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„Unser aller Sache“

 

Es sei „unser aller Sache“, schrieb Marcel Reich-Ranicki 1964 in der ZEIT, „was da in Frankfurt abgehandelt wird“. Er meinte den großen Auschwitz-Prozess, der den Ort in Ostoberschlesien zum Synonym für den NS-Terror werden ließ. „Die Ermittlung“, Peter Weiss’ dramatische Verarbeitung dieses Strafverfahrens, könnte auch das Lebensmotto des Stuttgarter Zeithistorikers Eberhard Jäckel gewesen sein. Denn Ermittlungen in Sachen Hitler und Holocaust ziehen sich durch sein Forscherleben wie ein roter Faden.

Prof. Wolfram Ressel (rechts) gratuliert dem neuen Ehrendoktor Reint de Boer
 

Bemerkungen zum Werk von Eberhard Jäckel

 
Prof. Wolfram Ressel (rechts) gratuliert dem neuen Ehrendoktor Reint de Boer

 

Prof. Wolfram Ressel (rechts) gratuliert dem neuen Ehrendoktor Reint de Boer

In die Wiege gelegt war ihm die Beschäftigung mit diesem Teil der deutschen Geschichte nicht. 1929 geboren, studierte er Geschichte, Klassische Philologie und Öffentliches Recht in Göttingen, Tübingen, Freiburg, Gainesville (Florida/USA) und Paris. Diese Internationalität prägte auch seine ersten Arbeiten. 1955 zum Dr. phil. promoviert, wirkte er zunächst an der Universität Freiburg. 1961 habilitierte er sich mit seiner Studie „Frankreich in Hitlers Europa“ in Kiel. 1967 erhielt er als Nachfolger von Golo Mann einen Ruf als ordentlicher Professor für Neuere Geschichte an die Universität Stuttgart, an der er bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1997 tätig sein sollte.

Hitlers Herrschaft und Weltanschauung

Sein Blick, der Aufklärung wie der Demokratie verpflichtet, richtete sich in dieser Zeit immer häufiger auf das Dritte Reich und alles, was damit zusammenhing, auf „Hitlers Weltanschauung“ (1969) und „Hitlers Herrschaft“ (1986), um zwei seiner wichtigsten Buchtitel zu zitieren. Dabei nahm die Vernichtung der europäischen Juden zunehmend einen zentralen Raum ein. Denn die Ermordung von annähernd sechs Millionen Menschen wurde – nicht zuletzt durch ihn – als präzedenzloses Verbrechen erkannt, das immer mehr in den Mittelpunkt der NS-Forschung rückte und zur Grundsignatur des Regimes avancierte. Dabei betonte Jäckel stets die dominante Rolle Hitlers und die Singularität des Geschehens. Erstmals arbeitete er heraus, dass der Diktator eine zwar krude, aber in sich geschlossene Weltanschauung besaß. Vor allem besaß Hitler zwei Ziele: den Gewinn von „Lebensraum im Osten“ und die „Entfernung der Juden aus Europa“. Diese Ziele hatte er früh formuliert, und diese Ziele verlor Hitler nie aus den Augen. Mit diesen Thesen wurde Jäckel zu einem der prominentesten Vertreter jener Forschungsrichtung, die man die „intentionalistische Schule“ nannte, und trug wesentlich dazu bei, der Stuttgarter Geschichtswissenschaft ein hohes internationales Ansehen zu verschaffen. Noch heute gilt die Publikation zum „Mord an den Juden im Zweiten Weltkrieg“ als Standardwerk. Sie ging aus einer Konferenz hervor, zu der Jäckel 1985 die namhaftesten Holocaust-Forscher aus aller Welt in Stuttgart versammelte.

   In der Lehre war Jäckel einer der ganz wenigen deutschen Ordinarien, die den Holocaust immer wieder in Vorlesungen und Seminaren behandelten. Auch  Doktorarbeiten aus diesem Themenkreis entstanden bei ihm. Nicht zuletzt deshalb besitzt Stuttgart heute von allen deutschen Großstädten die beste Analyse über ihre Geschichte im Dritten Reich. Zudem war es Jäckel ein großes Anliegen, dass dieses Wissen nicht auf Fachkreise beschränkt blieb. Zusammen mit Lea Rosh drehte er etwa die viel beachtete Fernsehdokumentation „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“. Dass das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin errichtet wurde, ist ebenso sein Verdienst wie die Neukonzipierung der Gedenkstätte Buchenwald. Überhaupt blieb er produktiv bis ins hohe Alter: Noch 2004 erschien die monumentale Quellenedition „Die Juden in den geheimen NS-Stimmungsberichten“, die er gemeinsam mit dem israelischen Historiker Otto Dov Kulka erarbeitet hat.

   So war es mehr als naheliegend, dass Hochschule und Wissenschaftsministerium im April 2001 gemeinsam die „Forschungsstelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart“ ins Leben riefen, die auf der Basis der Ermittlungsverfahren der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen die Verbrechensgeschichte des Dritten Reiches umfassend wissenschaftlich aufarbeiten soll. Die Forschungsstelle konzentriert sich damit auf ein neues Forschungsfeld, das Eberhard Jäckel mit angestoßen hat und das sein Lehrstuhlnachfolger Wolfram Pyta systematisch bearbeitet: Die Frage, in welchem Maße bestimmte Gruppen der deutschen Gesellschaft in das von Hitler angeordnete und legitimierte Menschheitsverbrechen des Holocaust involviert waren. Obwohl die Forschungsstelle 2008 noch nicht einmal sieben Jahre besteht, wird im Januar bereits der 12. Band ihrer Veröffentlichungsreihe erscheinen. Zudem hat sich die Forschungsstelle als deutsches Referenzzentrum der internationalen Holocaustforschung fest etabliert.

Wolfram Pyta

 

 

 

KONTAKT

 
                                                                

Prof. Wolfram Pyta
Historisches Institut
Abteilung Neuere Geschichte
Tel. 0711/685-83450
Fax 0711/685-82757
e-mail: wolfram.pyta@po.hi.uni-stuttgart.de    


   
 
 
last change:20.12.2007/ yj
Pressestelle der Universität Stuttgart