Durch Autobahnen, ICE und Fluglinien immer enger vernetzt, formiert sich in
Deutschland und in Europa eine immense Städte-Stadt oder Netzstadt, wobei die
einzelnen Städte immer härter konkurrieren, um die wegrationalisierte, ins Umland oder
Ausland verschwindende Industrie zu ersetzen. Um im Standort-Monopoly zu
bestehen, müssen erhebliche Vorleistungen erbracht werden. Dabei spielen neben den
harten Faktoren etwa die strategische Lage, moderne Transport- und
Infrastruktursysteme, ausreichendes Flächenangebot zunehmend die weichen
Standortfaktoren eine entscheidende Rolle: ein positives Stadt-Image, hoher Freizeitwert,
ein weltläufiges Kulturleben, hervorragende Ausbildungs- und Forschungsstätten, ein
attraktives Wohnangebot.
Die Frage nach einer zukunftsfähigen, langfristig für Arbeit und Einkommen sorgenden
Stadtökonomie kann heute wohl nur noch im Rahmen einer qualitativ hochwertigen
Stadtentwicklung gelöst werden; dabei gilt es, alle Ressourcen zu mobilisieren, um ein
möglichst attraktives Stadtprofil zu schaffen.
Diese Aufnahme des Boschareals in Stuttgart aus dem Jahr 1995
ist bald Geschichte; der Abriß hat begonnen. (Quelle: Das Boschareal, 1998, hrsg. vom
Verein zur Förderung und Erhaltung historischer Bauten e.V.). |
Gleichzeitig und nicht weniger wichtig verstärkt
sich die Forderung nach einer neuen Stadtökologie, die schonend mit den natürlichen
Ressourcen umgeht und so für ein nachhaltiges Gleichgewicht der gebauten und
der natürlichen Umwelt sorgt. Hierbei ist die Agenda 21 richtungsweisend,
auch wenn die Schwierigkeiten offensichtlich sind, deren Prinzipien in die Praxis
umzusetzen. Immerhin gibt es, von der Bautechnik bis zum Städtebau, viele neue Konzepte
und Experimente, die einen stadtökologischen Ansatz verfolgen. Dies betrifft vor allem
die Energie, aber auch den Verkehr, die Bodenversiegelung, den Wasser- und
Rohstoff-Verbrauch, das Stadtklima und viele andere Aspekte.
Realistischerweise muß aber auch festgestellt werden, daß einige Trends in die
entgegengesetzte Richtung weisen, wodurch die stadtökologischen Ansätze relativiert,
wenn nicht sogar unterlaufen werden. Dies trifft auf die stetig zunehmende Mobilität zu,
ebenso auf die Tatsache, daß die Städte immer noch wachsen, und dies bei stagnierender
oder sogar abnehmender Bevölkerung. So füllen sich auch die letzten Landschafts- und
Agrarräume der Städte-Stadt längst mit der Zwischenstadt auf, ein
flächendeckendes, semiurbanes Gebilde ohne Anfang und Ende, das den größten Teil
Deutschlands bedeckt.
Eine dritte Herausforderung betrifft die Bewältigung sozialer und demographischer
Tendenzen insbesondere in den Großstädten: Arbeitslosigkeit, die sich öffnende Schere
zwischen Reich und Arm, das Verschwinden traditioneller Familien- und Haushaltsstrukturen,
die rapide Alterung der Bevölkerung, der wachsende Ausländeranteil, die zunehmende
Präsenz multiethnischer und multikultureller Lebensformen. Auch hier ist eine neue
Stadtpolitik gefordert, um die Voraussetzungen für ein nachhaltiges
Zusammenleben der sich verändernden Bevölkerung, ihrer unterschiedlichen Gruppen,
Ethnien und Kulturen zu schaffen.
Zweifellos kann der Städtebau bei der Antwort auf die ökonomischen, ökologischen und
sozialpolitischen Herausforderungen eine wichtige Rolle spielen.
Attraktives Wohnen auf dem ehemaligen Coop-Gelände an der
Heilbronner Straße (Quelle: Erfahrungsbericht Stadterneuerung 19901996, hrsg. von der
Landeshauptstadt Stuttgart). |
Potentiale für die Stadtentwicklung
Die ungenutzte und teilweise verfallende Infrastruktur der klassischen
Industriestadt Hafen- und Bahnarreale, Fabrikgelände und Lagerhallen war noch bis
vor kurzem ein deprimierendes Symbol des Niedergangs. Diese Sicht hat sich nun drastisch
gewandelt, weil auch das enorme städtebauliche Potential dieser oft zentrumsnahen
Flächen erkannt worden ist: Hier können alle jene Funktionen implantiert werden, die in
den Zentren noch fehlen, hier kann durch die Verdichtung der Kernstadt der horizontalen
Expansion entgegengewirkt werden, sogar der extreme Rückbau, das heißt die Umwandlung
der alten Industriearreale in Frei- und Grünflächen ist möglich. Ebenso können diese
Flächen aber auch anderen stadtpolitischen Zielen dienen, etwa der Belebung der extrem
kommerzialisierten Innenstädte und der Verbesserung der Sozialmischung durch
entsprechenden Wohnungsbau.
