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Etwa 19 Millionen Menschen leben in der brasilianischen Metropole São Paulo. Eines der drängenden Umweltprobleme ist die Behandlung von kommunalen und industriellen Abwässern, aber auch von Sickerwässern aus den großen Deponien. Allein auf den beiden größten Abfalldeponien São Paulos werden täglich jeweils 7.000 Tonnen Müll abgelagert. Bisher hat man versucht, diese Sickerwässer abzupumpen und sie dann in riesigen Tanklastwagen quer durch die Stadt transportiert, um sie in den kommunalen Kläranlagen der Megastadt aufzubereiten. Dies verursacht eine Sekundärverschmutzung der schon ohnehin stark mit Abgasen belasteten Metropole. Stand der Technik und der Umwelt zuträglicher wäre es, die Sickerwässer an Ort und Stelle zu klären. Die entsprechenden Technologien sind längst verfügbar. Die Universität Stuttgart hat maßgeblichen Anteil daran, dass brasilianische Umweltfachleute nach deutschen Standards ausgebildet werden, die mit solchen und anderen Umweltproblemen und den entsprechenden Technologien umzugehen wissen.
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Schon seit 2001 bieten Wissenschaftler des Instituts für Siedlungswasserbau, Wassergüte- und Abfallwirtschaft (ISWA) der Uni Stuttgart in Brasilien Summer Schools zu Umweltthemen an. Im Winter 2007 startet an der Universidade Federal do Paraná in Curitiba ein professioneller Masterstudiengang mit dem Titel „Kommunaler und industrieller Umweltschutz“. Wissenschaftler des ISWA haben diesen zusammen mit dem Industrieverband SENAI-PR (Serviço Nacional de Aprendizagem Industrial des Bundesstaates Paraná) und Partnern aus der Wissenschaft entwickelt. Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) und das Bundesforschungsministerium (BMBF) fördern den Studiengang im Rahmen des Projekts EDUBRAS (Einführung von deutschen umweltschutztechnischen Studiengängen in Brasilien) mit einer Anschubfinanzierung; das Gesamtvolumen beläuft sich auf rund 1,5 Millionen Euro. Später soll dieses neue Studienangebot auch in anderen Bundesländern Brasiliens eingeführt werden.
Großer Bedarf an Umweltfachleuten
„Der Bedarf für dieses Ausbildungsangebot ist in Brasilien sehr groß", berichtet Dr. Uwe Menzel, Akademischer Direktor des ISWA. Zwar habe man in Brasilien generell die Umwelttechnik als wichtiges Thema erkannt, es fehlen jedoch gut ausgebildete Fachleute. Die Idee für den neuen Studiengang, den Menzel gemeinsam mit seinen Institutskollegen Klaus Fischer und Daniela Neuffer entwickelt hat, ist aus den Erfahrungen mit den Summer Schools entstanden, die der Stuttgarter Wissenschaftler seit sieben Jahren gemeinsam mit dem Forschungsinstitut am Arbeitsministerium Fundacentro in São Paulo und dem brasilianischen, in Curitiba ansässigen Industrieverband SENAI-PR in São Paulo, Curitiba, Belo Horizonte, Recife oder Fortaleza für Umweltverantwortliche aus großen Firmen, Behörden oder Ministerien einmal jährlich anbietet. Das Konzept nimmt auch eine Forderung des Johannesburger Umweltgipfels aus dem Jahr 2002 auf, bis zum Jahre 2015 die Anzahl der Menschen ohne Zugang zu sauberem Trinkwasser zu halbieren. „Zeitgleich mit der Idee kam die Ausschreibung des DAAD-Programms zu Studienangeboten deutscher Hochschulen im Ausland", erzählt Menzel. Bei der Entwicklung des Studiengangs konnte Uwe Menzel auf die Ergebnisse einer Bestandsaufnahme zur Abwassersituation und die abwassertechnischen Rahmenbedingungen in mehreren Bundesstaaten Brasiliens zurückgreifen, die er 2004 im Auftrag des Bundesforschungsministeriums erstellt hatte. Die Versorgung mit Trinkwasser bewertet er als „relativ gut", die Abwassersituation, insbesondere in den nordöstlichen Bundesstaaten Brasiliens, jedoch als „mangelhaft". Eine erste Projektskizze überzeugte rasch. Und auch das für einen Vollantrag erforderliche „ok“ der brasilianischen Partner war aufgrund der guten Kontakte kein Problem. „Mit dieser Idee haben wir in Brasilien offene Türen aufgestoßen", schildert Menzel seine Erfahrungen. Von mehr als 30 Anträgen waren letztlich drei erfolgreich, darunter das Stuttgarter Konzept.
Mit Praxisbezug zum Master
Entsprechend hoch ist die Nachfrage: Nur 50 der Bewerber kommen in die engere Wahl, von denen 35 zugelassen werden. Eine Voraussetzung für die Aufnahme in den Studiengang ist ein dem Bachelor vergleichbarer Abschluss; beim Bewerbungsprozess spielen zudem Kriterien wie Persönlichkeit und Berufspraxis eine Rolle. Die künftigen Umweltfachleute werden in zwei Jahren für den brasilianischen Abschluss und in drei Jahren für den deutschen Abschluss zum Master geführt. Der von der Coordenação de Aperfeiçoamento de Pessoal de Nível Superior (CAPES) des brasilianischen Bildungsministeriums in Brasilia genehmigte Studienplan ist so angelegt, dass hauptsächlich brasilianische Dozenten die Pflichtfächer lehren und dann gemeinsam mit Stuttgarter Dozenten Vertiefungsrichtungen wie industrielle Wassertechnologien, Techniken der Wasserversorgung und -aufbereitung, Abfallmanagement von Siedlungs- und Industrie-abfällen, Hydrochemie und -biologie, Luftreinhaltung und unter dem Stichwort Prävention die Vermeidung von Verschmutzungen anbieten. Die Masterarbeit wird in der Industrie angefertigt; dabei ist die enge Zusammenarbeit mit dem Industrieverband SENAI-PR hilfreich. Die Studiengebühren betragen umgerechnet rund 1.550 Euro pro Trimester. Es wird angestrebt, die Zahl der Studienplätze in den nächsten Jahren noch zu erhöhen.
Ähnlicher Studiengang für die Türkei angedacht
Als „Meilenstein“ auf dem Weg zur Einrichtung des Studiengangs hatten im September 2006 deutsche und brasilianische Wissenschaftler und Industrievertreter auf dem Campus des SENAI in Curitiba eine „Imbuia“ (Ocotea porosa) gepflanzt, die auch als Pfefferholz oder brasilianischer Nussbaum bezeichnet wird. Der Baum, der als Symbol für den neuen professionellen Masterstudiengang „Kommunaler und industrieller Umweltschutz“ steht, ist inzwischen kräftig gewachsen. „Ein gutes Zeichen", meint Menzel, an dessen Institut inzwischen schon ein ähnlicher Studiengang für die Türkei angedacht ist.
zi
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