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Vor gerade mal 20 Jahren hatte man an der Uni Stuttgart noch eine „nicht intelligente, aber lernfähige“ Robotergeneration begrüßt. Im Rahmen des 1984 ins Leben gerufenen Sonderforschungsbereichs „Montage im flexiblen Produktionsbetrieb“ war am Institut für Steuerungstechnik der Werkzeugmaschinen und Fertigungseinrichtungen (ISW) ein Programmiersystem erstellt worden, mit dem sich Roboter über Bildverarbeitungssensoren selbst steuern. Knackpunkt der Entwicklung war jedoch nicht allein „Kollege Roboter“, sondern ein kommunikationsfähiges Gesamtsystem, das es Unternehmen im Zuge der Entwicklung hin zu mehr Produktvarianten mit sinkenden Stückzahlen ermöglicht, kurzfristig und trotzdem wirtschaftlich auf Kundenwünsche zu reagieren. „Automatisierung ja, aber keine starre Lösung“, war die Devise von zehn Uni- und zwei Fraunhofer-Instituten – und 1993 bestand die Handbohrmaschinen produzierende „Modellfabrik für Montage und Logistik“ ihren Praxistest. Aufgebaut am Institut für Arbeitswissenschaft und Technologiemanagement (IAT) wartete sie mit Gruppenarbeitsplätzen statt Fließbandarbeit auf und mit Regelkreisen, die die traditionellen Grenzen zwischen den Rechnerebenen aufhoben.
Erster Transferbereich
In der Folge wurde 1996 als Erster seiner Art an der Uni Stuttgart – und als einer der Ersten überhaupt – der Transferbereich „Montage im flexiblen Produktionsbetrieb“ eingerichtet. Hatte die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) bislang nur Projekte der Grundlagenforschung gefördert, so unterstützte sie nun auch über drei Jahre die Umsetzung dieser Ergebnisse in die Praxis. Die Stuttgarter Wissenschaftler entwickelten ein „besonders innovatives“ Qualitätsinformationssystem (QIS), das bei Messwertabweichungen im Herstellungsprozess rechtzeitig Alarm gibt, und den Prototyp einer flexiblen, leicht auf verschiedene Größen umstellbaren Verpackungsmaschine.
Schnell auf Marktturbulenzen reagieren
Doch zurück zur Lernfabrik für advanced Industrial Engineering (aIE), dem Herzstück der Graduiertenschule*) für „Advanced Manufacturing Engineering“, die im Rahmen der Exzellenzinitiative von der DFG gefördert wird, und zu ihren Wurzeln, dem Sonderforschungsbereich „Wandlungsfähige Unternehmensstrukturen für die variantenreiche Serienproduktion“. Von 1997 bis 2005 arbeiteten mehrere Stuttgarter Uni-Institute zusammen mit der Uni Mannheim an wandlungsfähigen Produktionssystemen, deren Konzepte und Methoden sie zum „Stuttgarter Unternehmensmodell (SUM)“ zusammenfassten. „Für die Existenzsicherung und die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen ist es unerlässlich, dass die Produktionsplaner und Fabrikorganisatoren lernen, wie Turbulenzen auf dem Markt schnell ausgeglichen werden können, ohne die Produktion zu behindern“, erklärt Prof. Engelbert Westkämper, Leiter des Instituts für Industrielle Fertigung und Fabrikbetrieb (IFF) der Uni Stuttgart sowie des Fraunhofer Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA). So werden in der digitalen Lerninsel in Teamarbeit Methoden und Instrumente simuliert, die dann sofort real in der physischen Modellfabrik umgesetzt werden. Mehr Effektivität, Effizienz und Sicherheit bringt dies den Planern und zugleich Reproduzierbarkeit, da alle Daten erfasst und wieder verwendet werden können. Zum Wintersemester 1997/98 hielt die Automatisierung auch Einzug in die Lehre mit dem Studiengang „Automatisierungstechnik in der Produktion“. Da sie die komplexen technologischen Prozesse ganzheitlich beherrschen und den Anforderungen an die moderne, rechnergestützte Produktionstechnik mit mechatronischen Fertigungseinrichtungen gerecht werden, sind die Absolventen in der Industrie sehr gefragt.
Turbogang für die Produktentwicklung
Um mit der zunehmenden Innovationsdynamik Schritt halten zu können, ist er angesagt: Der „Turbogang für die Produktentwicklung“. Mit dem ersten Prototypen soll bei ihm schon das fehlerfreie Modell entstehen, das schnell Serienreife erlangt. Zudem soll er Kosten einsparen, die Produkt- und Prozessqualität erhöhen und zugleich die Kommunikation, Koordination und Dokumentation verbessern. 2006 wird dieser „Turbogang“ in Form des Transferbereichs „Entwicklung und Erprobung innovativer Produkte – Rapid Prototyping“ vorgestellt, der an den gleichnamigen Sonderforschungsbereich von 1994 anknüpft. Zehn Uni- und zwei Fraunhofer-Institute, ein Institut der TU Dresden und ein Automobilunternehmen nehmen sich beispielhaft der Entwicklung eines elektromechanisch verstellbaren Fahrzeugsitzes an. Das Konzept des „Rapid Product Development“ (RPD) nutzt gezielt schnelle Iterationszyklen; physische und virtuelle Prototypen werden situationsgerecht eingesetzt und es gibt selbstorganisierende Teams in dezentralen Strukturen. „Entscheidend für Innovationen in Entwicklungsprozessen sind nicht nur Optimierungen einzelner Schritte, sondern die Optimierung des ganzheitlichen Ansatzes,“ erklärt Prof. Bernd Bertsche vom Institut für Maschinenelemente der Uni Stuttgart. Fernziel der Wissenschaftler ist ein globales 24-Stunden-Engineering, bei dem das Produkt rund um den Erdball ständig in Entwicklung ist.
Die Lernfabrik soll langfristig in ein europäisches Gesamtkonzept, „The European Institute of Technology“, integriert werden. Auf Europa konzentriert sich auch die EU-Technologieplattform MANUFuture, die mit einer neuen Generation von Produktionssystemen zum „Überleben einer wettbewerbsfähigen Produktion in Deutschland und Europa“ beitragen will. Jetzt seien die Weichen richtig zu stellen, damit es zu keiner massiven Abwanderung von Arbeitsplätzen kommt, warnt Engelbert Westkämper, einer der federführenden Köpfe von MANUFuture.
Julia Alber
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