Es menschelt

Internationalisierung und Wandel sind für Unternehmen besonders wichtig. Wie können sie diese Herausforderung meistern?

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International erfolgreich zu sein und zu bleiben ist für Unternehmen eine der großen Herausforderungen der Gegenwart. Rasch und flexibel auf Veränderungen im unternehmerischen Umfeld zu reagieren, eine andere. Die beiden jungen Betriebswirte Dr. Corinna Elosge vom Lehrstuhl für Internationales und Strategisches Management (BWI) und Christian Mahringer vom Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Organisation (ABWL) der Universität Stuttgart untersuchen, wie sich diese Herausforderungen meistern lassen. Dabei stellen sie immer wieder fest, dass die Rolle Einzelner entscheidend ist für das große Ganze.

Die Fähigkeit, im globalen Wandel mitzuhalten, wird zum wichtigsten Erfolgsfaktor eines Unternehmens.
Die Fähigkeit, im globalen Wandel mitzuhalten, wird zum wichtigsten Erfolgsfaktor eines Unternehmens.

Die Welt der Unternehmen ist immer in Bewegung. Konzerne kaufen Konkurrenten, stoßen Sparten ab und gründen Niederlassungen. Eingeführte Firmen und Start-ups entwickeln neue Technologien und passen sich dem wandelnden Wettbewerb an. Das zeigt sich derzeit in der Autoindustrie, wo Traditionskonzerne mit „fachfremden“ Konkurrenten wie Apple und Google kämpfen – aber auch in der IT-Branche, in der das Tempo der Innovationen ständig steigt. Die Fähigkeit, im globalen Wandel mitzuhalten, wird zum wichtigsten Erfolgsfaktor eines Unternehmens.

Das Handeln der Individuen

Welche Voraussetzungen Unternehmen erfüllen müssen, um diese Fähigkeit auszubauen, damit beschäftigen sich junge Forschende an betriebswirtschaftlichen Lehrstühlen der Universität Stuttgart. Sie legen den Schwerpunkt aber nicht nur auf Marktanalysen, Strategiepapiere oder Unternehmenszahlen, sondern sie untersuchen vor allem die Rolle der Menschen, die in den Unternehmen arbeiten. Sie wollen wissen, wie das Handeln von Individuen die Wandlungsfähigkeit ihrer Firma beeinflusst.

Die Macht sitzt an der Spitze

Dr. Corinna Elosge ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Internationales und Strategisches Management der Universität Stuttgart, wo sie auch ihre Dissertation geschrieben hat. Sie gehört zum Team um Prof. Michael-Jörg Oesterle, das erforscht, wie und mit welchen Methoden Unternehmen in Auslandsmärkte eintreten und welche Länder sie warum ansteuern. Dieses Gebiet bildet den Rahmen ihrer Arbeit. Das Thema ist virulent: Immerhin machen deutsche Konzerne rund 70 Prozent ihres Umsatzes in fremden Ländern. In Branchen wie dem Maschinen- und Anlagenbau erzielen selbst mittelständische Unternehmen einen bedeutenden Anteil ihres Erlöses außerhalb des Heimatmarkts.

In ihrer Doktorarbeit hat Elosge untersucht, wie sich der Wechsel des Konzernchefs auf die internationale Entwicklung eines Unternehmens auswirkt. Die Spitzenführungskraft ist zwar kein Alleinherrscher, aber sie hat großen Einfluss auf die Strategie. Selbst in deutschen Unternehmen haben Vorstandsvorsitzende – trotz des vorgesehenen Kollegialprinzips – eine starke Position.

Elosge untersuchte mehr als 100 große deutsche Unternehmen

„Mit ihren Erfahrungen und Wertvorstellungen werden sie als maßgebliche Gestalter wahrgenommen“, konnte Corinna Elosge beobachten. In ihrer Dissertation stellte sie unter anderem die Häufigkeit der Führungswechsel dem Internationalisierungsgrad des Unternehmens gegenüber. Um den Internationalisierungsgrad zu bestimmen, errechnete sie für alle untersuchten Unternehmen den Auslandsanteil am Gesamtumsatz.Um diese Aufgabe zu bewältigen, brauchte sie Daten. Viele Daten. Am Anfang der Arbeit stand also erst einmal eine umfassende Recherche.

