Prüfstand

Turbogang eingelegt

Labornetzwerk Baden-Württemberg für Elektromobilität eröffnet

Durch das Labornetzwerk (XiL-BW-e) sind schon früh in der Entwicklung ausführliche Tests der Komponenten von Hybrid-Fahrzeugen möglich.
[Foto: IEW]

Bei Antrieben von Elektro- oder Hybrid- Fahrzeugen haben Ingenieure viele Gestaltungsfreiräume, denn noch gibt es kein einheitliches Konzept. Bisher werden die einzelnen Antriebsstrangkomponenten meist unabhängig voneinander entwickelt. Das Labornetzwerk Baden-Württemberg für Elektromobilität (XiL-BW-e) erlaubt es, Komponenten bereits in der frühen Entwicklung im „Gesamtsystem Fahrzeug“ zu testen – auch wenn Teile noch fehlen oder sie an unterschiedlichen Standorten stehen. Die Institute für Elektrische Energiewandlung (IEW) und für Verbrennungsmotoren und Kraftfahrwesen (IVK) der Universität Stuttgart haben dazu ihre Prüfstände mit denen von Partnerinstituten vernetzt.

Wollen Ingenieure heute ein Elektro-Fahrzeug entwickeln, so sind verschiedene Kombinationen aus Anzahl, Typ und Anordnung von Elektromotoren, Getrieben und Batteriesystemen denkbar. Auch auf die Ladetechnik der Batterien – entweder per Kabel oder kabellos – hat man sich noch nicht endgültig geeinigt. Für noch mehr Vielfalt sorgen neben den reinen Elektroautos Hybrid-Fahrzeuge, die sowohl einen Elektromotor als auch einen Verbrennungsmotor haben. Doch es genügt nicht, die Komponenten wie Steckbausteine aneinander zu stecken. „Es gibt einen Systemzusammenhang zwischen den einzelnen Komponenten, den wir uns anschauen müssen“, sagt Florian Winke vom IVK. So entleeren beispielsweise stromfressende Bestandteile die Batterie schneller und verkürzen so die Reichweite der Stromer. Auch der Fahrstil, die Umgebungstemperatur und die Straßenlage wirken sich auf die Reichweite aus. Die Ladetechnik wiederum beeinflusst die Lebensdauer der Batterie und damit die Fahrzeugkosten. Sowohl die geringe Reichweite als auch die hohen Batteriekosten sind derzeit zentrale Schwachpunkte der E-Autos. Für alle Entwickler wird es daher immer wichtiger, Module möglichst früh als Teil des Gesamtfahrzeugs zu testen.

„Der Grundgedanke ist, das System als Ganzes zusammenzubringen, wobei Spezialisten einzelner Komponenten ihr jeweiliges Wissen, ihre Modelle und Prüfstände einbringen und sich vernetzen“, erklärt Winke. Der Maschinenbau-Ingenieur hat zusammen mit seinem Kollegen Jannis Noeren vom benachbarten IEW seitens der Universität das baden-württembergische Labornetzwerk für Elektromobilität (XiL-BW-e) vorangetrieben. An dem Forschungs- und Prüfstandverbund, den das Land mit 10,3 Millionen Euro gefördert hat, sind neben der Universität Stuttgart auch das Karlsruher Institut für Technologie (KIT), die Universität Ulm sowie die Hochschulen Esslingen und Aalen beteiligt.

Ein Hybridauto verteilt über vier Standorte

Im Oktober 2017 wurde das Labornetzwerk am IEW feierlich eröffnet. Ingenieure aus Industrie und Forschung können seither untersuchen, wie verschiedene System- und Antriebsstrangkomponenten untereinander und mit neuartigen Batterien wechselwirken – und das unter möglichst realen Bedingungen. Als ersten Praxistest, den Noeren vom IEW aus steuerte, haben die Verbundpartner beispielsweise ein komplettes Hybridfahrzeug mit Fahrer und Umgebung nachgebildet. Dafür stellte das IEW einen neu angeschafften Elektromotoren-Prüfstand, ein Simulationsmodell für die Leistungselektronik sowie einen virtuellen Fahrer und die digitale Straßenumgebung. Winke wiederum kümmerte sich darum, dass der Prüfstand für Verbrennungsmotoren am IVK richtig in das Netz eingebunden wurde. Die Kollegen in Karlsruhe klinkten sich mit einem Getriebeprüfstand und Simulationsmodellen der Räder, Seitenwellen und Karosserie ein. Und die Ulmer komplettierten das nachgebildete „Hybridauto“ um eine Batteriezelle samt Computermodell der Gesamtbatterie. Winke: „Ein paar Mausklicks genügen, und schon kann ich über das Internet verschiedene Komponenten miteinander koppeln.“ Was nicht real vorhanden ist, lässt sich über eine Echtzeit-Simulation hinzufügen.

Fahrzeugbauer erfahren auf diese Weise schnell, ob sie mit ihrem Prototypen in der Sackgasse stecken, oder wo sie optimieren müssen. Das spart nicht nur wertvolle Zeit, sondern auch Entwicklungskosten. „Bisher musste man die schweren Motoren und das Getriebe aufwendig mit einem Kran aneinander koppeln. Oder man hat Messungen an isolierten Prüfständen gemacht, virtuelle Komponenten in die Messungen mit einbezogen und am Computer zu einem Gesamtmodell zusammengefügt“, erklärt Noeren.

Daten flitzen in Windeseile durchs Netz

Dafür nutzen die Forscher die Glasfaserkabel des Landeshochschulnetzes BelWü. („Baden-Württembergs extended LAN), Netz der wissenschaftlichen Einrichtungen in Baden-Württemberg. Drei Millisekunden dauert es, bis die Messdaten von den Motor-Prüfständen in Stuttgart den Getriebe-Prüfstand in Karlsruhe erreichen und dieser die Getriebereaktion wieder nach Stuttgart zurückgemeldet hat. „Die geringen Laufzeiten sind notwendig, um dynamische Vorgänge abzubilden, beispielsweise den Zustart des Verbrennungsmotors während des elektrischen Fahrens, oder Schaltvorgänge im Getriebe“, erklärt Noeren. Zum Vergleich: Ein heimischer Kabel-Internet-Anschluss hat Laufzeiten von 10 bis 20 Millisekunden. Mit Hilfe der Informatiker der Hochschule Esslingen haben die Fahrzeugexperten ein „virtuelles privates Netz“ (VPN) zwischen den Standorten aufgebaut. Dieses ist nur für die Partner zugänglich und erlaubt ihnen, die Messdaten der Prüfstände verschlüsselt über das Internet zu verschicken.

Die Partner wollen weitere Forschungseinrichtungen für die Idee des Labornetzwerks begeistern. Mit Hilfe des Prüfstandverbunds wollen die Forscher zukünftig etwa intelligente Betriebsstrategien entwickeln, das Verhalten und die Alterung von Batteriezellen untersuchen, kabellose Ladetechniken erforschen und die tatsächlichen Schadstoffemissionen von Hybridfahrzeugen im Straßenverkehr analysieren. „Speziell bei solchen Themen ist es wichtig, das System als Ganzes möglichst realistisch abzubilden“, sagt Winke. Im Labornetzwerk steckt jedenfalls noch viel Potenzial, um die Entwicklung der Elektromobilität voranzubringen.
Helmine Braitmaier

Florian Winke, Institut für Verbrennungsmotoren und Kraftfahrwesen (IVK), E-Mail

Jannis Noeren, Institut für Elektrische Energiewandlung (IEW), Tel.: +49 711/685-68725, E-Mail

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