Laura Na Liu stammt aus China und ist als Wissenschaftlerin auf dem Gebiet der DNA-Nanotechnologie international renommiert. In Stuttgart leistet sie Grundlagenforschung, die in Zukunft auch der Medizin zugutekommen könnte.
Die Natur hat viele Dinge ideal gelöst. Zellen sind ein Beispiel dafür: In ihnen arbeitet die perfekt abgestimmte Maschinerie des Lebens. Zellen können wachsen, sich teilen, sich fortbewegen, sie haben einen Stoff- und Energiewechsel, sie reagieren auf Reize. „Wir wollen entscheidende Eigenschaften und Funktionen von Zellen nachahmen“, sagt Laura Na Liu. Die Physikerin will künstliche Nanosysteme entwickeln, indem sie von natürlichen Vorbildern lernt – Bionik in der Nanowelt. Liu ist seit 2020 Professorin an der Universität Stuttgart und leitet das 2. Physikalische Institut. Ihre 15-köpfige Arbeitsgruppe forscht an der Grenze zwischen Nanophotonik, der Manipulation des Lichts mit nanometergroßen Strukturen, und DNA-Nanotechnologie.
Zum Beispiel haben sie und ihr Team sich von der Arbeitsweise des Enzyms ATP-Synthase inspirieren lassen, das sehr energieeffizient Wasserstoffionen durch Zellmembranen transportieren kann. Das Enzym arbeitet ähnlich einem Motor, der eine Pumpe antreibt. Als Bausteine für die Nachahmung dieses molekularen Motors dienen DNA-Stränge, die Lius Team auf geschickte Weise aneinander anlagert und faltet. So entstehen neue Molekülbindungen zwischen den DNA-Strängen und in der Folge die gewünschte Gesamtstruktur, die zwei- oder dreidimensional sein kann. „Es ist ein bisschen wie bei der Herstellung eines Pullovers“, verdeutlicht Liu. „Man hat zunächst viele Einzelfäden und verwebt diese so geschickt miteinander, dass die gewünschte Form entsteht.“
Neben diesem Ansatz verfolgt Lius Team einen weiteren: Mit Verfahren der Halbleitertechnologie fertigt es metallische Nanostrukturen, die zum Beispiel mit einem funktionalen Polymer überzogen werden. Die optischen Eigenschaften dieser hybriden Strukturen lassen sich über eine angelegte elektrische Spannung steuern. Lius Grundlagenforschung könnte eines Tages zu neuartigen winzigen, aber hochempfindlichen Sensoren führen – oder zu neuen Verfahren, wie sich Wirkstoffe im menschlichen Körper gezielt an den gewünschten Ort transportieren lassen.
Liu wurde vielfach ausgezeichnet und gefördert: von der Deutschen Physikalischen Gesellschaft, der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Max-Planck-Gesellschaft, der EU, der Alexander von Humboldt-Stiftung, der European Optical Society und der Optical Society (heute Optica).
In Stuttgart gehört sie dem Koordinierungsteam des Profilbereichs „Biomedizinische Systeme“ an, in dessen Rahmen Fakultäten interdisziplinär zusammenarbeiten, nicht zuletzt, um das Interesse des wissenschaftlichen Nachwuchses für dieses spannende Forschungsfeld zu wecken.
Vom Nordosten Chinas bis in den Südwesten Deutschlands
Liu wurde 1979 in Shenyang im Nordosten Chinas geboren. 700 Kilometer sind es von dort nach Peking, 250 bis zur nordkoreanischen Grenze, vier Flugstunden bis Hongkong, 18 bis Stuttgart. In der weiterführenden Schule zeigte sich zwar Lius Talent für Physik, aber ein entsprechendes Studium war erst nicht ihr Ziel. Sie nahm schließlich doch einen Bachelor-Studiengang Physik an einer Universität in einer benachbarten Stadt auf und absolvierte später ihr Master-Studium in Hongkong.
Gegen Ende des Studiums stand Lius Entschluss fest, für eine Promotion ins Ausland zu gehen: „Ich wollte die Welt da draußen sehen.“ Die USA und Singapur waren mögliche Ziele. Doch dann besuchte sie ein Freund, der in Stuttgart promovierte. „Er erzählte mir, wie gut es ihm in der Arbeitsgruppe gefalle und dass Europa durch die vielen Kulturen interessant zum Reisen sei“, sagt Liu.
