„Autonome Fahrzeuge werden das Fahren bequemer und sicherer machen“, liest man allenthalben. Doch wie werden sich diese Fahrzeuge auf den Verkehr insgesamt und auf unsere Städte auswirken? An der Universität Stuttgart ist der Verkehrswissenschaftler Markus Friedrich dieser Frage nachgegangen. Seine Berechnungen zeigen: Ohne massive Lenkungsmaßnahmen der Politik könnten die Städte erst recht im Verkehr ersticken.
Am Beispiel der Region Stuttgart haben Prof. Markus Friedrich, Inhaber des Lehrstuhls für Verkehrsplanung und Verkehrsleittechnik am Institut für Straßen- und Verkehrswesen der Universität Stuttgart, und sein Mitarbeiter Maximilian Hartl verschiedene Szenarien für den autonomen Verkehr der Zukunft berechnet. Dabei wollten sie vor allem herausfi nden, wie sich große Flotten von Autos auswirken, die autonom und von verschiedenen Nutzern gefahren werden (Carsharing). Die Ergebnisse sind in der Studie „Modell-Ergebnisse Geteilter Autonomer Fahrzeugfl otten des Oeffentlichen Nahverkehrs“ (MEGAFON) zusammengefasst. Eine Studie, die ein Weckruf für die Politik sein sollte, denn: Der Autoverkehr könnte enorm zunehmen.
In Auftrag gegeben hatte die Studie der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen gemeinsam mit dem Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart (VVS) und der Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB). Die Träger des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) treibt die Frage um, wie sie sich auf die neuartigen Autos vorbereiten müssen. „Geschäftsmodelle mit geteilten autonomen Fahrzeugen könnten dem ÖPNV Fahrgäste entziehen, weil sie einen umsteigefreien Transport zum günstigen Preis anbieten“, erklärt Thomas Knöller, Leiter der Abteilung Planung beim VVS. Andererseits könnten autonome Fahrzeuge den ÖPNV aber auf der letzten Meile in schlecht erschlossenen Gebieten auch sinnvoll ergänzen. Zunächst wird der Einsatz autonomer Fahrzeuge, die als Flotte zur Verfügung stehen, den ÖPNV jedoch unter Druck setzen. Das zeigt MEGAFON: Um die täglich 5,1 Millionen Wege, die die 2,7 Millionen Einwohner in der Region Stuttgart mit motorisierten Verkehrsmitteln zurücklegen, detailliert zu berechnen, konnten Friedrich und Hartl das Verkehrsmodell der Region nutzen. Es basiert auf Befragungsdaten zum Mobilitätsverhalten von mehr als 10.000 in und um Stuttgart lebender Personen. Dieses Modell, das derzeit zwischen mit dem Pkw, dem ÖPNV, dem Rad und zu Fuß zurückgelegten Wegen unterscheidet, erweiterten die Wissenschaftler um das Fortbewegungsmittel Sharing-Fahrzeuge.
S- und U-Bahn auf dem Abstellgleis
Da unklar ist, was autonome Fahrzeuge kosten werden, setzten Friedrich und Hartl die Prämisse, dass die Menschen für ihre Fahrten nur ein Kriterium berücksichtigen: Sie wählen das schnellste Verkehrsmittel. Außerdem gingen sie davon aus, dass Busse komplett durch autonome Fahrzeuge ersetzt werden. Nicht zuletzt deshalb will Friedrich seine Arbeit auch mehr als Gedankenspiel verstanden wissen, denn „als eine Extremwertbetrachtung dessen, was passieren könnte“. Allein mit Blick auf den Faktor „Zeit“ gewann das Auto gegen U- und S-Bahn in vielerlei Hinsicht. Deshalb reduzierten die Wissenschaftler in ihrem Modell die innerörtlichen Geschwindigkeiten auf Tempo 30 statt 50, in Wohngebieten auf 20 Stundenkilometer statt wie aktuell 30. Hinterher saßen ungefähr wieder genauso viele Leute in den Bahnen wie heute.
