Komplexes 3D gedrucktes Objektiv auf einer optischen Faser neben einer Fliege.

Ein kleines Wunder

Was Prof. Harald Giessen, Leiter des 4. Physikalischen Instituts, und sein junges Forscherteam in ihrem Hightech-Labor an der Universität Stuttgart entwickelt haben, ist eine „kleine“ wissenschaftliche Sensation: Mikroobjektive im 3D-Druck.

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Eine optische Linse, kleiner als ein Tausendstel Millimeter, hergestellt mit einem Laser, dessen Pulse kürzer als eine Millionstel Sekunde sind, eingesetzt für Endoskope, feiner als ein menschliches Haar. Was ein wenig klingt, wie die Fortsetzung des Films „Liebling, ich habe die Kinder geschrumpft“ aus dem Jahr 1989, ist mehr als drei Jahrzehnte später Wirklichkeit. Harald Giessen, Leiter des 4. Physikalischen Instituts, und sein junges Forscherteam bewegen sich in anderen Dimensionen, wenn sie in ihrem Hightech-Labor an der Universität Stuttgart-Vaihingen am Werk sind. Und was sie entwickelt haben, ist eine „kleine“ wissenschaftliche Sensation: Mikroobjektive im 3D-Druck.

Komplexes, 3D-gedrucktes Objektiv auf einer optischen Faser.
Komplexes, 3D-gedrucktes Objektiv auf einer optischen Faser.

Mit bloßem Auge sind sie kaum erkennbar – doch sie wiederum erkennen alles. Die Anwendungen, die sich daraus ergeben, sind unendlich. Autonome Roboter mit Minisensoren, Handys mit Rundum-Kameras, Spionagebrillen, scharfe, digitale Augen für Fahrzeuge oder kleinste Flugobjekte. Besonders in der Medizintechnik bedeuten die Minioptiken einen Durchbruch. Im Bereich der minimalinvasiven Diagnostik und Eingriffe, wo die Medizintechnik bisher an gewisse Grenzen stieß, eröffnen sich nun mit superschlanken Endoskopen neue Möglichkeiten. So können Organe und Bereiche des Körpers untersucht werden, die bisher unerreichbar waren. Zum Beispiel der Tränenkanal des Auges, das Innere einer Zahnwurzel oder eine Mittelohrdiagnostik über ein nur 100 Mikrometer großes Loch im Trommelfell. Dabei werden die kompletten Endoskop-Optiken aus einem Guss gefertigt, indem die Linse schon beim Druck direkt auf einer winzigen Glasfaser platziert wird und damit die Linsenhalterung direkt mit entsteht.
Der 3D-Drucker, mit dem die optischen Linsen hergestellt werden, hat mit der herkömmlichen Vorstellung eines Druckers wenig gemein. Die Basis der Linse ist flüssiger Fotolack, der auf einem Glasplättchen oder einer Glasfaser platziert wird. Fest wird dieser mithilfe eines Verfahrens, das Harald Giessen scherzhaft den „Zahnarzt-Trick“ nennt: mit UV-Licht. Allerdings nicht mit blauem, sondern mit rotem Licht.

2 x Rot = Blau

Da blaues UV-Licht alles fest macht, was sich in dessen Lichtkegel befindet, musste eine präzisere Methode gefunden werden. Die Lösung ist ein Femtosekundenlaser. Dieser sendet Lichtimpulse aus, dessen Dauer ein Tausendstel einer Millionstel Millionstel Sekunde beträgt. „Das ist so lange wie ein Elektron ungefähr braucht, um hundertmal um ein Atom herum zukreisen“, erklärt Harald Giessen. Mit einer Pulsdauer von weniger als 100 Femtosekunden wird der Laser mithilfe eines Mikroskops auf den flüssigen Fotolack fokussiert. Zwei Photonen des roten Laserstrahls treffen sich gleichzeitig im Brennpunkt und belichten diesen. Dadurch härtet der Lack aus. Für den wissenschaftlichen Laien erklärt Giessen es so: „Wenn das Polymer die zwei roten Lichtteilchen sieht, denkt es, das ist doch genauso gut wie ein blaues. Zweimal rot gibt also blau.“ Durch serielles Aushärten werden die Linsen Punkt für Punkt in der gewünschten Form abgefahren, über 1.000 Schichten pro Stunde. Auf diese Weise können auch die komplexesten Bauteile schnell und einfach realisiert werden. In einer Präzision, die es sogar erlaubt, Freiformflächen herzustellen.

