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Neue Untersuchung zur Geschichte und Zukunft des Stadtwohnens
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Urbane Vielfalt statt Häuschen im Grünen
Vom Ort für Kinderreiche zum vitalen Zentrum der kreativen
Klasse: Das urbane Stadtwohnen war über die
Epochen von verschiedensten
Haustypen und Wohnformen geprägt. Die Beispiele zeigen ein
Bremer Haus
um die Jahrhundertwende, entkernte Innenhöfe im
Stuttgarter
Bohnenviertel sowie die HafenCity in Hamburg.
(Fotos:
Wolfgang Voigt, Stadt Stuttgart, HafenCity GmbH, Hamburg)
Nach Jahrzehnten der Stadtflucht ist das Schlagwort von
der „Renaissance
der Städte“ inzwischen in aller Munde. Doch welche Haustypen
und Wohnformen prägten das urbane Stadtwohnen in historischer
Perspektive und welche Bedingungen müssen erfüllt sein,
damit Menschen, die sich das Häuschen im Grünen durchaus
leisten könnten, in die einst verschmähten Zentren zurückkehren?
Diesen Fragen gingen Wissenschaftler des Instituts für Wohnen
und Entwerfen (IWE) sowie des Städtebau–Instituts der
Uni Stuttgart im Rahmen des Forschungsprojekts „Stadtwohnen“ nach.
Die Ergebnisse der historisch fundierten und international ausgerichteten
Analyse, die von der Wüstenrot-Stiftung in Auftrag gegeben
und finanziert wurde, erschienen im Januar in einer viel beachteten,
auch für Laien ansprechend aufgemachten Publikation.*)
Die
Suche nach Alternativen zum „Moloch Stadt“ mit seinen
beengten Wohnverhältnissen hat in Deutschland eine lange Tradition.
Schon Goethe schrieb die Prosafassung seiner Iphigenie im Gartenhaus,
Romantiker und Jugendbewegung proklamierten das Motiv „Zurück
zur Natur“. Mitte des 19. Jahrhunderts setzt die „Stadtflucht“ der
bürgerlichen Schichten in großem Umfang ein. 100 Jahre
später fand sie ihre Zuspitzung im städtebaulichen Leitbild
vom Einfamilienhaus am Stadtrand oder auf dem Lande, politisch
gewollt und mit Pendlerpauschalen und Eigenheimzulagen kräftig
subventioniert. Rechtliche Besonderheiten unterstützten die
Entwicklung: So war es in Deutschland bis in die 1950er-Jahre hinein
nicht zulässig, eine Eigentumswohnung zu erwerben. „Großzügige
Wohnblocks wie etwa in Paris sowie eine positive Wertschätzung
des urbanen Wohnens konnten dadurch erst gar nicht entstehen“,
erklärt Prof. Tilman Harlander, Leiter des Fachgebiets Sozialwissenschaftliche
Grundlagen des IWE.
Die Folge dieser „suburbanen Strategie“ war
eine Abstimmung mit den Füßen: Wer es sich leisten konnte,
zog in die Baugebiete an der Peripherie, die Innenstädte bluteten
aus. „Man sprach von so genannten A-Städten, in denen
sich vorrangig Arme, Auszubildende und Ausländer sammelten“,
skizziert Harlander die Negativdebatte, die gleichwohl den Kern
für einen Paradigmenwechsel in sich barg. Das Europäische
Denkmalschutzjahr 1975 sensibilisierte die Menschen für die
historische Bausubstanz der Innenstädte, in ersten Bürgerinitiativen
regte sich Widerstand gegen die radikale Kahlschlagsanierung der
Nachkriegszeit. Vorbilder für diese neue Wertschätzung
der Zentren fanden sich im Ausland, so zum Beispiel in Bologna
oder Krakau. In Stuttgart wurde das Bohnenviertel, das zunächst
einem Neubau des Technischen Rathauses hätte weichen sollen,
nach heftigen Auseinandersetzungen saniert und in ein attraktives
innerstädtisches Wohnviertel umgewandelt.
Neue Haustypologien:
Stadthäuser und Lofts
Damit einher ging die (Wieder)entdeckung
von Haustypologien, die das Stadtwohnen attraktiv machen. Beispiele
hierfür sind Stadtvillen und Stadthäuser, aber auch die
klassischen Wohnblocks, deren dustere Innenhöfe entkernt wurden,
um Platz schaffen für Grünbereiche und Spielplätze.
Dazu kamen neuartige Typen wie Lofts, die zunächst in ehemaligen
Fabrik- oder Speicherhallen, später auch in Neubauten entstanden.
Sie sind charakteristisch für das Wohngefühl des späten
20. Jahrhunderts. „Anstelle der bis dahin üblichen funktionalistischen
Grundrisse treten flexible Raumkonzepte, die den Wunsch nach Nutzungsneutralität
ausdrücken. Sie spiegeln die vielfältigen Interessen
der Menschen im Laufe ihrer Wohnbiographie“, erklärt
Prof. Johann Jessen, verantwortlich für den Bereich „Grundlagen
der Orts- und Regionalplanung“ am Städtebau-Institut.
