Was bedeutet der Megatrend Konnektivität für Wirtschaft und Gesellschaft?
Prof. Thomas Kropf (TK) Konnektivität ist eigentlich kein Trend mehr, sondern sorgt schon heute bei vielen Produkten für mehr Komfort, Effizienz und Sicherheit im Alltag. Und Konnektivität verbindet – mehr als nur technisch. Die Pandemie hat das besonders sichtbar gemacht: Dank Videokonferenzen, sozialen Netzwerken, Online-Learning-Formaten oder eCommerce-Plattformen hielten die Menschen privat und beruflich Kontakt, auch deshalb blieb die Wirtschaft produktiv.
Seit Anfang des Jahres sind alle unsere elektronischen Produkte vernetzbar. Bei Konsumgütern erwarten die Kunden mittlerweile neue Funktionen, die nur durch Vernetzung möglich sind. Ich zum Beispiel backe gern Brot und finde es sehr praktisch, dass ich den Backofen schon mal vorheizen kann, wenn ich noch unterwegs bin. Auch der Bereich Mobilität ist durch Vernetzung geprägt – von aktuellen Stauinformationen über Fahrerassistenzsysteme bis hin zum automatisierten Fahren. Auch wenn es die Fahrerinnen und Fahrer nicht wahrnehmen, tauschen Autos ständig Informationen mit Verkehrssystemen und anderen Fahrzeugen aus. Die automatischen Notrufsysteme, die in Neufahrzeugen Pflicht sind, sind das beste Beispiel dafür, dass Konnektivität Menschenleben rettet.
Vernetzung birgt aber auch Risiken – durch Softwarefehler verursachte Störungen, Datenklau, Manipulationen von Hackern. Viele Menschen stehen dem Thema deshalb skeptisch gegenüber.
TK „Digital Trust“ ist hier das Stichwort: Unser Qualitätsversprechen gilt nicht nur für die reale, sondern auch für die digitale Welt. Dazu gehört neben Funktionalität der sorgfältige Umgang mit Daten, die heute pseudonymisiert erfasst werden können. Der Schutz vor Cyberattacken ist ein wichtiges Thema unserer Forschung. Für den Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) hat Bosch ethische Standards entwickelt, die bei jeder Produktentwicklung berücksichtigt werden. Sie sehen unter anderem vor, dass KI robust, sicher und erklärbar sein muss und dass Entscheidungen, die Personen betreffen, niemals ohne Beteiligung eines Menschen getroffen werden dürfen.
Über Prof. Dr. Kropf
Prof. Dr. Thomas Kropf leitet seit Juli 2018 den Zentralbereich Forschung und Vorausentwicklung der Robert Bosch GmbH. Er arbeitet seit 1999 bei der Bosch-Gruppe und war vor seiner aktuellen Position unter anderem für die Systementwicklung im Bereich Automotive zuständig. Kropf studierte Elektrotechnik, er promovierte und habilitierte in Informatik. Heute lehrt er neben seiner Tätigkeit bei Bosch Informatik an der Universität Tübingen.
Wie wichtig ist Künstliche Intelligenz für die Entwicklung vernetzter Produkte?
TK Beides gehört zusammen! Erst Konnektivität macht die Echtzeit-Verfügbarkeit von Daten möglich. Und bekanntermaßen ist KI nur so schlau wie die Daten und die Algorithmen, mit denen wir sie füttern. Das heißt: KI entfaltet erst in der verlässlichen und sicheren Kombination mit Konnektivität ihr volles Potenzial. Und sie spielt mittlerweile in nahezu jedem Anwendungsbereich, in dem wir forschen, eine zentrale Rolle. Mit dem Bosch Center for Artificial Intelligence (BCAI) haben wir in den letzten Jahren die Entwicklung von KI-Methoden wie Deep Learning, Computer Vision oder Natural Language Processing massiv vorangetrieben – immer in enger Verzahnung mit den Ingenieurswissenschaften.
Wie richtet sich der Forschungsbereich von Bosch beim Thema Konnektivität strategisch aus, welche Schwerpunkte setzen Sie für die kommenden Jahre?
TK Ein wichtiger Schwerpunkt liegt auf der Erforschung und Entwicklung von Lösungen für die „Fabrik von morgen“, die auf Vernetzung und Künstlicher Intelligenz basieren. Die Industrie verändert sich durch die elektronische Vernetzung sogar noch stärker als der private Bereich, in dem Konnektivitätslösungen bereits weit verbreitet sind. Die Echtzeit-Verfügbarkeit von Qualitäts-, Prozess- und Maschinendaten ermöglicht nicht nur flexiblere und effizientere Produktionsprozesse, sondern auch völlig neue Geschäftsmodelle. Gemeinsam mit mehreren Partnern aus der Industrie und der Universität Stuttgart erarbeiten wir das Projekt „Software-Defined Manufacturing für die Fahrzeug- und Zulieferindustrie“ (SDM4FZI). Dabei liegt der Fokus unserer Forschung zum einen auf dem Aufbau einer Produktionsstation aus einem standardisierten Grundrahmen und variablen Modulen, die es möglich macht, die Hardware des Produktionssystems an veränderte Anforderungen anzupassen.