So eröffnen sich in der Innenentwicklung der Städte plötzlich völlig neue
Möglichkeiten. Die alten Fabrik- und Kasernengelände, die Güterbahnhöfe und
Industriehäfen, soweit sie in der Kernstadt liegen, sind plötzlich zum privilegierten
Experimentierfeld eines neuen Städtebaus geworden, der zeigen muß, ob er einen Beitrag
zur Bewältigung der urbanen Herausforderungen leisten kann. Diese strategische Aufgabe
rechtfertigt in den meisten Fällen auch die erheblichen Kosten.
Aus planerischer Sicht sind die anstehenden Entscheidungen vor allem deshalb spannend, da
es sich in vielen Städten um die letzte große Flächenreserve für die innerstädtische
Entwicklung handelt. Werden diese letzten Leerräume unbedacht besetzt, ist
die Chance für großangelegte Modernisierungsprojekte in der Kernstadt wohl für
Jahrzehnte vertan. Dies vor allem deshalb, weil die Komplexität des Bestands kaum noch
größere Eingriffe zuläßt, oder diese sich aus lokalpolitischen, finanziellen und
planungsrechtlichen Gründen über Jahrzehnte hinziehen.
Die Epoche funktionalistischer und eindimensionaler Lösungen, wie sie die klassische
Moderne im Städtebau hervorgebracht hat, ist endgültig vorbei. Heute ist die extreme
Offenheit des städtebaulichen Entwerfens geradezu zum Programm geworden. Die Suche nach
immer neuen Nutzungen und Mischungen führt zu einer intensiven Durchdringung von Business
und Wohnen, von Kunst und Kommerz, von Information und Unterhaltung, auch von
Quartiersidentität und weltläufigem Tourismus. Es ist auch klar, daß eine möglichst
dichte Packung aller dieser Lebenssphären am konsequentesten als Simulation
gelingt, das heißt als postmoderne Schein- und Kunstwelt, die augenzwinkernd mit allen
möglichen Bauformen und Nutzungsreizen spielt.
Pionierrolle Berlins
In den großen Städten gibt es bereits vielfältige Planungs- und
Projektvarianten, die sich mit citynahen Altflächen beschäftigen; Berlin spielt dabei
zweifellos eine Pionierrolle. Hier gab es wohl die weltweit umfassendste Chance, riesige
zentrale Stadtflächen neu zu nutzen. So sind dort auch die wichtigsten Projekttypen, die
jetzt in vielen Städten und Varianten wiederholt werden, deutlich zu erkennen. Ganz oben
steht dabei der Potsdamer Platz, ein post-modernes Großstadtquartier des 21.
Jahrhunderts, trotz der kritischen Rekonstruktion des alten Stadtgrundrisses
aber auch ein Weltstadt-Implantat, das in jede andere Metropole paßt.
Ebenso prototypisch ist der neue Lehrter Bahnhof, ein Hyperknoten des metropolitanen
Verkehrs und als solcher ein Symbol der stetig zunehmenden Mobilität. Zu einem gewaltigen
Dienstleistungskomplex mutiert, steht dieser Bahnhof nicht mehr isoliert im Stadtgefüge,
sondern wird zum Kristallisationspunkt und Image-Träger eines komplett neuen
Stadtquartiers, das an der angebotenen Verkehrsinfrastruktur nach Kräften partizipiert.
Die Anpassung alter Bahnhöfe und Bahnsysteme an eine neue, europaweite Mobilität ist in
vielen deutschen Großstädten das aktuelle Thema. Wie bei Stuttgart 21, so stehen auch
Frankfurt, München, Leipzig und andere Städte vor der Option, solche Großprojekte in
unmittelbarer Nähe des Zentrums zu realisieren. Trotz der gigantischen Kosten und der
Unsicherheiten, was mögliche Investoren betrifft, liegen Konzepte und Pläne bereits auf
dem Tisch. Dabei sind sich diese Projekte in ihrer Zielsetzung sehr ähnlich, auch wenn
die städtebauliche Ausformung durchaus markante Unterschiede aufweist. Ein Beispiel ist
Stuttgart 21, wo man sich an die bewährten Blockstrukturen der europäischen Stadt hält,
ein anderes ist Frankfurt 21, wo auf dem Bahngelände eine markante
amerikanische Turmgruppe entstehen soll.
Ein weiterer Projekttyp ist die Umnutzung vorhandener Bausubstanz. Die völlige Umwandlung
alter Fabrikgebäude, Lagerhallen und Bahnhöfe in Stätten der Kultur und Unterhaltung
wird bereits überall praktiziert, auch dies ist ein wichtiges Element im
post-industriellen Umbau unserer Städte. Die Umnutzung alter Großbauten und
Gebäudekomplexe hängt allerdings nicht allein von der Planung ab, sondern ergibt sich
fast unvermeidlich aus der strategischen Lage. Dies ist beispielsweise der Fall bei
Hamburgs historischer Speicherstadt, die entgegen der offiziellen Planung zunehmend
unter Umnutzungs- und Aufwertungsdruck gerät.
Ähnliches gilt für die Umwandlung stadtnaher Ufer- und Hafenzonen in attraktive
Waterfront-Projekte und Marinas. Wie in Barcelona haben bereits viele Großstädte und
Metropolen die Chance genutzt, ihre teilweise riesigen Ufer- und Hafenflächen neu zu
nutzen, wie etwa in London die Docklands und in New York das World Financial Center und
die Battery Park City. Aber auch in deutschen Städten wie Frankfurt und Hamburg spielen
Waterfront-Projekte, die auf eine Umnutzung überalterter Ufer- und Hafenarreale aufbauen,
eine zunehmend wichtige Rolle.
Eckhart Ribbeck
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