Flexibilität gewinnt

Das Projekt SynErgie macht die Industrie fit für Erneuerbare Energien

Die Industrie verbraucht rund 40 Prozent des gesamten Stroms in Deutschland. Damit die Energiewende gelingt, müssen die Unternehmen Elektrizität künftig flexibler abnehmen.
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Schon heute lässt sich mit Erneuerbaren Energien unter Idealbedingungen mehr Strom produzieren, als Deutschland in der Spitzenlast benötigt. Doch die durch Windkraft- und Solaranlagen erzeugte Strommenge schwankt stark. Die Energiewende kann daher nur gelingen, wenn die Industrie Elektrizität künftig flexibler abnimmt. Wie man energieintensive Produktionsbetriebe darauf einstellen kann, untersuchen mehr als 80 Partner – darunter das Institut für Energieeffizienz in der Produktion (EEP) der Universität Stuttgart – im Kopernikus-Projekt SynErgie.

Ein Aluminium-Schmelzofen ist ein- oder ausgeschaltet – einen Betrieb mit verringerter Leistung gibt es nicht. Doch weil eine Aluminium-Hütte enorme Mengen an Strom verbraucht, wäre sie die ideale Kandidatin, um Schwankungen im Netz auszugleichen. Als Leuchtturmprojekt im Vorhaben „Synchronisierte und energieadaptive Produktionstechnik zur flexiblen Ausrichtung von Industrieprozessen auf eine fluktuierende Energieversorgung“, kurz SynErgie, will das Unternehmen Trimet in Essen daher seine Elektrolyseöfen umbauen:

Die Elektrolyseöfen von Trimet sollen in Zukunft auch mit variablem Energiebverbrauch betrieben werden können.

Künftig sollen sie auch 50, 70 oder 90 Prozent Leistung erbringen beziehungsweise mit 50, 60 oder 70 Prozent Energieverbrauch betrieben werden können. Stand heute geht für beides nur 100 oder 0. Als ein Beitrag von vielen, die mit SynErgie entstehen, werde dies helfen, die Energiewende zu meistern, erklärt Prof. Alexander Sauer, Leiter des Instituts für Energieeffizienz in der Produktion (EEP) der Universität Stuttgart. „Wir sind mit 30 Prozent Anteil Erneuerbarer Energien an dem Punkt angekommen, an dem das Stromsystem flexibler werden muss“, sagt Sauer. Aktuell ist der Wissenschaftler Co-Koordinator von SynErgie und wird ab 2019 die Sprecherrolle dafür von Prof. Eberhard Abele von der TU Darmstadt übernehmen.

Hierzulande seien bereits etwa 100 Gigawatt an Kapazität installiert, um Strom mit Erneuerbaren Energien zu erzeugen, so Sauer. Die Spitzenlast liegt aktuell bei etwa 90 Gigawatt. Weil die Erneuerbaren nicht konstant produzieren, müssen sich die Abnehmer umstellen – mit Speichern und mit einer flexibleren Nachfrage. Letzteres wollen die gut 80 Projektpartner erreichen, indem sie in sechs Clustern neue Technologien entwickeln und Prozesse im produzierenden Sektor verändern. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert SynErgie als eines von vier Kopernikus-Projekten mit zehn Millionen Euro jährlich.

Industrieller Stromverbrauch als Hebel für schwankende Abnahme

„Die Industrie verbraucht etwa 40 Prozent des gesamten Stroms in Deutschland“, erklärt Sauer. „Hier haben wir einen großen Hebel, den Verbrauch flexibler zu gestalten.“ So bestehen etwa zwei Drittel des Energiebedarfs der Industrie aus Wärmeenergie, wovon sich ein höherer Anteil mit Strom erzeugen ließe. Was aber ist in den Dunkelflaute- Monaten Oktober/November? Eine Lösung wäre, Synthesegas aus überschüssigem Sonnen- und Windstrom zu erzeugen, um es in diesen Monaten wieder zu verbrennen. Wie das gelingen kann, erklärt der Wissenschaftler am Beispiel der Magnesium-Gießerei C&C Bark aus Schömberg auf der Schwäbischen Alb. Das Unternehmen betreibt seine Gießzellen elektrisch, für einen Gasbetrieb bräuchte es separate Anlagen. Daher soll nun eine Gießzelle entwickelt werden, die sich von Strom auf Gas umstellen lässt. „Wir wollen ganz klar über den Stand der Technik hinausgehen“, sagt Sauer. „Deshalb sind wir ein stark produktionstechnisch ausgerichtetes Konsortium.“

Die Gießerei ist eines von 13 Teilprojekten im Cluster „Schlüsselproduktionsprozesse“, das Sauer leitet. Daran beteiligen sich Betriebe aus den Schlüsselbranchen wie Auto- und Chemie-Industrie oder Maschinen- und Anlagenbau. Zwei Fragen stehen im Fokus: Welche Potenziale, Energie flexibler zu verbrauchen, gibt es schon heute? Und: Welche Weiterentwicklungen wären nötig, um diesen Anteil zu erhöhen? Im Cluster „Produktionsinfrastruktur“ erarbeiten die Zulieferer für die Industrie zusätzlich, wie sie die Grundprozesse etwa zur Druckluft-, Kälte- oder Wärmeerzeugung energetisch flexibler bereitstellen könnten.