Zum anderen forschen wir am Aufbau einer „Engineering Toolchain“ – also eines Software-Werkzeugkastens –, um die Umgestaltung von Produktionssystemen zu vereinfachen und zu beschleunigen. Weitere wichtige Forschungsbereiche für Bosch Research sind neben KI-Methoden und Robotik das „Internet of Things“ (IoT) rund um vernetzte Haushaltsgeräte, Werkzeuge und Smart-Home-Dienstleistungen sowie Energiemanagement. Moderne Energiesysteme sind ohne Vernetzung gar nicht denkbar: Die Photovoltaik-Anlage ist mit einem Batteriespeicher verbunden, aus dem wiederum das Elektroauto geladen wird. Intelligente, energieeffiziente Heizungen werden durch Sensoren und lernende Algorithmen gesteuert. Beim Energiemanagement zeigt sich besonders deutlich, wie stark Vernetzung in Form von Sektorkopplung zur Nachhaltigkeit beitragen kann. An Forschungskooperationen mit Hochschulen zu allen diesen Themen sind wir prinzipiell interessiert – denn hier trifft Grundlagenforschung auf Anwendbarkeit. Für beide Seiten ist es sehr lohnend, auf der Basis von Daten aus der Anwendung gemeinsame Forschung zu betreiben.
An Forschungskooperationen mit Hochschulen zu allen diesen Themen sind wir prinzipiell interessiert – denn hier trifft Grundlagenforschung auf Anwendbarkeit.
Prof. Dr. Thomas Kropf
Was sollten Hochschulen aus Ihrer Sicht tun, um die Herausforderungen der Konnektivität zu bewältigen?
TK Obwohl die Hochschulen die digitale Umstellung während der Pandemie schnell und gut geschafft haben, werden die damit verbundenen Chancen meiner Meinung nach zu wenig gesehen. Man sollte nicht einfach zum früheren Lehrbetrieb zurückkehren! Ich bin ein großer Fan des Konzepts „Flipped Classroom“, bei dem sich die Studierenden theoretisches Wissen zu Hause aneignen und sich dann in der Hochschule treffen, um das Gelernte gemeinsam anzuwenden.
Was würde die Zusammenarbeit mit Hochschulen aus Ihrer Sicht erleichtern?
TK Eine hohe Hürde sind die Regelungen zum Schutz des geistigen Eigentums. In Deutschland sind die IP-Regelungen so gestaltet, dass sich Kooperationen mit Hochschulen für Unternehmen oft nicht lohnen. Auch Ausgründungen werden dadurch erschwert und Investoren abgeschreckt. In den USA sind die IP-Regelungen für universitäre Ausgründungen und Unternehmen deutlich günstiger. Deutschland steht sich hier selbst im Weg! Was ich mir außerdem wünschen würde: mehr Durchlässigkeit zwischen Hochschulen und Industrie. Es wäre schön, wenn mehr Forschende, gerade auch Post-Docs, die Gelegenheit wahrnehmen würden, für ein bis zwei Jahre in einem Unternehmen zu forschen. Studierende sollten noch früher und stärker in Projektarbeit lernen, und zwar möglichst interdisziplinär und international, so wie es der Realität in der industriellen Forschung und Entwicklung entspricht.
Mit der Universität Stuttgart arbeitet Bosch schon seit über 80 Jahren zusammen.
TK Ja, und die Zusammenarbeit klappt sehr gut! Bosch ist Fördermitglied der Arena 2036, außerdem gibt es eine in diesem Jahr neu gegründete Kooperation in der Quantensensorik. Zum Thema Konnektivität haben wir neben SDM4FZI noch ein weiteres gemeinsames Großprojekt: Software-Defined Car (SofDCar). Der intensive Austausch in der Forschung ermöglicht uns auch, exzellente Fachkräfte zu rekrutieren: Deutschlandweit kommen die meisten Absolventinnen und Absolventen technischer Fächer, die wir bei Bosch neu einstellen, von der Universität Stuttgart.
Ende Oktober veranstalten Bosch Research und die Universität Stuttgart das gemeinsame Event "Inventing the Future" zu Zukunftsthemen im Zusammenhang mit Konnektivität und KI. Was versprechen Sie sich von einer Intensivierung der strategischen Zusammenarbeit?
TK Vertrauen entsteht durch Verlässlichkeit. Wenn strategische Leitplanken gesetzt werden, sodass die Zusammenarbeit über aneinandergereihte Einzelprojekte hinausgeht, lassen sich viele Fragen besser lösen. Auch die Planung wird einfacher, wenn beide Seiten wissen: Es gibt einen zuverlässigen Partner, der sich auch langfristig für bestimmte Forschungsthemen interessiert.
Nicht zuletzt kann eine öffentlich sichtbare Zusammenarbeit möglicherweise das Misstrauen gegenüber Kooperationen zwischen Hochschulen und Unternehmen verringern, das in der Gesellschaft leider immer noch verbreitet ist. Dabei ist sie für den Innovationskreislauf notwendig: Wirtschaftliche Strukturen, Prozesse und Entwicklungszeiträume aus der industriellen Forschung können die universitäre Forschung noch effizienter machen. Und wenn die Wirtschaft mithilfe des von der Forschung erzeugten Wissens produktiver forscht und arbeitet, kommt das über Steuern auch wieder der Hochschulforschung zugute.
Interview: Miriam Hoffmeyer