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Szenario: Aufeinandergeschichtete Rinderkadaver verbrennen auf offenem Feld. Dunkler Rauch steigt zum Himmel, der Gestank ist bestialisch. Tierschützer laufen Sturm, Veterinärmediziner wiegeln ab. Gleichzeitig laufen im TV-Sender BBC Bilder eines Todeskampfes: Die 15-jährige Marilyn leidet an der neuartigen Kreuzfeldt-Jakob Erkrankung. Auch hier auf der einen Seite kollektive Entrüstung über ein landwirtschaftliches System, das systemüberschreitend Tiermehl an vegetarische Kühe verfüttert und die Risiken offenkundig unterschätzt. Auf der anderen Seite die Statistiker, die alles in Relation setzen: In den letzten 25 Jahren sind in Europa ungefähr so viele Menschen an dieser Erkrankung gestorben wie durch das versehentliche Trinken von parfümierten Lampenöl.
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Derlei Beispiele zeigen deutlich, dass die naturwissenschaftliche Analyse von Risiken für Mensch und Umwelt mit den wahrgenommenen Risiken der Bevölkerung nur selten übereinstimmt. Gleichzeitig sind Risikoregulierungsbehörden zwischen Statistik, öffentlicher Entrüstung und interessengebunden Handlungsempfehlungen hin und her gerissen. Um diese Konflikte besser verstehen zu können, untersucht eine interdisziplinäre Forschergruppe am Institut für Sozialwissenschaften V in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Zentrum für Kultur- und Technikforschung die Probleme der Risikosteuerung (Risk Governance) und des sozialen und politischen Umgangs mit Risiken in der Gesellschaft.
Aktuelle Forschungsfragen lauten beispielsweise: Versagen unsere politischen und sozialen Systeme, die Risiken für Gesundheit und Umwelt nach rationalen und nachvollziehbaren Kriterien begrenzen sollen? Werden oftmals geringfügige Risiken überschätzt und andere vernachlässigt und warum ist das so? Wie können Wirtschaft, Politik und Gesellschaft rationaler und angemessener mit Risiken umgehen?
Soziologen, Psychologen, Volkswirte, Ingenieure und Naturwissenschaftler arbeiten gemeinsam an solchen Themen. Am Beispiel von Lebensmittelsicherheit, Klimaschutz, Nanotechnologie, Bioenergie und vielen anderen Anwendungen untersuchen die Stuttgarter Forscher und Forscherinnen Risiken und Chancen, identifizieren individuelle und soziale Wahrnehmungen und bereiten Impulse zur Gestaltung von Steuerungsprozessen vor. Zu den Auftraggebern zählen die DFG, die EU, Ministerien und obere Bundesbehörden sowie private Stiftungen. Einen Überblick über die Ergebnisse der in Stuttgart durchgeführten Forschungsarbeiten gibt das neue Buch von Ortwin Renn, Pia-Johanna Schweizer, Marion Dreyer und Andreas Klinke mit dem Titel „Risiko. Über den gesellschaftlichen Umgang mit Unsicherheit“ (erschienen im ÖKOM Verlag 2007).
Ortwin Renn
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