Knorpel können sich kaum selbst heilen, und derzeitige Behandlungsmethoden lassen Wünsche offen. Wissenschaftler*innen forschen an biomimetischen und personalisierten Lösungen.
Schmerzende Gelenke, Schwellungen und eine eingeschränkte Beweglichkeit: Rund fünf Millionen Deutsche leiden an Arthrose. Weltweit ist sie die häufigste Gelenkerkrankung. Von Arthrose sprechen Ärzt*innen, wenn die Knorpelschicht an den Gelenken über das altersübliche Maß hinaus verschleißt. Auch ein Unfall oder ein Sturz kann Knorpelgewebe verletzen und zu einer erhöhten Abnutzung führen.
„Zwischen den Knochen wirken enorme Kräfte. Ein gesunder Gelenkknorpel dient als Schutzschicht und Stoßdämpfer, damit die Knochen aneinander vorbeigleiten können“, erklärt Prof. Günter Tovar. Er leitet das Institut für Grenzflächenverfahrenstechnik und Plasmatechnologie (IGVP) der Universität Stuttgart. Dort wird gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB erforscht, wie Knorpelschäden repariert werden können. Knorpel können sich auf natürliche Weise nur sehr eingeschränkt selbstständig regenerieren, weil sie nicht durchblutet sind und nur wenige Zellen im Gewebe haben. Die bisherigen Behandlungsmethoden seien noch nicht ausreichend, sagt Tovar. Dies liegt an den unterschiedlichen Arten von Knorpel und deren Aufbau: Es gibt hyalinen Knorpel, also Gelenkknorpel, der zur Dämpfung zwischen den Knochen dient, elastischen Knorpel, der an der Ohrmuschel vorkommt, sowie Faserknorpel, der die Ansatzpunkte für Sehnen und Bänder bildet.
Herausforderungen moderner Behandlungsmethoden
Die drei Subtypen von Knorpeln erschweren die Therapie enorm. Bei der Behandlung von Gelenkknorpelschäden zum Beispiel verletzen Chirurginnen oder Chirurgen bewusst den Knochen, damit sich ein Blutgerinnsel bildet, in dem Stammzellen enthalten sind. Daraus können sich neue Knorpelzellen bilden. Allerdings entsteht dabei statt Gelenkknorpel eher Faserknorpel. Dieser ist in der Natur nicht für die Druckbeanspruchung eines Gelenkknorpels vorgesehen.
Bei einer anderen Methode wird Gelenkknorpel aus einer anderen Körperstelle entnommen und daraus ein neuer Knorpel konstruiert. Die Knorpelstücke haben zwar nahezu optimale mechanische Eigenschaften, sie resultieren allerdings aus der Verletzung einer anderen Körperstelle und führen so zu einem Knorpelmosaik. In einer weiteren Methode werden den Patient*innen Knorpelzellen entnommen, in vitro kultiviert, vervielfältigt und nach einigen Wochen wiedereingesetzt. Notwendig sind dafür aber zwei Operationen, zudem bildet sich erneut nicht ohne Weiteres die richtige Art des Knorpels.
Das Team des IGVP konzentriert sich angesichts dieser Schwierigkeiten zunächst auf die innere Struktur des Knorpelgewebes. Gelenkknorpel bestehen aus einer makromolekularen extrazellulären Matrix. Diese wird hauptsächlich aus Wasser und Kollagen gebildet, welche im Kern eine Tripelhelix enthält – ein Aufbau, der eine hohe Zugfestigkeit gewährleistet und kaum dehnbar ist. Diese Tripelhelix bauen die Forschenden nun aus medizinischer Gelatine, die aus Bruchstücken von Kollagen besteht. „Den Knorpelzellen geben wir die passenden biochemischen Signale, damit sie sich weiter differenzieren und die richtigen Zelltypen bilden. Damit liefern sie den Rohbau für ein intaktes Gelenkknorpelgewebe“, erklärt Tovar. Die Forschenden fertigen auf molekularem Niveau Bausteine an, die sich so biomimetisch wie möglich verhalten. „Wenn sich die Zellen im artifiziell hergestellten Gewebe wohlfühlen, können sie ihren Job machen und die Knorpelregeneration ermöglichen.“
Ein gesunder Gelenkknorpel dient als Schutzschicht und Stoßdämpfer, damit die Knochen aneinander vorbeigleiten können.
Prof. Günther Tovar
Zudem wollen die Wissenschaftler*innen die Knorpel-Weichstrukturen auch für weitere Verarbeitungstechnologien kompatibel machen. Dafür behandeln sie die Gelatine chemisch, um ihre Konsistenz zum Beispiel für die additive Fertigung mittels 3-D-Drucker vorzubereiten. Für die anschließende Weiterverarbeitung arbeiten die Forschenden in interdisziplinären Teams. „Gerade im Bereich der Grenzflächentechnologie ist Teamplay zwischen den Fachbereichen unerlässlich“, sagt Tovar.
Regeneration von Gewebe im Fokus
Einen Schritt weiter in Richtung Anwendung geht das EU-Projekt TriAnkle. „Ziel dieser Arbeit ist es, klinisch nutzbare und personalisierte biologische Gerüste für die Geweberegeneration in tragenden Gelenken zu entwickeln“, sagt Pinar Koca, die als Doktorandin am IGVP im Rahmen des Projekts zur Knorpelregeneration forscht. Das Forschungskonsortium setzt sich aus zwölf Partnern in fünf europäischen Ländern zusammen. Unter anderem sind die Sportklinik sowie die Stiftung des FC Barcelona beteiligt. „Profi-Sportler*innen und deren Vereine haben besonders großes Interesse daran, Knorpelverletzungen schnell und nachhaltig zu heilen. Deshalb freut es uns, dass wir im Projekt die Erkenntnisse unserer anwendungsorientierten Grundlagenforschung einbringen können“, sagt Koca.
Autorin: Bettina Wind
Prof. Günter Tovar, E-Mail, Tel. +49 711 685 62304