Methoden der Künstlichen Intelligenz (KI) finden sich in vielen Bereichen. In der Forschung, in Unternehmen und im Alltag. Doch die digitale Revolution vollzieht sich schneller als die Aus- und Weiterbildung: Viele Fachkräfte kennen sich mit KI nicht aus. In den meisten Studienfächern sind KI-Methoden nicht Teil des Curriculums. Um dem entgegenzuwirken, hat an der Universität Stuttgart ein interdisziplinäres Team unter der Leitung von Prof. Steffen Becker, Prof. Felix Fritzen, Prof. Steffen Staab, Prof. Stefan Wagner und Jun.-Prof. Maria Wirzberger die Artificial Intelligence Software Academy (AISA) gegründet. „Unser Ziel ist es, eine Lücke zu schließen, die bisher nicht geschlossen ist, indem wir passgenau KI-Kompetenz an Nicht-KI-Experten und -Expertinnen vermitteln“, erklärt Wirzberger, Leiterin der Abteilung Lehren und Lernen mit intelligenten Systemen und Sprecherin des Interchange Forum for Reflecting on Intelligent Systems.
Sie verantwortet den Bereich Training der Akademie, in dem Studierende neben ihrem Studienfach Zusatzqualifikationen oder Zertifikate erwerben können. Stets geht es dabei um Kompetenzen der KI (engl. AI) und des Software Engineering (SE), also dem Entwerfen und Erstellen der nötigen (KI-)Programme. Dies verknüpfen die Teilnehmenden mit der Anwendungsdomäne aus ihrem Fachbereich, erklärt Wirzberger.
Wissenschaftsministerium Baden-Württemberg fördert AISA
Die zweite Säule der Akademie umfasst den Bereich der Forschung, sie wird von Prof. Steffen Staab koordiniert, Abteilungsleiter Analytic Computing am Institut für Parallele und Verteilte Systeme (IPVS). Die AISA-Gesamtkoordination hat Prof. Stefan Wagner übernommen, Abteilungsleiter Empirisches Software Engineering am Institut für Software Engineering (ISTE).
Seit August 2021 und zunächst bis Ende 2023 fördert das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Landes Baden-Württemberg AISA mit 2,75 Millionen Euro. Mit dem Geld schafft das Team unter anderem eigene Rechnercluster an und finanziert elf Promotionsstellen. Deren Besonderheit: Jede Doktorandin und jeder Doktorand wird durch mehrere Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Fachrichtungen betreut. „Gerade durch diese speziellen Konstellationen wird es möglich, Schnittstellenthemen zu beforschen“, erklärt Wirzberger – also die Verbindung von AI mit SE und der fachlichen Anwendung.
Eines dieser Schnittstellen-Themen bearbeitet Marijana Palalić in ihrer Promotion „Künstliche Intelligenz für die hybride Fertigung der Zukunft“. Betreut wird ihre Arbeit von einem ganzen Team: dem Leiter des Instituts für Werkzeugmaschinen (IfW), Prof. Hans-Christian Möhring, als Experte für additive und subtraktive Fertigungstechnologien, Prof. Steffen Becker, Leiter der Abteilung Software Quality und Architecture (SQA), als Fachmann für modellgetriebenes Software Engineering und Software-Architekturen sowie Jun.-Prof. Andreas Wortmann vom Institut für Steuerungstechnik der Werkzeugmaschinen und Fertigungseinrichtungen (ISW), der zu modellbasierter Entwicklung in der Produktionsautomatisierung forscht.
Unser Ziel ist es, eine Lücke zu schließen, die bisher nicht geschlossen ist, indem wir passgenau KI-Kompetenz an Nicht-KI-Experten und -Expertinnen vermitteln.
Jun. Prof. Dr. Maria Wirzberger
Promotionen zu Schnittstellenthemen
„Wir beschäftigen uns mit dem Laserauftragschweißen mit Metallpulver“, erklärt Palalić. Dabei dient ein Hochleistungslaser als Wärmequelle. „Er schmilzt das Werkstück lokal, gleichzeitig wird ein inertes Gas, gemischt mit feinem Metallpulver, zugeführt. An der Stelle schmilzt das Pulver auf und verbindet sich mit der Oberfläche des Bauteils. Das passiert Schicht für Schicht.“ Mit diesem Verfahren lassen sich unterschiedliche Werkstoffe in einem Bauteil realisieren oder bestimmte Bereiche oder Komponenten sogar reparieren. Außerdem werden Geometrien möglich, die mit klassischen Methoden der Metallbearbeitung nicht herzustellen wären. Gleichzeitig entsteht kaum Abfall. Doch es gibt Nachteile: „Ein additiv gefertigtes Bauteil muss fast immer durch Materialabtrag nachgearbeitet werden, insbesondere durch spanende Verfahren wie Fräsen, Bohren und Schleifen“, so Palalić.