Vom Stier zur Linse

Der Grundstein dieser Methode wurde früh gelegt: Sie basiert auf der Zwei-Photonen-Absorption, die bereits 1931 die Nobel-Preisträgerin Maria Goppert- Mayer entdeckte. Um die Jahrtausendwende härtete der japanische Wissenschaftler Satoshi Kawata erstmals mit einem Femtosekundenlaser Fotolack und stellte damit alle möglichen Formen her – vom Stier bis zur nackten Frau. Aber aus irgendwelchen Gründen seien sie die ersten gewesen, so Giessen, die auf die Idee kamen, Objektive zu drucken und auf Glasfasern zu platzieren. „Man fragt sich schon, warum das noch keiner gemacht hat, manchmal liegt das Gute so nah.“
Wer die „heiligen Hallen“, in denen die Linsen gedruckt werden, zu Gesicht bekommt, darf sich dabei als privilegiert bezeichnen. Denn die Maschinen, die sich darin befinden, sind laut Giessen mehrere Millionen Euro wert. Allein der hochpräzise 3D-Drucker mit dem integrierten Femtosekundenlaser des Karlsruher Start-up-Unternehmens Nanoscribe kostet knapp eine halbe Million Euro. „In keinem anderen Labor in der Welt kann man so etwas sehen“, beschreibt Giessen begeistert diese Schatzkammer der besonderen Art. Inzwischen sind darin mehrere hundert Linsen im 3D-Druck entstanden.

Mit bloßem Auge kaum erkennbar: ein Multilinsensystem umgeben von vier zusammengesetzten Einzellinsen und fünf Salzkristallen.
Mit bloßem Auge kaum erkennbar: ein Multilinsensystem umgeben von vier zusammengesetzten Einzellinsen und fünf Salzkristallen.

Interdisziplinäres Team

Den Anfang machte Giessens ehemaliger Doktorand Timo Gissibl, dessen Arbeit nun der Masterstudent Simon Ristock fortsetzt. Die Baupläne zu den Linsen erstellt inzwischen der Doktorand Simon Thiele aus der Arbeitsgruppe von Alois Herkommer am Institut für Technische Optik. Das Forscherteam rund um Giessen war zuvor an einem Punkt angekommen, an dem es in seiner Disziplin nicht nach seinen Vorstellungen weiterkam, also suchte es den Austausch mit dem benachbarten Institut. „Das kann man alles ausrechnen ...“ kündigte Thiele an und hielt Wort: In nur einem Tag war das erste Design entworfen und gedruckt – und Harald Giessen überzeugt. „Simon wusste, wie man gute Optik-Designs macht. So sind wir ins Geschäft gekommen.“ Insgesamt besteht das Team aus zehn Forschern, die interdisziplinär im Stuttgarter Zentrum für Photonic Engineering (SCoPE) an dem Projekt arbeiten. Vom Optik-Design über 3D-Druck-Experten bis hin zu den Bereichen Material, Vermessung und Ansteuerung durch Mechatroniker und Elektroniker.

Revolutionär schnelle Ergebnisse

Das Ergebnis ist klein. Sehr klein. Um die Auflösung der Linse zu testen, arbeiten die Wissenschaftler mit der sogenannten „Airforce Test Target Skala“. Ein Testbild, das von der US Airforce gestaltet wurde, um das Auflösungsvermögen von optischen Instrumenten überprüfen zu können. Mit einem Blick durch das Mikroskop im Labor sieht man, was „Simons 35ste Linse“ kann. Das Bild ist klar, selbst die feinsten Striche sind zu erkennen. Sie hat damit eine ähnliche Performance wie ein Profi-Mikroskop-Objektiv, kostet aber nur einen Bruchteil davon.