Neun Szenarien berechneten die Forscher, bei denen sie die Anteile von autonomen Privat-Fahrzeugen und geteilten Autos variierten oder den Bahnverkehr komplett rausnahmen. Eine der gewonnenen Erkenntnisse: In Zukunft ließe sich auf etliche Parkplätze verzichten, die Straßen würden jedoch voller. Heute werden von den 1,6 Millionen in der Region angemeldeten Autos täglich etwa zwei Drittel bewegt. „Diese rund eine Million Autos sind ungefähr eine Stunde am Tag unterwegs. Alle Staus, die wir heute haben, entstehen nur deshalb, weil etwa 120.000 Fahrzeuge gleichzeitig zur Hauptverkehrszeiten unterwegs sind“, erklärt Friedrich. „Wenn wir genau dieselben Wege mit Carsharing-Fahrzeugen bewältigen würden, dann bräuchten wir lediglich 19 Prozent dieser bewegten Fahrzeuge, also etwa 200.000 statt einer Million. Für ein Mehr an Verkehr auf den Straßen sorgt, dass jedes Fahrzeug durchschnittlich sieben Stunden im Einsatz ist und auch Leerfahrten verursacht.“
Nur in einem Szenario konnten fahrerlose Pkw den Verkehr drastisch verringern. Bei diesem berechnete Friedrich, wie sich sogenannte Ridesharing-Fahrzeuge auswirken würden. Dabei handelt es sich um autonom fahrende Minibusse für bis zu sechs Personen, die jeden Fahrgast von Haustür zu Haustür bringen und Zielwünsche bündeln. Ridesharing ist noch in der Konzeptphase, hätte aber einen durchaus positiven Effekt: Würden alle Einwohner auf Ridesharing und Bahnverkehr setzen, bräuchte es für die gesamte Region etwa 70.000 dieser Fahrzeuge. Die Folge: Der Verkehr nähme fast überall deutlich ab.
„Geteilte Autos“ müssten besonderen Komfort bieten
Hier könnte also bald ein Geschäftsfeld für die Verkehrsbetriebe liegen. Doch um derartige Flotten aufzubauen, wäre eine Milliardeninvestition nötig. Die Verantwortlichen des VVS wollen daher die Studie nutzen, um die Rahmenbedingungen aktiv zu verändern: „Verkehrsdienstleistungen mit autonomen Fahrzeugen bedürfen einer kommunalen Steuerung, um einer Kannibalisierung des ÖPNV entgegenzuwirken und Kooperationen mit dem ÖPNV abzusichern“, sagt Knöller. Die Kommunen müssten künftig darüber entscheiden dürfen, wer eine Lizenz für autonome Autoflotten erhalte. „Alternativ könnte natürlich auch das Schaffen solcher Angebote durch öffentliche Unternehmen infrage kommen“, so Knöller.
Doch Ridesharing wird diejenigen kaum überzeugen, die es gewohnt sind, ihr eigenes Auto zu nutzen. „Deswegen müssten diese Fahrzeuge Privatsphäre und besonderen Komfort bieten“, sagt Friedrich. „Und das Ein- und Aussteigen samt Gepäck muss schnell gehen.“ Denn in Zukunft werden noch mehr Menschen noch mehr fahren. „Wenn das autonome Fahren also die Welt besser machen soll, müssen wir Ridesharing attraktiv machen“, mahnt er. Und das geht nach seiner Ansicht nur mit flankierenden Maßnahmen wie Temporeduzierungen, gestaffelten Straßennutzungsgebühren und Zufahrtsbeschränkungen. Doch Friedrich ist aus Erfahrung pessimistisch: „All das könnten wir schon seit 40 Jahren haben – es wurde aber bisher kaum etwas umgesetzt. Was macht uns also zuversichtlich, dass jemand mutig genug ist, diese Maßnahmen zu ergreifen?“ Auch wenn es ihm als Wissenschaftler vorrangig darum ging, Algorithmen für Verkehrsmodelle mit Carsharing zu entwickeln, resümiert Friedrich: „Wir brauchen schnell eine gesellschaftliche Diskussion. Sonst könnten wir uns in 30 Jahren in Städten wiederfinden, die so niemand haben wollte.“
Daniel Völpel
Prof. Dr.-Ing. Markus Friedrich, Lehrstuhl für Verkehrsplanung und Verkehrsleittechnik am Institut für Straßen- und Verkehrswesen (ISV), Tel.: +49 711/685-82480, E-Mail
Maximilian Hartl, Lehrstuhl für Verkehrsplanung und Verkehrsleittechnik am Institut für Straßen- und Verkehrswesen (ISV), Tel.: +49 711/685-84414, E-Mail
Thomas Knöller, Leiter Abteilung Planung beim Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart (VVS), Tel.: +49 711/6606-0, E-Mail