„Den Sprung wagen“

FlixBus-Chef Jochen Engert wollte schon immer Unternehmer sein. Trotzdem war die Entscheidung weg vom sicheren Job nicht leicht.

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Jochen Engert ist Unternehmensberater und arbeitet an seiner Promotion, als 2011 die Liberalisierung des Fernbusmarkts im Raum steht. Gemeinsam mit zwei Freunden ergreift der damals 29-jährige Absolvent der Universität Stuttgart die Chance: Er gründet ein Start-up. Heute dominiert das Fernbusunternehmen FlixMobility GmbH, vielen besser bekannt als FlixBus, den Markt. Mit digitalen Strategien, günstigen Tickets und viel Gefühl für den Lebensstil einer jungen Zielgruppe.

Auf den ersten Blick ist er kein typischer Risikotyp. „Wohlbehütet“, so Jochen Engert, sei er in Gosmannsdorf am Main aufgewachsen, einem 1.000-Seelen-Ort bei Ochsenfurt in Unterfranken, mit enger Familienanbindung und Aktivitäten im Fußballverein. Nach der Schule folgt die Bundeswehr. Die Wahl des Studienfachs trifft er mit Bedacht. „Ich wollte einen Mix aus Wirtschafts- und Technikbezug“, erinnert sich der 34-Jährige. „Im Fach 'Technische Betriebswirtschaftslehre' an der Universität Stuttgart war das möglich. Ein vollwertiges Wirtschaftsstudium mit Technikbezug war genau das, was ich wollte.“

Alles läuft wie am Schnürchen

Sein Studium gestaltet er strategisch und zielbewusst, um „möglichst viel inhaltlich mitzunehmen“. An der Hochschule – mit zwei Auslandssemestern an der University of Ottawa – vertieft er die Fächer Controlling und Finance, lernt Organisationen mit konzernartigen Strukturen zu managen. Besonders die Unternehmensberatung weckt sein Interesse: Schon als Student sammelt er in diesem Bereich Praxiserfahrung. Nach dem Diplom steigt Jochen Engert bei der Boston Consulting Group (BCG) ein. Als Consultant betreut er weltweit Kunden, genießt zweieinhalb Jahre lang die Vielfalt an Projekten und Themen. Alles läuft wie am Schnürchen. Der BWL-Absolvent steuert erfolgreich auf eine sichere berufliche Zukunft zu. 2010 geht er ins Sabbatical, um an der Otto Beisheim School of Management in Vallendar an einer Doktorarbeit zum Thema „Industrial Service Pricing“ zu arbeiten. Doch schon zu der Zeit schlummert unter der Oberfläche noch eine völlig andere Idee.

Gemeinsam mit zwei Freunden ergriff Jochen Engert 2011 angesichts der Liberalisierung des Fernbusmarkts die Chance, ein Start-up zu gründen. Heute agiert FlixBus europaweit.
Gemeinsam mit zwei Freunden ergriff Jochen Engert 2011 angesichts der Liberalisierung des Fernbusmarkts die Chance, ein Start-up zu gründen. Heute agiert FlixBus europaweit.

Der entscheidende Moment

„Ich hatte schon immer den Antrieb, selbst ein Unternehmen auf die Beine zu stellen“, sagt er mit großer Selbstverständlichkeit. Jahrelang spielt er gemeinsam mit seinen heutigen Geschäftspartnern Daniel Krauss und André Schwämmlein Geschäftsideen durch. „Und dann stolpern wir in der Promotionszeit über dieses Thema Marktliberalisierung.“ Der entscheidende Moment.

Nach 75 Jahren Fernlinienmonopol der Deutschen Bahn plant die damalige Regierung, den innerdeutschen Fernverkehr zu öffnen, um preisgünstige Alternativen zuzulassen. Ein neues Marktsegment könnte entstehen. Zwar steht noch in den Sternen, ob und wann, doch die drei Freunde sind aufmerksam geworden. „Dass ein Markt bei uns vor der Haustür liberalisiert wird, passiert nicht oft“, schwärmt Jochen Engert. Eine einmalige Chance – die die drei jungen Männer jedoch erst einmal verstreichen lassen.

Im sicheren Job bleiben?

„Wir nahmen an, da kommt sicherlich die Deutsche Bahn und macht das selber“, sagt Engert. „Die Bahn ist das größte Verkehrsunternehmen in Deutschland. Sie hat am meisten Gewicht und Möglichkeiten.“ Doch das Unwahrscheinliche geschieht: Das Unternehmen distanziert sich von der Idee. „Die fanden den Markt nicht attraktiv“, erinnert sich der Unternehmer. „Da sind wir wieder hellhörig geworden. Wir haben dann verschiedene Geschäftsmodelle durchgespielt. Worin würde eigentlich unser Mehrwert liegen? Welche Idee könnte funktionieren?“

Eine intensive Zeit beginnt. Zunächst laufen Promotion und Gründung noch parallel. Auch BCG-Kollege André Schwämmlein ist zu der Zeit mit einer Doktorarbeit beschäftigt. Wirtschaftsinformatiker Daniel Krauss arbeitet damals bei Microsoft. „Und dann sind wir irgendwann an den Punkt gekommen, wo wir entscheiden mussten: Machen wir jetzt die Promotion fertig und gehen danach wieder in die Beratung zurück? Bleiben wir in unseren sicheren Jobs? Oder wagen wir den Sprung und gründen ein Unternehmen?“ Die Antwort ist bekannt: Am 1. Januar 2013 wird der Fernlinienmarkt liberalisiert – und die drei sind mit der FlixBus GmbH am Start.

Inzwischen arbeiten 1000 Menschen bei FlixBus

Aus dem Drei-Mann-Startup, das 2011 in München gegründet wurde und am 13. Februar 2013 die ersten Busse auf die Straße bringt, ist ein europaweit agierendes Fernbusunternehmen mit knapp 1000 Mitarbeitern geworden. Für die FlixMobility GmbH sind unter der Marke FlixBus aktuell mehr als 1000 Busse unterwegs zu mehr als 900 Zielen in Europa. In 20 Ländern hat FlixBus über 100.000 Verbindungen aufgebaut. 20 Millionen Fahrgäste waren es im Jahr 2015. Aktuell dominiert FlixBus mit mehr als 80 Prozent den deutschen Markt, nicht zuletzt aufgrund des Aufkaufs verschiedener Konkurrenten wie zuletzt von Postbus. Auch in Frankreich und Italien ist das Unternehmen inzwischen Marktführer.

FlixBus ist eigentlich ein Technologieunternehmen

Das Besondere am Konzept ist das Partnermodell. FlixBus besitzt keine eigenen Busse und Fahrer, sondern arbeitet europaweit mit mehr als 250 zumeist mittelständischen Busunternehmen zusammen. Herzstück der Firma, die sich selbst eher als Technologie- denn als Busunternehmen bezeichnet, ist die FlixBus-App, eine Technologieplattform mit Buchungssystem, Verspätungsmanagement und GPS-Livetracking. Dazu ein Vermarktungsansatz, der unter dem Motto „grüne Mobilität“ mit gezieltem Onlinemarketing die altmodische Busbranche für eine junge Zielgruppe attraktiv macht. Dazu gehört ein partnerweit einheitlicher Auftritt mit grünen Bussen, intuitiver Ticketbuchung per App, kostenlosem WIFI, Steckdosen für Smartphones und Infotainment während der Fahrt, freundlichen Busfahrern und sehr günstigen Ticketpreisen. Sogar eine Online-Charterplattform gibt es mittlerweile.
Linny Bieber

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