Auf den Spuren von Superman

Forschung Erleben

Neuartige Blicke unter die Haut

Es klingt zunächst wie ein wenig unwirklich: Wissenschaftler versuchen, durch die intakte Haut einen Blick in den Körper zu werfen – und zwar ohne die Zuhilfenahme von Röntgenstrahlen oder Magnetfeldern. Bildgebung mit streuenden Medien nennt sich das. Davon profitieren würde allen voran die Medizin. Dass in der Community eine regelrechte Aufbruchsstimmung herrscht, zeigt auch ein Forschungsprojekt am Institut für Technische Optik der Universität Stuttgart.

Ein großer Vorteil des Streuscheibenmikroskops gegenüber seinem konventionellen Pendant: Die gewünschte Vergrößerung lässt sich einfach durch das Variieren der Abstände zwischen Kamera, Streuscheibe und Objekt ändern.
Ein großer Vorteil des Streuscheibenmikroskops gegenüber seinem konventionellen Pendant: Die gewünschte Vergrößerung lässt sich einfach durch das Variieren der Abstände zwischen Kamera, Streuscheibe und Objekt ändern.

Superman müsste man sein. Bekanntlich konnte er durch alle Materialien hindurchschauen, außer durch Blei. Die Wünsche von Medizinern nehmen sich dagegen schon fast bescheiden aus. Ihnen würde es genügen, wenn sie durch Gewebe blicken könnten, zum Beispiel durch die Haut. Dann ließen sich Veränderungen an Organen, Zellen oder Blutgefäßen erkennen, ohne dass es dafür eines operativen Eingriffs bedürfte. Doch ein bisschen Superman geht schon heute: Da gibt es das Röntgen, die Computer - und die Kernspintomografie, mit der sich zum Beispiel Knochen oder Organe untersuchen lassen. Allerdings ist die Auflösung dieser Verfahren eher bescheiden und mit Strahlenbelastung oder starken Magnetfeldern verbunden.Könnten die Ärzte dagegen mit sichtbarem Licht arbeiten, wäre das viel brauchbarer, weil das die erreichbare Auflösung deutlich erhöhte. Und weil das Licht mit vielen Molekülen im Körper wechselwirkt, was zusätzliche Informationen liefern würde. Im Ansatz geht auch das heute schon. So lässt sich beispielsweise mit der optischen Kohärenz-Tomografie einige Millimeter tief in die Netzhaut blicken und auf diese Weise manche Augenerkrankung frühzeitig erkennen. 

Allerdings muss das Licht dafür auch nur durch den durchsichtigen Augapfel fallen. Haut stellt da schon eine größere Barriere dar: Sie ist zwischen eineinhalb und vier Millimeter dick und scheint für sichtbares Licht undurchdringlich zu sein. Was tatsächlich aber gar nicht stimmt, wie der Physiker Stephan Ludwig weiß. Warum die Haut undurchsichtig erscheint, erklärt der wissenschaftliche Mitarbeiter des Instituts für Technische Optik (ITO) der Universität Stuttgart so: „Der Großteil des Umgebungslichts, das auf die Haut fällt, wird nicht von ihr absorbiert, sondern gestreut, also in viele verschiedene Richtungen zurückgeworfen.“ Welche Möglichkeiten sich daraus für neu zu entwickelnde Mikroskope ergeben, mit denen sich durch die Haut blicken ließe, untersucht Ludwig im Rahmen seiner Promotion.

Optisches Bauteil mit Hauteigenschaften

Bislang ist das, was Ludwig betreibt, Grundlagenforschung im Rahmen einer Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft. In seinem Labor steht daher auch noch kein fertiges Gerät, sondern vorerst all die Technik, die für ein sogenanntes Streuscheibenmikroskop in der Zukunft wichtig sein dürfte. Als zu untersuchendes Objekt dient eine einfache Teststruktur mit Linien in unterschiedlichen Abständen, „wir haben aber auch schon Zwiebelzellen, Holz und Plankton abgebildet“, ergänzt der Physiker.

Ein optisches Mikroskop besteht aus einem Objektiv, vor dem sich in geringem Abstand das zu untersuchende Objekt befindet, einer weiteren Linse, mit der sich das vergrößerte Bild des Objekts betrachten lässt, oder einer Kamera, die das vergrößerte Bild aufnimmt. Die ITO-Forscher tauschen das Objektiv gegen eine vergleichsweise preisgünstige Streuscheibe aus – eine einseitig aufgeraute Glasplatte, die es für 20 Euro zu kaufen gibt. Sie repräsentiert die menschliche Haut, die optisch ähnlich wie die Streuscheibe funktioniert. Physikalisch betrachtet wirkt dieser Diffusor als Objektiv, weil auch er eine optische Abbildung erzeugt. Während jedoch ein Objektiv ein zu untersuchendes Objekt scharf abbildet, erzeugt die Streuscheibe ein ziemlich mieses, verrauschtes Bild. Eben so, wie es auch die Haut tun würde. „Aber“, wendet Ludwig umgehend ein, „in diesem Bild stecken im Prinzip noch alle Informationen über das zu untersuchende Objekt.“ Und diese lassen sich mit einigem Rechenaufwand herausdestillieren.