Die Magnesium-Gießerei arbeitet zusammen mit den Forschern an Gießzellen, die sich je nach Energiebedarf von Strom- auf Gasbetrieb umstellen lassen.

Handel mit Energieflexibilität

Im Cluster „Informations- und Kommunikationstechnologie“, das das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) leitet, entwickeln die Beteiligten IT-Plattformen und -Services. Denn, um im Beispiel zu bleiben, die Magnesium-Gießzelle muss die Information erhalten, wann sie auf Strom umschalten soll. In kürzester Zeit müssen also Energiepreise mit dem Verbrauch, den Kosten und Effizienzgraden der Maschine gegengerechnet werden. „Wichtig ist uns, dass das automatisiert abläuft, damit der Betreiber der Anlage keinen Zusatzaufwand hat“, sagt Sauer.

Weiteres Ziel dieses Clusters ist es, Informationen zu bündeln: Einzelne IT-Plattformen sammeln Energiedaten innerhalb der Unternehmen und bringen ein mögliches Flexibilitätsangebot an den Markt. Auf einem virtuellen Marktplatz bieten Kraftwerke und Netzbetreiber ihre Energie an, Industrie- und Markt-Plattform sind über eine Schnittstelle verbunden. „Dort sollen Angebot und Nachfrage zusammengebracht und Energie gehandelt werden.“ Die Grundlagen für die Erzeugerseite soll das Cluster „Markt- und Stromsystem“ ermitteln. Hier legt die Energiebranche fest, welche Formen flexibler Abnahme die Industrie anbieten müsste und welche neuen Techniken der Erzeuger es bräuchte, um mit der Flexibilität umgehen zu können. Ziel ist ein Marktmodell, mithilfe dessen sich der Strom und seine flexible Abnahme handeln lassen.

Unter der Leitung Alexander Sauers arbeiten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des EEP zudem an dem übergreifenden SynEnergie-Cluster „Potenzialanalyse und systemische Betrachtung“. Darin bewerten die Forscherinnen und Forscher das Potenzial, das sie in den Schlüsselbranchen identifizieren, rechnen es auf die Bundesrepublik hoch und liefern damit die entscheidenden Zahlen. Ziel ist es, zum Ende der ersten Projektphase im Herbst 2019 eine seriöse Schätzung abgeben zu können, welcher Anteil des Stroms sich flexibler verbrauchen ließe und was das kosten würde. Denn klar ist: Ohne SynErgie lässt sich die Energiewende nicht umsetzen.
Daniel Völpel

Der Energieverbrauch hat für Unternehmen einen hohen Stellenwert, ist er doch ein wesentlicher Kosten- und Wettbewerbsfaktor. Insbesondere kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) stehen hierbei vor großen Herausforderungen, denn im Vergleich zu Großunternehmen verfügen sie über geringere Ressourcen, Handlungsspielräume und Investitionsmöglichkeiten. Eine Lösung aus diesem Dilemma soll das Forschungsprojekt „EntschEff“ (Entscheidung für Energieeffizienz) bringen. Es wird vom Reutlinger Energiezentrum für Dezentrale Energiesysteme und Energieeffizienz (REZ) geleitet und gemeinsam mit dem Institut für Energieeffizienz in der Produktion (EEP) der Universität Stuttgart sowie der Universität Wien betreut. Dazu kommen sieben produzierende KMU aus Baden-Württemberg sowie Partner aus dem öffentlichen Bereich. Die Partner gehen der Frage nach, wie der Umgang mit Energie in der täglichen Praxis in KMU organisiert wird: Wie laufen Entscheidungen über Energieeffizienzmaßnahmen? Welche Schwierigkeiten ergeben sich dabei und wie können diese überwunden werden? Ziel des Projektes ist es, die treibenden oder hemmenden Prozesse zum Energiesparen und den für Einsatz energieeffizienter Technologien zur identifizieren und zu verstehen. Daraus sollen Handlungsempfehlungen sowie verbesserte Instrumente und Kommunikationsstrategien zu Steigerung der Energieeffizienz in KMU entwickelt werden.

Prof. Dr.-Ing. Alexander Sauer, Institut für Energieeffizienz in der Produktion (EEP), Tel.: +49 711/970-3600, E-Mail

Das Projekt: SynErgie (Synchronisierte und energieadaptive Produktionstechnik zur flexiblen Ausrichtung von Industrieprozessen auf eine fluktuierende Energieversorgung)

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