Forscherin Li Zhang

Bezahlbare Lebensretter

Forscherin Dr. Li Zhang arbeitet an kostengünstiger Früherkennung von Erdrutschen.

Die präzise Überwachung erdrutschgefährdeter Gebiete kann viele Menschenleben retten, ist aber teuer. Dank der Forschungsarbeit von Dr. Li Zhang, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Ingenieurgeodäsie (IIGS) der Universität Stuttgart, ist eine kostengünstige Früherkennung in greifbare Nähe gerückt

Etwa eine Million Kubikmeter Gestein donnerten im August 2016 bei einem Bergrutsch in Südtirol ins Pragser Tal. Glücklicherweise kamen keine Menschen zu Schaden. Weltweit kommt es jedoch immer wieder zu Hangrutschen, die komplette Siedlungen unter Schlamm- und Geröllmassen begraben. Verhindern lassen sich solche Naturgewalten praktisch nicht: Wenn Millionen Tonnen Erde und Gestein erst einmal in Bewegung geraten, ist der Mensch machtlos. Durch das frühzeitige Erkennen von kleinsten Bewegungen in gefährdeten Zonen könnten drohende Gefahren aber erkannt und Siedlungen rechtzeitig evakuiert werden.

Für Navigationsgeräte ist es relativ egal, ob sie mit einigen Metern Abweichung messen, sie finden ihr Ziel trotzdem.

Li Zhang

Messungen im Millimeterbereich

Bei der Frage, ob man in Gefahrenzonen einfach ein Netz von GPS-Empfängern einrichten könnte, wie sie in Smartphones oder Navigationsgeräten verbaut sind, muss Li Zhang schmunzeln. In ihrem Büro im sechsten Stock des Instituts für Ingenieurgeodäsie der Universität Stuttgart arbeitet die 32-Jährige seit 2009 genau an solchen Früherkennungssystemen. Ein Ergebnis dieser Arbeit: Handelsübliche GPS-Empfänger für den Privatgebrauch erfüllen diesen Zweck nicht. „Für Navigationsgeräte ist es relativ egal, ob sie mit einigen Metern Abweichung messen, sie finden ihr Ziel trotzdem“, erklärt Zhang. „Für eine Deformationsüberwachung brauchen wir aber eine Genauigkeit im Millimeterbereich – je genauer, desto besser.“ Bewege sich ein Hang nur um fünf Millimeter, könne das schon ein kritisches Signal sein. Also muss die Messung umso präziser erfolgen. Im Vergleich dazu arbeiten Navigationsgeräte mit einer Genauigkeit, die allenfalls grobem Augenmaß ähnelt, zirka ein bis drei Meter.

Längst sind für solche professionelle Zwecke sogenannte geodätische GPS-Empfänger im Einsatz, die neben den von Navis empfangenen „Code-Signalen“ auch weitaus genauere „Phasen-Signale“ verarbeiten. Solche Empfänger kosten allerdings rund 20.000 Euro pro Stück. Hinzu kommen die Kosten für Stromversorgung aus Solarpaneelen und Backup-Batterien sowie für die Datenübertragung. Für einen weitgreifenden Einsatz gerade in Entwicklungs- und Schwellenländern sind die Investitionskosten damit sehr hoch. Nachdem Li Zhang 2009 ans IIGS gekommen war, sprach sie deshalb mit ihrem Institutsleiter Prof. Volker Schwieger über die Möglichkeiten kostengünstiger Deformationsüberwachung – das Thema ihrer Dissertation war gefunden.

Sprachbarriere längst überwunden

1984 in der ostchinesischen Provinz Zhejiang geboren, studierte Li Zhang an der Universität Wuhan zunächst Fernerkundung und Geoinformatik. Über ein Austauschprogramm mit der Universität Stuttgart kam die junge Forscherin 2003 nach Baden- Württemberg und absolvierte zunächst die Deutsche Sprachprüfung. „Zwar habe ich auch danach im Hörsaal noch nicht alles verstanden, weil nicht alles Dozenten so langsam sprachen wie die Sprachlehrer“, erzählt sie lachend. Die Sprachbarriere ist freilich längst gefallen: Heute hält Li Zhang selbst Vorlesungen, etwa in der Deformationsanalyse.

Von 2004 bis 2009 studierte sie in Stuttgart Geodäsie und Geoinformatik, sammelte währenddessen auch praktische Erfahrungen beim Stadtmessungsamt Stuttgart und als Werkstudentin bei der Robert Bosch GmbH. Den Reiz an ihrer Forschungsarbeit kann Zhang rasch umreißen: „Mich interessierte sehr, ob deutlich günstigere Geräte auch eine gute Genauigkeit erreichen können.“ Diese Frage kann sie nach Abschluss ihrer Dissertation mit einem klaren Ja beantworten. Die Liste der Herausforderungen bis dahin war allerdings lang: Günstige Empfänger im Bereich von wenigen hundert Euro und geeignete Antennen auszuwählen, gestaltete sich zu Beginn ihrer Arbeit noch recht einfach. Auch die integrierte Software auszulesen und zu analysieren, gehörte zu den leichteren Übungen.

„Es gibt beim Empfang aber viele Fehlerquellen“, erklärt die Wissenschaftlerin. So gelangen die Signale der in rund 20.000 Kilometer Höhe fliegenden GPS-Satelliten oft nicht auf direktem Wege zum Empfänger am Boden, sondern werden in Städten beispielsweise von Hausfassaden und anderen Objekten reflektiert. Auch wenn das Signal vom Boden abgestrahlt wird und dann zur Antenne gelangt, hat es einen längeren Weg zurückgelegt. Die Position wird durch solche sogenannte Mehrwegeffekte ungenau bestimmt.

