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Große Resonanz in Medien und Öffentlichkeit fand die im Oktober erschienene Biographie des Feldmarschalls Paul von Hindenburg, die Prof. Wolfram Pyta vom Historischen Institut verfasst hat*). Das Werk versucht, den Ursachen des Verhaltens Hindenburgs auf die Spur zu kommen und zeigt dessen verhängnisvolle Rolle beim Untergang der Weimarer Republik auf. Der Feldmarschall, so das Urteil der Süddeutschen Zeitung, „wird von patriotischer Patina gereinigt und steht plötzlich nackt da“.
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Erzählt wird die Geschichte einer geradezu atemberaubenden politischen Karriere, die sich über drei politische Systeme erstreckte: Kaiserreich, Weimarer Republik und „Drittes Reich“. Hindenburgs ungewöhnlicher politischer Lebensweg vom verabschiedeten General zum Symbol nationaler Integration und schließlich zum Reichspräsidenten führt durch den turbulentesten Abschnitt der jüngeren deutschen Geschichte, nämlich durch die Zeit vom Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 bis zur Etablierung der Herrschaft Hitlers 1933/34. Dabei handelt es sich um eine Phase voller offener Entscheidungssituationen, in denen die Geschichte, wenn andere Entscheidungen getroffen worden wären, einen ganz anderen Verlauf hätte nehmen können. Gerade dieser Umstand rückt Hindenburg in seiner Eigenschaft als Herrscher in das Zentrum des Interesses.
Hindenburg gelang es, unter außergewöhnlichen Umständen eine auf seine Person zugeschnittene Herrschaftsform zu etablieren, so die zentrale These des Werkes. Seine herrschaftlichen Ressourcen ergaben sich daraus, dass er in der politischen Kultur tief verwurzelte Grundannahmen in seiner Person symbolisch fassbar machte. Als symbolpolitischer Akteur verdankte Hindenburg seine Herrschaft dabei im Kern einem Zuschreibungsakt durch weite Kreise der deutschen Gesellschaft. Bereits während des Ersten Weltkrieges konnte er dank seiner symbolischen Leistungsfähigkeit eine auf seine Person bezogene Herrschaft errichten, ohne hierfür durch ein politisches Amt legitimiert zu sein. Mit der Wahl zum Reichspräsidenten der Weimarer Republik im Jahr 1925 erlangte er zum ersten Mal in seinem Leben ein offizielles politisches Amt, in dem er sieben Jahre später bestätigt wurde. Damit verfügte er zusätzlich zu der seiner Person geschuldeten, als charismatisch zu bezeichnenden Autorität über ein zweites Herrschaftsfundament. Doch diese legale, sich aus den Befugnissen des Präsidentenamtes speisende Autorität griff die charismatischen Wurzeln seiner Herrschaft an. Das Agieren Hindenburgs in der Staatskrise von 1932/32, das in die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler mündete, lässt sich aus diesem Spannungsverhältnis zwischen charismatischer und legaler Herrschaft erklären.
Von diesem systematischen Zugang aus leuchtet Pyta die zentralen Entscheidungen Hindenburgs aus und verfolgt sie bis in ihre Verästelungen. Pyta möchte durch diese Anlage auch neue Antworten auf die bohrende Frage geben, warum der auf dem Höhepunkt seiner Amtsautorität stehende Reichspräsident Hindenburg am 30. Januar 1933 eine Art freiwillige Abdankung vollzog und die Regierungsmacht dem „Führer“ der NSDAP anvertraute. Er belegt, dass Hindenburg auch in diesem Fall Herr seiner Entscheidungen blieb und in Hitler denjenigen Politiker erblickte, der unter seiner Regieanweisung die von Hindenburg seit dem Kriegsbeginn im August 1914 unablässig proklamierte „innere Einigung der deutschen Nation“ verwirklichen sollte.
Spannende Anschlussfragen
Die Studie, die in einem der bekanntesten Publikumsverlage erschienen ist, kann als ein weiterer Beleg für die intensive geisteswissenschaftliche Grundlagenforschung an der Philosophisch–Historischen Fakultät gelten. Die Realisierung des Langzeitvorhabens konnte dabei auch von einer Projektförderung durch die Fritz Thyssen Stiftung profitieren. Hindenburgs Herrschaft beruhte nicht zuletzt auf seinem Mythos – und der Mythos besitzt eine narrative Struktur, weil er mit erzählerischen und damit literarischen Mitteln gestiftet wird. Aufbauend auf das Hindenburg-Projekt geht die von Prof. Pyta geleitete Abteilung für Neuere Geschichte denn auch der spannenden Anschlussfrage nach, wie die Imaginationskraft von Literatur dazu dienen kann, politische Ordnungskonzepte zu begründen. „Dazu bieten die Geisteswissenschaften an der Universität Stuttgart beste Voraussetzungen“, betont Pyta. „Denn mit dem ‚Internationalen Zentrum für Kultur- und Technikforschung’ verfügt die Uni über ein Forum, in dem auch grundsätzliche Fragen nach dem Verhältnis von Literatur und Geschichte erörtert werden.“
Wolfram Pyta/amg
*) Wolfram Pyta: Hindenburg – Herrschaft zwischen Hohenzollern und Hitler, Siedler-Verlag, ISBN: 978-3-88680-865-6, 1120 Seiten, Euro 49,95.
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