Ob Kniegelenk-Orthesen oder komplette OP-Säle: Wie medizinische Geräte von Ärzten und Patienten angenommen werden, misst sich nicht nur in Leistungsparametern. Sie müssen auch ergonomisch, leicht bedienbar und möglichst günstig sein. Das Institut für Medizingerätetechnik der Universität Stuttgart setzt bei der Entwicklung daher auf das Prinzip „Simple and Save“.
Ein scharfes Surren durchdringt den Raum, zwei Angelschnüre verzwirbeln sich, zügig bewegen sich die angewinkelten Schienen des Geräts auf dem Schreibtisch von Prof. Peter Pott in Richtung Gerade. „So, jetzt würde er stehen“, sagt der Leiter des Instituts für Medizingerätetechnik und meint damit einen Menschen mit Knieproblemen. Die Vorrichtung ist der Demonstrator für eine aktive Knieorthese, die Patienten zu mehr Mobilität im Alltag verhelfen und gerade älteren Menschen einen längeren Verbleib in den eigenen vier Wänden ermöglichen soll. „Wer zum Beispiel wegen einer Arthrose nicht mehr vom Stuhl hochkommt, kann auch nicht mehr selbstständig zur Toilette und wird schnell zum Pflegefall“, verdeutlicht Pott den Nutzen einer solchen Orthese.
Aktiv heißt in dem Fall, dass die Orthese den Bänderapparat im Gegensatz zu klassischen Modellen nicht nur entlastet und stabilisiert. Sie bringt vielmehr eine Kraft beziehungsweise ein Drehmoment ein und unterstützt so aktiv das betroffene Gelenk.
Dies geschieht mithilfe eines preisgünstigen, dynamischen Leichtbauantriebs, bestehend aus Motor und Getriebe. „Man kann sich das wie bei einer Servolenkung vorstellen“, erklärt Pott. Bei dieser verstärkt – vereinfacht gesagt – ein kleiner Motor die vom Fahrer aufgebrachte Kraft und erleichtert ihm so das Lenken. So einfach das Prinzip, so vielfältig sind die daraus resultierenden Fragen.
Denn die Akzeptanz von Medizintechnik-Produkten hängt ganz wesentlich von deren Alltagstauglichkeit ab. Und da geht es oft um ganz banale Anforderungen: Ob die Orthese zum Beispiel unter einer langen Hose Platz findet, ob sie leise und leicht ist und ob sie energieeffizient arbeitet. „Keep it simple and save“ lautet denn auch Potts Leitgedanke in Anlehnung an das viel zitierte Kiss-Prinzip, ein Paradigma zur Reduktion von Komplexität. „Für uns heißt das, nach Systemen zu suchen, die einfach sind. Und zwar nicht im Sinne von simpel oder billig, sondern im Sinne von technologisch so ausgereift, dass sie nicht mehr aufwendig sind“, erklärt Pott. Manchmal ist dieser Ansatz konträr zum Denken der Industrie, in der der
Mannheimer ein Jahr lang gearbeitet hat: „Uns geht es nicht um die ‚Platin-Lösung‘, nicht um immer weiter nach oben getriebene Leistungsparameter, sondern um Systeme, die den Menschen helfen.“ Und das auch in Ländern, in denen nicht so viel Geld im Gesundheitssystem steckt wie in Deutschland.
Standardroboter statt Speziallösungen
Diese Denkweise gilt nicht nur für den Orthesen-Demonstrator, sie gilt für die gesamte Infrastruktur, die das erst vor einem Jahr gegründete Institut derzeit aufbaut. So steht im Labor nebenan ein handelsüblicher kleiner Industrieroboter. Pott und sein Team wollen herausfinden, ob man das hochpräzise Gerät so weiterentwickeln kann, dass es für die spezifischen Bedingungen in der roboterassistierten Chirurgie taugt. Dazu gehören Fragen der Sterilisierung, der Interfaces zu den medizinischen Instrumenten oder auch der Steuerung. An letztere sind bei Medizinrobotern besonders hohe Anforderungen zu stellen, um Verletzungen zu vermeiden. Der Versuch, Medizintechnik nicht mit Speziallösungen, sondern auf der Basis von Standardgeräten zu realisieren, könnte sich lohnen. „Operationsroboter wie das derzeit sehr populäre DaVinci-System kosten schnell 1,5 Millionen Euro“, sagt Pott. „Ein Industrieroboter wie dieser dagegen ist ab 10.000 Euro zu haben.“ Die Untersuchungen könnten also dahin führen, dass OP-Roboter deutlich günstiger werden und sich damit die Verfügbarkeit der Geräte erhöht.
Saubere Luft im OP
In einem weiteren Labor wird derzeit ein Experimental-Operationssaal eingerichtet. Hier können Forschende und Studierende live erleben, was in einem OP aus technischer Sicht geschieht, zudem werden Usability-Tests durchgeführt. Im Mittelpunkt steht die Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine: Wie sollten Instrumente um den Patienten herum angeordnet sein, wo sind die Zugänge, wo stehen die Ärztinnen und Ärzte? Auch der Industrieroboter
von nebenan könnte nach seiner Metamorphose zum Medizingerät hier auf das Zusammenspiel mit anderen OP-Elementen hin getestet werden. Seed-Projekte nennt Pott derartige Investitionen in die Infrastruktur: Anlagen, an denen man einfach etwas ausprobieren kann und die zum Nukleus für weitere Projekte werden sollen.
Für uns heißt das, nach Systemen zu suchen, die einfach sind. Und zwar nicht im Sinne von simpel oder billig, sondern im Sinne von technologisch so ausgereift, dass sie nicht mehr aufwendig sind.
Prof. Peter Pott, Universität Stuttgart
Derzeit untersucht eine Studentin im Rahmen ihrer Bachelor-Arbeit im Studiengang Medizintechnik die Luftströme im OP. Genau genommen geht es ihr um das sogenannte Laminar-Airflow-System, das für hygienisch einwandfreie Luft im OP sorgt. Bei diesem System wird die Luft wirbelfrei von oben auf und um den Patienten herumgeleitet, so dass Keime nach unten weggedrückt und schließlich aufgesaugt werden. Das Problem dabei: Anästhesieampeln, OP-Geräte oder Lampen stören diesen Luftstrom, weil sie Hindernisse bilden, teilweise auch Wärme abgeben und dadurch zu Verwirbelungen führen. Durch die Infrastruktur im Experimental-OP haben Forschende und Studierende die Möglichkeit, auch Einflüsse von Systemkomponenten oder Peripherie auf den Luftstrom, die Hygiene oder den Energieverbrauch zu untersuchen.
Andrea Mayer-Grenu