Dabei ist laut Giessen das eigentlich Revolutionäre nicht die Größe oder die geringeren Kosten, sondern die Geschwindigkeit. „Von der Idee über das Optikdesign bis zum CAD-Modell brauchen wir nur einen Tag. Das ist für uns als Naturwissenschaftler und Physiker schon etwas ganz Besonderes. So schnell sind wir noch nie in die Anwendung gekommen.“ Auf die Frage, wie oft sie neue Linsen drucken, kommt die Antwort der drei Forscher wie aus einem Mund: „So oft es geht.“ Eine Linse dauert ein bis drei Stunden, sodass in einer Nacht bis zu zehn Stück entstehen können. Eine „größere“ Linse dauert hingegen ungefähr zehn Stunden. Auch mehrlinsige Objektive für Abbildungen in höchster Qualität sowie Freiformoptiken werden auf diese Weise erstmals möglich. „Das ist Computer-aided Manufacturing übertragen auf die Optik“, fasst Giessen zusammen.

Kleine Linsen, riesige Nachfrage

Das Projekt wird im Rahmen der „Spitzenforschungs- Initiative“ der Baden-Württemberg-Stiftung gefördert. Als die Daten „unter Dach und Fach“ waren, wurden verschiedene Aspekte beinahe zeitgleich in diversen Publikationen veröffentlicht. „Das war wie ein Donnerschlag“, erzählt Giessen: „Das Telefon stand nicht mehr still!“ Es kamen so viele Anfragen aus der gesamten Welt, dass Simon Ristock eine Datenbank anlegen musste. Bereits jetzt besteht eine enge Zusammenarbeit mit mehreren Industrieunternehmen, unter anderem mit dem Hochtechnologieunternehmen Trumpf, der Firma Carl Zeiss aus Oberkochen, die die Forscher in allen Belangen der Optik berät, und dem Tuttlinger Medizintechnikunternehmen Storz, Weltmarktführer im Bereich der Endoskopie. Eine Aufgabenstellung von diesem war beispielsweise, eine Linse für die Endoskopie herzustellen, die alle Bereiche ausleuchtet. Eine Woche später war die Aufgabe gelöst: gleichmäßig ausgeleuchtete und hoch aufgelöste Bilder. Ein Projekt, wo für das Unternehmen nach eigener Aussage mindestens ein halbes Jahr brauchen würde. „Wir waren happy – und Storz natürlich auch.“

Jeder Einzelne hätte dieses Ergebnis ohne den anderen nicht erreichen können. So ein Zusammenspiel gibt es nur hier in der Region Stuttgart.

Harald Giessen, Leiter des 4. Physikalischen Instituts

Viele Perspektiven

An ihrem Ziel sind die Forscher aber noch lange nicht. Sowohl in der Methodik als auch in den Anwendungsfeldern steckt noch Potenzial. So arbeitet die Forschungsgruppe aktuell daran, die Linse direkt auf einen Mikrochip zu drucken. Angebracht auf solch einem CMOS-Chip, ließen sich kompakte Sensoren herstellen, beispielsweise für Minidrohnen. In der Endoskopie sind die Haltbarkeit und die Abbildung in naturgetreuen Farben und ohne Reflexion noch eine Herausforderung, an der die Wissenschaftler „mit gewissen Tricks“ aktuell arbeiten. Dabei ist das Projekt ein Paradebeispiel für die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Ingenieuren und Physikern, Forschung und Industrie. So hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) die Forscher zusammen mit ihren Industriepartnern mit einem neuen Verbundprojekt von über zwei Millionen Euro belohnt, das von vier Physik-Instituten koordiniert wird. „Jeder Einzelne hätte dieses Ergebnis ohne den anderen nicht erreichen können. So ein Zusammenspiel gibt es nur hier in der Region Stuttgart“, fasst Giessen zusammen. Schon jetzt kann man von einer neuen Ära in der Fertigung von Miniaturoptiken sprechen. Katja Welte

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