Die besagte Arbeitsgruppe war die von Harald Gießen, Professor und Leiter des 4. Physikalischen Instituts. Nach nur einem Telefonat mit Gießen hatte Liu die Zusage für die Promotionsstelle. „Er ließ mir dann die volle Freiheit in meinem Tun“, sagt sie. „Wenn mich etwas interessierte, konnte ich es machen.“ Dieser Ansatz war wohl nicht der schlechteste: Drei Publikationen sollten aus der Promotion hervorgehen, elf wurden es.
An ihren Wechsel nach Europa erinnert sich allerdings als einen „Kulturschock“. Sie wusste nichts über Stuttgart, kannte gerade mal die Namen der hiesigen Automarken.
„Mein erster Sonntag in der Innenstadt nach der Ankunft war verstörend“, erinnert sie sich. „Wo waren all die Leute? Die Geschäfte hatten alle geschlossen. Ich bin in Asien aufgewachsen. Ich war es gewohnt, Menschen zu sehen, ständig, überall.“ Zum Glück sei die Atmosphäre in ihrer Arbeitsgruppe sehr gut und international gewesen – das half ihr bei der Eingewöhnung.
Anstoß für neuen Forschungsschwerpunkt in den USA
Gegen Ende von Lius Doktorarbeit kam der damals an der University of California in Berkely beschäftigte Chemiker Paul Alivisatos nach Stuttgart, um einen Vortrag über die Synthetisierung von Nanostrukturen aus molekularen Bausteinen zu halten. Liu kam nach seinem Vortrag mit ihm ins Gespräch, und er lud sie vom Fleck weg ein, Postdoc in seiner Arbeitsgruppe zu werden. Für sie tat sich nochmals eine völlig neue Welt auf, weil die Herangehensweise an die Herstellung der Nanosysteme eine ganz andere war. „Diese Zeit war der Trigger für meinen heutigen Forschungsschwerpunkt“, sagt Liu.
Bot sich eine Gelegenheit, habe ich sie ergriffen.
Prof. Laura Na Liu
An die Zeit in Berkeley schloss sich eine weitere Postdoc-Phase an der Rice University in Houston, Texas, an. „Dort, bei Naomi Halas, ebenfalls eine renommierte Nanophotonik- Forscherin, lernte ich, dass weder Erfolg ewig anhält noch Fehler fatal sein müssen, sondern dass Courage, Ausdauer und Begeisterung entscheidend sind.“
Forschung am Max-Planck-Institut
Letztlich blieb Liu rund drei Jahre in den USA, dann kehrte sie nach Deutschland zurück. „Ich bekam am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme die Leitung einer finanziell unabhängigen Arbeitsgruppe angeboten, das war zu verlockend.“ Überhaupt seien die Institute der Max-Planck-Gesellschaft „ein Paradies“ für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Man arbeite hier an renommierten Forschungseinrichtungen, die Spitzenforschung und äußerst attraktive Kollaborationen ermöglichten.
Neben dem Stellenangebot gab es auch private Gründe für die Rückkehr nach Stuttgart: Lius Mann, ebenfalls ein Physiker, den sie während des Studiums in China kennengelernt und geheiratet hatte, arbeitete in Europa. Inzwischen ist er an der Stuttgarter Außenstelle des Max-Planck-Instituts für medizinische Forschung beschäftigt.
Letzlich ist Stuttgart meine zweite Heimat geworden
Prof. Laura Na Liu
Nach drei Jahren als Leiterin der Max-Planck-Gruppe wechselte Liu 2015 auf eine Professur an die Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, von wo aus sie 2020 an die Universität Stuttgart berufen wurde, zurück zu ihren Wurzeln in Deutschland. Geplant war das alles nicht. „Es ist einfach so geschehen“, sagt Liu rückblickend. „Bot sich eine Gelegenheit, habe ich sie ergriffen.“ Sie habe immer Stellen gesucht, die ihr viele Freiheiten boten. „Letztlich ist Stuttgart meine zweite Heimat geworden.“
Text: Michael Vogel
Prof. Dr. Laura Na Liu, E-Mail,Telefon:+49 711 685 65218