Corinna Elosge konzentrierte sich dabei auf mehr als 100 große deutsche Unternehmen. Zum Glück konnte sie hier auf einen Datensatz zurückgreifen, der in früheren Jahren für ein anderes wissenschaftliches Projekt zusammengestellt worden war. Die darin enthaltenen Informationen mussten allerdings aktualisiert werden. Die Wissenschaftlerin vergrub sich also in Datenbanken und Archiven, denn die von den Unternehmen veröffentlichten Geschäftsberichte brachten sie nicht immer weiter. „Das war ein Exkurs in die jüngere Wirtschaftsgeschichte“, berichtet sie. Denn nicht alle Unternehmen der ursprünglichen Stichprobe hatten die Jahre überlebt. Ehemals große Firmen wie Hoechst, Mannesmann oder Degussa gibt es in der damaligen Form nicht mehr. „Panelsterblichkeit“ nennen Fachleute diesen Effekt.

Mit Ende ihrer Recherchen lagen die Daten für die 102 größten deutschen produzierenden Unternehmen für die Zeit von 1990 bis 2012 vor. Diesen Datensatz wertete Elosge mit verschiedenen statistischen Verfahren aus. Dabei prüfte sie mehrere Hypothesen. Sie wollte zum Beispiel wissen, ob die Amtsdauer eines Vorstands einen Einfluss auf die internationale Entwicklung eines Unternehmens hat. Sie untersuchte, wie sich die Häufigkeit der Wechsel auswirkt und welche Rolle es spielt, ob der neue Chef aus dem eigenen Konzern oder von außen kommt.

Frischer Wind für Internationalisierung

Die Unternehmen interessieren sich für solche Fragen, denn ihnen ist bewusst, wie viel Einfluss ein Vorstandsvorsitzender hat. Im Falle eines anstehenden Führungswechsels wird der potenzielle Nachfolger entweder im eigenen Unternehmen aufgebaut und an die künftige Aufgabe herangeführt oder diskret von außen rekrutiert. Beide Vorgehensweisen sind in der betriebswirtschaftlichen Forschung bekannt. „Im internationalen Kontext wurden sie aber bislang nur wenig untersucht“, sagt Elosge. In ihrer Dissertation zeigt sie, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen der Anzahl an Führungswechseln und dem Internationalisierungsgrad eines Unternehmens. Grafisch lässt er sich als ein U darstellen, das auf dem Kopf steht. Unternehmen richten sich also oft internationaler aus, wenn an der Spitze eine neue Person steht. Frischer Schwung führt offenbar zu einem stärkeren Auslandsgeschäft. „Dieser Effekt lässt sich aber nicht grenzenlos steigern“, sagt die Betriebswirtschaftlerin. Wird die Person an der Spitze zu oft ausgetauscht, kommt die Internationalisierung ins Stocken.

Wenn branchenfremde Manager von außen an die Spitze eines Unternehmens berufen werden, beeinflusst das ebenfalls die Internationalisierung. Der Auslandsanteil wächst dann häufig nicht mehr konstant: Er verändert sich in unterschiedlichem Maß, manchmal mit deutlichen Ausschlägen. Eine Erklärung dafür ist, dass externe Manager zwar neue Erfahrungen mitbringen, die eine Internationalisierung vorantreiben. Sie sorgen aber auch für Unsicherheit. Corinna Elosge: „Zu viele Veränderungen wirken sich negativ aus.“

Ein Grund für Turbulenzen kann im Verhalten einer Führungsperson liegen. Belege für diese These finden sich auch in der Praxis. Ein Beispiel sind hier grenzüberschreitende Fusionen. Selbst Unternehmen, die sich hervorragend ergänzen, finden oft nicht zusammen, weil die Spitzenkräfte nicht miteinander klarkommen. Diese menschlichen Defizite sind gefährlich für Konzerne: Sie verhindern, dass sich Unternehmen schnell auf veränderte Marktbedingungen einstellen.

Neues Wissen für Veränderung

Das gilt jedoch nicht nur in der Führungsetage, sondern im gesamten Unternehmen. Für das Management ist es deshalb wichtig zu wissen, wie einzelne Mitarbeiter die Wandlungsfähigkeit ihrer Firma stärken können – etwa indem sie mitdenken und Chancen erkennen. Kurz: indem sie unternehmerisch handeln. Mit Themen wie diesen beschäftigt sich Christian Mahringer. Der 27-jährige Wissenschaftler arbeitet am Lehrstuhl für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Organisation der Universität Stuttgart bei Prof. Birgit Renzl. Er erforscht einen Bereich, den Betriebswirte Dynamic Capabilities nennen. Es geht darum, wie sich Unternehmen in Zeiten des Wandels ständig neu anpassen und weiterentwickeln können. Dafür müssen ihre Mitarbeiter zum einen immer neues Wissen ins Unternehmen einbringen. Um es sinnvoll einzusetzen, müssen sie aber auch in der Lage sein einzuschätzen, für wen dieses Wissen relevant ist.