Diese hybride Fertigungsweise stelle hohe Anforderungen an den Prozess. Die einzelnen Schritte der Prozesskette müssen genau abgestimmt sein, damit die hergestellten Teile etwa in der Luftfahrt oder der Medizintechnik das erfüllen, was man von ihnen erwartet. Weil aber der Prozess aus Materialauftrag und -abtrag komplex sei, gebe es bislang große Unsicherheit über die mechanischen Eigenschaften dieser Bauteile, erklärt die Forscherin. „Es gibt sehr viele Parameter und Effekte, die miteinander korrelieren und die noch zu erforschen sind. Die Wechselwirkungen lassen sich nicht analytisch beschreiben. Deshalb eignet sich hier der Einsatz von maschinellem Lernen, um nicht nur Information zu erhalten, was während des Prozesses passiert ist. Sondern wir können damit auch Prognosen über die Qualität des Bauteils treffen, die bisher nicht möglich waren.“
Palalićs Ziel ist es, ein virtuelles Modell oder eine Art Digitaler Zwilling des Bauteils und des Fertigungsprozesses zu entwickeln. Dies solle es ermöglichen, den Prozess zu beobachten und zu optimieren, etwa durch Erkennen von Fehlern. Im ersten Schritt baut sie Sensoren in die Maschine ein. Mithilfe von SE entsteht eine effiziente Software. „Die Sensordaten müssen für die Algorithmen des maschinellen Lernens aufbereitet werden“, führt Palalić aus. Drittens muss sie die Algorithmen für die KI-Methode des maschinellen Lernens korrekt auswählen, parametrieren und dann anwenden, um dann ein digitales Modell zu erhalten.
KI-Kompetenz wird zu einer Grundfertigkeit
Der Bedarf sei zweifellos vorhanden, Studierende aus Nichtinformatikfächern im Bereich KI und SE zu qualifizieren, betont Wirzberger. „Wenn wir die Fachkräfte der Zukunft vernünftig qualifizieren wollen, müssen wir das Thema breit in die Studiengänge hineinbringen.“ Dass Promovierende wie Palalić die AISA-Seminare mitbetreuen und Studierende zu KI- oder SE-Fragen beraten, stelle eine weitere Besonderheit der Akademie dar. „Wenn zum Beispiel eine Studierende oder ein Studierender in einer Masterarbeit einen KI-gestützten Algorithmus nutzen möchte und dazu Fragen hat, dann sind wir die Anlaufstelle, bei der man Hilfestellung und Feedback erhält“, sagt Wirzberger. „KI-Kompetenz wird immer mehr zur Grundfertigkeit. Ich muss verstehen: Was treibt diese Systeme an? Wie weit kann ich ihnen vertrauen? Wo muss ich besonders kritisch nachdenken?“
Wir können damit auch Prognosen über die Qualität des Bauteils treffen, die bisher nicht möglich waren.
Marijana Palalić
Wie es besser gelingt, diese Kompetenz zu vermitteln, möchte Nadine Koch in ihrer Promotion herausfinden, die Wirzberger und Becker gemeinsam betreuen. „Es geht darum, KI-Didaktik für Nicht-KI-Domänen-Expertinnen und -Experten zu entwickeln“, erklärt Wirzberger. „Was brauche ich, um Nicht-KI-Fachkräften die Auswahl eines bestimmten Algorithmus, die Vor- und Nachteile, die Einsatz- und Evaluationsmöglichkeiten systematisch und anschaulich zu vermitteln? Kann ich dazu etablierte Formen aus der Lehr-/ Lernforschung oder der Informatikdidaktik verwenden? Wie muss ich diese anpassen?“ Denn sind diese Fragen beantwortet, können bald noch mehr Fachkräfte von morgen KI-kompetent in ihr Berufsleben starten.
Autor: Daniel Völpel