Wir haben damit das Abbild des einfachsten Objekts, das es gibt: das eines leuchtenden Punkts.

Stephan Ludwig, Universität Stuttgart

So erfolgt die Aufnahme eines Bildes mit dem Streuscheibenmikroskop etwa von einem Stück Holz in zwei Schritten. Zunächst dient eine Punktlichtquelle als Objekt, deren durch die Streuscheibe erzeugtes charakteristisches Lichtmuster von der Kamera erfasst wird. „Wir haben damit das Abbild des einfachsten Objekts, das es gibt: das eines leuchtenden Punkts“, erläutert Ludwig. Im nächsten Schritt erfolgt eine Aufnahme des Holzstücks durch die Streuscheibe, das dafür mit Licht der gleichen Farbe beleuchtet wird, wie sie die Punktlichtquelle hatte. Dieses Bild sieht erst einmal wieder ziemlich chaotisch aus. „Weil wir aber von der Punktlichtquelle wissen, wie die Streuscheibe das Bild verändert hat, können wir auch das tatsächliche Bild des Holzstücks mathematisch rekonstruieren.“

Mit seinem Streuscheibenmikroskop kann Physiker Stephan Ludwig eine bis zu 40-fache Vergrößerung erzielen und so Strukturen bis in den Mikrometerbereich auflösen.
Mit seinem Streuscheibenmikroskop kann Physiker Stephan Ludwig eine bis zu 40-fache Vergrößerung erzielen und so Strukturen bis in den Mikrometerbereich auflösen.

Auflösung im Mikrometerbereich

Zwar hat die Kamera nicht das gesamte gestreute Licht erfasst, so dass tatsächlich einige Informationen verloren gegangen sind. Dennoch erreicht das rekonstruierte Bild eine erstaunliche Qualität. Ludwig erzielt mit seinem Streuscheibenmikroskop eine bis zu 40­fache Vergrößerung und kann so Strukturen bis in den Mikrometerbereich auflösen. Zudem hat das Streuscheibenmikroskop – neben einem preiswerten Objektiv – noch weitere Vorteile gegenüber seinem konventionellen Pendant. Zum Beispiel können die Wissenschaftler die gewünschte Vergrößerung einfach dadurch ändern, dass sie die Abstände zwischen Kamera, Streuscheibe und Objekt variieren; beim gewöhnlichen Mikroskop müssten sie dafür das Objektiv wechseln. Ebenfalls vorteilhaft: Das Prinzip des Verfahrens lässt sich auch auf einen weiten Wellenlängenbereich von Infrarot bis zur Röntgenstrahlung übertragen.

Mit seinem Streuscheibenmikroskop kann Physiker Stephan Ludwig eine bis zu 40-fache Vergrößerung erzielen und so Strukturen bis in den Mikrometerbereich auflösen.

Doch es gibt auch Nachteile. Grundsätzlich ist die Abbildungsqualität besser, je geringer die Vergrößerung und je kleiner das erfasste Bildfeld ist. Bislang beschränken sich die ITO­Wissenschaftler noch auf einfarbige Aufnahmen, „eine Farbbildgebung ist aber unser Ziel“, so Ludwig. Auch gibt es beispielsweise für eine Anwendung, die tatsächlich unter die Haut ginge, noch kein Konzept, wie die Beleuchtung des zu untersuchenden Objekts erfolgen könnte. „Das könnte uns mit fluoreszierenden Nanopartikeln gelingen, die in den Körper einbracht werden“, deutet der Physiker einen möglichen Ansatz an. „Letztlich“, da macht Ludwig keinen Hehl daraus, „kennt die Forschung die Grenzen der Methode noch nicht.“ Allerdings hat die Bildgebung mit streuenden Medien experimentell auch erst in den vergangenen zehn Jahren richtig an Fahrt aufgenommen. „Dafür gab es aber schon erstaunliche Fortschritte“, findet Ludwig. Und selbst wenn der Blick durch die Haut letztlich zu viel Aufwand bei zu wenig Informationsgewinn bedeuten würde, könnte die Forschung so viele Erkenntnisse bringen, dass sie Anwendungen jenseits der Medizin beflügelt: etwa für das automatisierte Fahren im Nebel, für Sicherheitskontrollen oder für das Erkennen von Farbablösungen an Kunstwerken. Superman lässt grüßen.

Michael Vogel

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