Die menschlichen Seiten der Betriebswirtschaftslehre – sie faszinieren Mahringer seit dem ersten Tag an der Hochschule. Er begann sein Studium an der Universität Hohenheim, spezialisierte sich schnell auf den Bereich Wirtschaftspsychologie. „Mich hat das Handeln von Individuen im unternehmerischen Kontext immer am meisten interessiert.“ Später promovierte er in der Nähe von Salzburg. Als seine Professorin einen Ruf an die Universität Stuttgart erhielt, fragt sie ihn, ob er mitkommen wolle. Er sagte zu. Keine 30 Jahre alt, erzielte Mahringer als Wissenschaftler bereits einige Erfolge. So trägt er Teile seiner Forschungsarbeit auf internationalen wissenschaftlichen Konferenzen vor und die angesehene European Academy of Management (EURAM) hat ihn kürzlich ausgezeichnet.

Wissensbörse auf dem Golfrasen

Wie ein für seinen Fachbereich typisches Forschungsprojekt aussehen kann, zeigt folgende Fallstudie: Grundlage ist eine Umfrage bei einem Unternehmen, das Maschinen zur Verpackung von Arzneimitteln anbietet. Ein hoch spezialisierter Markt: Es gibt wenige Wettbewerber und lediglich eine Handvoll Kunden. Springt einer ab, macht sich das sofort am Umsatz bemerkbar. Ein einziger Fehler im Vertrieb kann spürbare Folgen haben.

Beschäftigte des Unternehmens wurden nach Ereignissen befragt, die sie als herausragenden Erfolg ansehen. Diese Informationen sollten zeigen, wie Unternehmen externes Wissen integrieren können. Eine absichtlich weitgefasste Problemstellung. „Auf diese Weise wollten wir offen bleiben für neue Themen und Fragen für kommende Forschungsprojekte formulieren“, erläutert Mahringer. Die Antworten brachten interessante Details zutage. Ein Teilnehmer erzählte etwa, wie sein Kunde eine Verpackungsmaschine auf eigene Faust weiterentwickelte, da die gewünschte Variante nicht angeboten wurde. „Für den Lieferanten war das eine überaus wichtige Information“, sagt Mahringer. Aber: Diese Information hatte der Vertriebsmitarbeiter nur deshalb bekommen, weil er ein vertrauensvolles Verhältnis zu diesem Kunden pflegte. „Das Beispiel zeigt, wie wichtig der persönlicher Kontakt ist“, meint Mahringer. Das bestätigten weitere Teilnehmer der Studie. Einige betonten, dass die oftmals belächelten Treffen auf dem Golfplatz die besten Gelegenheiten seien, um sich mit Partnern, Kunden und Lieferanten auszutauschen.

Gespräche sind für Veränderungsprozesse wichtig

In Mahringers Forschungsarbeit geht es nicht allein darum, wie Unternehmen Wissen sammeln können. Die Informationen müssen auch effizient genutzt werden – und zwar genau von den Personen, für die sie nützlich sind. Die Informationstechnik stellt dafür Hilfsmittel zur Verfügung. Informationen lassen sich beispielsweise digital einfach und übersichtlich darstellen. „Es genügt allerdings nicht, sie einfach nur per E-Mail rumzuschicken und darauf zu vertrauen, dass die relevanten Informationen die passenden Personen erreichen“, sagt Mahringer. Denn die Erfahrung zeigt, dass gerade komplexe Datensammlungen in den wenigsten Fällen ausgewertet werden. Sie erfüllen dennoch ihren Zweck – „wenn sie als Grundlage für ein Gespräch dienen“.

Gespräche, dies wird in der Arbeit des Wissenschaftlers immer wieder deutlich, sind ein zentrales Element für gelungene Veränderungsprozesse. Wichtig ist jedoch, dass sie aufrichtig und zielorientiert geführt werden. „Wenn sie nur pro forma stattfinden, sind sie nutzlos“, so Mahringer. Es muss darum gehen, zu erfahren, was der jeweilige Mitarbeiter wirklich denkt, was er braucht und wie er ein Problem einschätzt. Und Beschäftigte müssen das Gefühl haben, wirklich etwas bewirken zu können, damit sie den Change mit beflügeln. „Sonst ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Veränderungsprozess scheitert, sehr hoch.“
Heimo Fischer

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