die Wünsche der Menschen auch in Entscheidungen über Forschungsförderung ein. Zudem könne man ermitteln, auf welchem Niveau die Menschen über KI nachgedacht haben, sagt Bächtiger. „Wenn man zum Beispiel feststellt, die Gruppe hat ein sehr komplexes Weltbild entwickelt, aber ihre Meinung nicht geändert, wäre auch das eine sehr wichtige Erkenntnis. Für die Politik ist es bedeutsam zu sehen, wo landen die Leute, wenn sie sich mit den Themen intensiv auseinandersetzen.“
Denn nicht in eine Konfrontation solle der Bürgerrat KI führen, sondern zu differenzierten Sichtweisen, betont Uhl. „Unser Konzept ist getragen von der Idee, der Polarisierung und der Zunahme von Ressentiments etwas entgegenzusetzen.“
Text: Daniel Völpel
Jun.-Prof. Dr. Maria Wirzberger
E-Mail
Telefon: +49 711 685 81176
Prof. Dr. André Bächtiger
E-Mail
Telefon: +49 711 685 81450