Nicht allen auf der Welt steht eine schnelle Datenleitung per Kabel oder Mobilfunk zur Verfügung. Fehlt diese, können Satelliten für eine breitbandige Internetanbindung sorgen. Elon Musks Starlink ist das bekannteste Beispiel dieses Ansatzes. Die meisten Satelliten beziehen heute ihre Energie aus Solarzellen. Je höher deren Wirkungsgrad ist und je langlebiger sie sind, desto länger kann ein Satellit aktiv bleiben. Das Institut für Photovoltaik (IPV) und das Institut für Raumfahrtsysteme (IRS) der Universität Stuttgart forschen an Solarzellen, die den Betrieb von Satelliten wirtschaftlicher machen könnten.
„Die Solarzellen heutiger Satelliten beruhen auf Galliumarsenid, also nicht auf Silizium wie die auf Dächern installierten Fotovoltaikmodule“, erklärt IPV-Wissenschaftler Dr. Claudiu Mortan. „Dieses Halbleitermaterial erweist sich unter den extremen Bedingungen des Weltraums als deutlich robuster“, so der Ingenieur. Doch künftig könnte sich eine andere Materialklasse als noch besser geeignet erweisen: Perowskite. Sie werden auch für Solarzellen auf der Erde als Alternative oder Ergänzung zu Siliziumzellen gehandelt.
„Es sind Metallhalogenid-Verbindungen“, erklärt Mortan. „1978 hat Dieter Weber vom Institut für Anorganische Chemie der Universität Stuttgart das erste Paper zu Perowskiten veröffentlicht.“ Die erste wissenschaftliche Veröffentlichung über eine Perowskit-Solarzelle folgte 2009. „Inzwischen gibt es rund 13.000 wissenschaftliche Veröffentlichungen zum Thema“, verdeutlicht Mortan das enorm gestiegene Interesse. Zu den weltweit meistzitierten Forschenden auf dem Gebiet zählt IPV-Leiter Prof. Michael Saliba. „Über Perowskit-Solarzellen für den Weltraum gibt es dagegen nur rund 40 Papers“, sagt Mortan. Diesem Teilgebiet haben sich IPV und IRS mit dem Projekt PÆROSPACE verschrieben.
Solarzellen sind im Weltraumsehr extremen Bedingungenausgesetzt, die sie schneller als auf der Erde altern lassen.
Dr. Claudiu Mortan
Förderung über das „Terra Incognita" - Programm
Das IPV bekam 2022 dafür eine Anschubfinanzierung in Höhe von 50.000 Euro über das Forschungsförderprogramm „Terra incognita“ der Universität Stuttgart. Das Programm soll helfen, mit interdisziplinären Ansätzen bisher undefinierte Forschungsfelder zu erschließen und Pionierforschung zu ermöglichen. Heutige Solarzellen aus Halbleitermaterialien entstehen in einem aufwendigen und damit teuren Herstellungsprozess auf Wafern. Mit Perowskiten dagegen geht es viel einfacher. Sie lassen sich als Lösung auf ein Trägermaterial auftragen, beim anschließenden Trocknen verdampft das Lösungsmittel – zurück bleibt die gewünschte Schicht.
Perowskit-Zellen haben eine viel dünnere aktive Schicht als Zellen aus Halbleitermaterialien. „Das wirkt sich positiv auf die gewichtsspezifische elektrische Leistung aus“, so Mortan. „Perowskit-Solarzellen erreichen 30 Watt pro Gramm, die etablierten Galliumarsenid-Solarzellen drei Watt pro Gramm.“ Je weniger ein Satellit wiegt, desto kostengünstiger ist sein Start. „Hinzu kommt, dass sich Perowskit-Solarzellen problemlos auf Folien auftragen lassen“, sagt Mortan. Folien lassen sich zusammenrollen. Ein Satellit mit Perowskit-Zellen wäre also nicht nur leichter, sondern hätte beim Start auch kleinere Dimensionen. Galliumarsenid-Solarmodule sind zu dick, um sie aufzurollen, sie lassen sich nur zusammenklappen. Sie erfordern viel mehr Raum.
Ziel von PÆROSPACE ist es, geeignete Perowskit-Solarzellen für den Weltraum zu finden. „Allerdings sind Solarzellen im Weltraum sehr extremen Bedingungen ausgesetzt, die sie schneller als auf der Erde altern lassen.“ Da sind zum einen starke Temperaturschwankungen, zwischen minus 50 Grad Celsius im Erdschatten und plus 150 Grad Celsius im Sonnenlicht. Ein Satellit auf einer Umlaufbahn ähnlich der Internationalen Raumstation durchlebt diesen Temperaturwechsel alle eineinhalb Stunden. Das kann zu Rissen in der Zelle führen. Zum anderen herrscht im All ein Vakuum, wodurch Atome unerwünscht aus der Zelle ausgasen könnten, was ihre Funktion beeinträchtigen würde. Und schließlich können energiereiche Teilchen, etwa von der Sonne, auf die Solarzelle treffen und so deren optoelektronischen Eigenschaften verschlechtern. Perowskit-Solarzellen müssen daher zunächst für den Weltraum qualifiziert werden.
Mortans Team entwickelt dafür derzeit ein Gehäuse, dessen Fläche etwa so groß ist wie zwei nebeneinanderliegende Smartphones. Darin befinden sich vier verschiedene Perowskit-Solarzellen des IPV, jede einige Quadratzentimeter groß. Diese vier Zellen sollen auf einem Flug mit einem Stratosphärenballon in 35 Kilometer Höhe getestet werden. Dort herrschen keine Weltraumbedingungen, aber deutlich extremere als auf der Erde. Den Ballon startet die KSat, die Studentische Kleinsatellitengruppe der Universität Stuttgart. Während des einige Stunden dauernden Flugs erfasst Mortans Team, wie sich die charakteristischen Eigenschaften der vier Zellen verändern. Parallel zu diesem Ballon-Experiment laufen gemeinsam mit dem IRS Vorbereitungen für einen Satellitentest von Perowskit-Zellen. Der Förderantrag ist bereits gestellt. 2025 soll ein Kleinsatellit auf eine 2500 Kilometer hohe Umlaufbahn starten und die Perowskit-Solarzellen des IPV für ein gutes Jahr unter Weltraumbedingungen erproben. „Solche Langzeitmessungen gibt es noch nicht“, sagt Mortan.
Autor: Michael Vogel
Dr. Claudiu Mortan, E-Mail, Telefon: +49 711 685 67151