Mithilfe des „Choke Rings“ kann die Bodenabstrahlung abgeschirmt werden, die zu Ungenauigkeiten bei den Messungen der GPS-Geräte führen können.
Mithilfe des „Choke Rings“ kann die Bodenabstrahlung abgeschirmt werden, die zu Ungenauigkeiten bei den Messungen der GPS-Geräte führen können.

Mit „Choke-Ring“ gegen Fehlerquellen

„Ich habe für meine Dissertation diese Effekte modelliert und versucht zu minimieren“, erzählt Li Zhang. Die Bodenabstrahlung schirmt nun ein eigens entworfener „Choke-Ring“ ab, eine kreisrunde Platte unterhalb der Antenne, auf der Metallreifen in unterschiedlichen Durchmessern angebracht sind, die Signale von unten abhalten. Weitere Fehlerquellen minimierte Zhang, indem sie deren typische Muster identifizierte und die durch eigens entwickelte Algorithmen die Software der Empfänger entsprechend optimierte. Die günstigen Empfänger mit ihrer zuvor mangelnden Präzision erreichen nun eine Genauigkeit von wenigen Millimetern – vergleichbar mit den teuren geodätischen Empfängern.

„Unsere Idee ist, solche Systeme in gefährdeten Gebieten flächendeckend einzusetzen“, sagt Zhang. Idealerweise könne dabei der Überwachungsprozess automatisiert werden, indem die Messdaten der Empfänger automatisch und per WLAN in Echtzeit zur Auswertung an eine zentrale Station geschickt würden. „Wir haben ein Low-Cost-GPS-Überwachungssystem mit autonomer Stromversorgung via Solarpanel und Backup-Batterie sowie mit automatischer Datenübertragung und Auswertung in Echtzeit bereits vor einigen Jahren aufgebaut und getestet. Es funktioniert problemlos.“

Stuttgarter Forschungsarbeit erlangte internationale Aufmerksamkeit

Um beispielsweise einen rutschgefährdeten Hang zu überwachen, seien mindestens zwei Empfänger notwendig. Für eine Genauigkeit im Millimeterbereich sollte der Abstand zwischen den beiden Empfängern unter zirka zehn Kilometern liegen. Für eine flächendeckende Überwachung in gefährdeten Gebieten ist dabei die Kostenfrage entscheidend. Daher fand die Stuttgarter Forschungsarbeit bereits international Aufmerksamkeit. „Ich arbeite im FIG mit, einer internationalen Vereinigung für Vermessungsingenieure. Dort haben wir auch eine Arbeitsgruppe für kosteneffiziente Überwachung, und gerade die Kollegen aus ärmeren Ländern sind sehr interessiert“, sagt Zhang. Ein multifunktionales Überwachungsgerät konnte sie freilich nicht entwickeln. „Die Geräte und ihre Software müssen für jeden Einsatzzweck angepasst werden“, sagt Zhang. Im Baumarkt um die Ecke werde man solche hochpräzisen GPS-Systeme auch in Zukunft nicht kaufen können.

Eingesetzt werden könnten die kostengünstigen Überwachungseinheiten künftig nicht nur in der Früherkennung von Hangrutschen, wie Zhang erklärt. Das System könne auch helfen, Brücken oder Staumauern zu überwachen. Je nach aufgestautem Wasserstand verformen sich die gewaltigen Betonmauern zwar ohnehin, auch Brücken haben eine gewisse Eigenschwingung. Überschreitet diese Deformation aber ein gewisses Maß, könnte dies ein Alarmsignal sein. Entsprechende Pläne, ihr System an einem Stausee zu testen, haben Li Zhang und ihre Kollegen vom IIGS bereits gefasst.

Nächstes Ziel: bewegte Objekte

Rund fünf Jahre hat Zhang an ihrer Dissertation gearbeitet. Erstes Interesse aus der Industrie gibt es bereits. Abgeschlossen hat sie mit den Thema GPS-Monitoring aber nicht. In Gegenteil: Die Wahl-Stuttgarterin kann sich zwar vorstellen, eines Tages auch wieder in China zu arbeiten, bis dahin will sie sich aber noch weiteren einschlägigen Herausforderungen stellen. „Mich interessiert, mit günstigen GPS-Geräten auch bewegte Objekte präzise zu verfolgen.“ Nicht zuletzt in Zeiten von Industrie 4.0 mit ihren immer tiefer digitalisierten Produktionsprozessen dürften die Anwendungsfelder hierfür riesig sein. Auch die Automobilindustrie, die aktuell das Thema „Autonomes Fahren“ vorantreibt, wird sich nach Zhangs Einschätzung für solche hochpräzisen Low-Cost-GPS-Empfänger interessieren. Allerdings seien die störenden Einflüsse auf die Kommunikation zwischen Satellit und Empfänger hier noch viel zahlreicher.

Zhang experimentiert daher auch mit GLONASS, dem russischen Pendant zum US-amerikanischen GPS-System. „Wir haben neue Empfänger beschafft, die Signale von GLONASS, GPS und dem chinesischen Satellitennavigationssystem Bei Dou verarbeiten können“, erzählt die Forscherin. Gerade für die Überwachung bewegter Objekte sei es wichtig, mehrere Satelliten ansteuern zu können. Derzeit seien Beidou-Signale in Europa noch wenig zu empfangen. Daher gibt es auch bereits Gedanken an eine Kooperation mit der Universität Wuhan. Jens Eber

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