Um die Jahrtausendwende schlägt sich die Trendwende auch in
der Statistik nieder. Nachdem sich Bevölkerungszuwächse
in den Zentren insbesondere im Zuge der „neuen Wohnungsnot“ um
1990 vorrangig aus dem Zuzug von Migranten gespeist hatten, siedelt
sich nun ein neuer Typus von Innenstadtbewohnern an: Gut situiert,
berufstätig, kulturell interessiert… Der Wettbewerb
um diese „kreative Klasse“ ist in den Metropolen längst
entbrannt. Um ihn zu gewinnen oder auch nur für Normalverdiener
attraktiv zu sein, müssen sich die Städte allerdings
etwas einfallen lassen. „Suburbanisierung ist heute weniger
ein Indikator für den Willen zu Stadtflucht als dafür,
dass eine Stadt kein nach Größe, Preis und Qualität
angemessenes Angebot hat“, betont Harlander.
Vielfältige
Fallbeispiele
Um substantiell zu ergründen, welche Faktoren
das „Stadtwohnen“ attraktiv machen und welche Architekturtypen
sich im Laufe der Geschichte bewährt haben, wurden im Rahmen
der auf drei Jahre angelegten Studie 30 Fallbeispiele untersucht.
Die Auswahl fiel nicht leicht, sollten doch die verschiedenen Epochen
ebenso berücksichtigt werden wie aktuelle Projekte sowie wegweisende
Beispiele aus dem europäischen Ausland. Mit der Untersuchung
beauftragt wurden Experten, die mit den spezifischen Gegebenheiten
vor Ort in besonderer Weise vertraut sind – Architekten und
Stadtplaner, Historiker und Soziologen, aber auch leitende Museumsmitarbeiter
und Architekturkritiker. Damit die heterogene Autorenschar zu vergleichbaren
Ergebnissen gelangen konnte, galt es zunächst, für alle
Projekte Vorgaben zu definieren. Eine wichtige Rolle spielte dabei
die einheitliche Kartierung der untersuchten Wohnprojekte. Um Details
aufzuzeigen, wurden Stadtpläne mit Archivmaterialien zusammengeführt. „Dadurch
lässt sich beispielsweise auf den Straßenzug genau ablesen,
welche Wohntypen in einem Stadtviertel zu finden sind, welchen
Wert die Häuser hatten und wer darin wohnte“, erklärt
Dr. Gerd Kuhn vom IWE am Beispiel verschiedener Topographien des
Frankfurter Stadtteils Sachsenhausen. Weitere Kriterien waren die
Entstehungsgeschichte, die städtebauliche Typologie sowie
die Grundrisse der Wohntypen.
Besonderes Augenmerk richteten die
Wissenschaftler auf die Nutzung der Gebäude nach ihrer Fertigstellung.
Ziel war es, aufzuzeigen, welche Haustypen und Strukturen über
die Jahre erfolgreich waren und was zum „Kippen“ eines
Wohnbezirks führt. Wie wechselvoll eine solche Nutzungsgeschichte
sein kann, zeigt das so genannte Bremer Haus, ein traditionsreicher
Reihenhaustyp, der zunächst für Großfamilien konzipiert
war. Durch Alterung und Aufteilung in Kleinwohnungen wurden die
Häuser in der Folgezeit allmählich abgewertet und kamen
mehr und mehr herunter. Ab 1975 entdeckte man die Häuser neu,
stellte sie unter Denkmalschutz und renovierte sie. Heute sind
die Objekte als stadtnaher, auch für kleine Geldbeutel erschwinglicher
Wohnraum wieder begehrt.
Renaissance ist kein Selbstläufer
„Ein wohnkultureller Trendwechsel, eine neue Nachfrage nach urbanen Haustypen
und Wohnformen, hat eingesetzt“, folgern die Wissenschaftler – allerdings
nicht in allen Städten und nicht in der gesamten Innenstadt. „Wir
erleben seit der Wiedervereinigung Deutschlands eine weit uneinheitlichere Entwicklung
der Städte als vorher, nicht nur in Deutschland selbst, sondern auch im
internationalen Vergleich.“ Die Ergebnisse der Studie sind deshalb nicht
nur für Städteplaner, sondern auch für Politiker brisant. „Es
ist eine zentrale Herausforderung, die städtebaulichen Voraussetzungen für
urbanes Wohnen zu schaffen.“ Gefragt sind ein breites Spektrum an Haus-
und Wohnungstypen, deren Grundrisse sich an die Bedürfnisse neuer Haushaltstypen
wie Singles, Wohngemeinschaften oder auch auf an die Verbindung von Wohnen und
Arbeiten anpassen. Angesichts der exorbitanten Bodenpreise in den Innenstadtlagen
sind dabei nicht nur Architekten gefordert. Auch bei der Wohnbauförderung
oder den Formen der Bauträgerschaft sind neue Ideen gefragt. sondern erfordert „Urbanes
Wohnen ist Vielfalt, im Denken der Städte ist dies jedoch noch nicht verankert“,
betonen die Wissenschaftler. „Ein Selbstläufer ist
die Renaissance des Stadtwohnens nicht.“ amg
Sozialtopographie der Hausbesitzer im
Frankfurter Stadtteil Sachsenhausen um 1850. Neben dem Adel
und Staatsbeamten (blau) dominierten Wirtschaftsbürger
(rot) sowie Handwerker und Kleinhändler (orange). (Grafik:
Ralf Roth) |
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*) Tilman
Harlander (Hg.): „Stadtwohnen – Geschichte, Städtebau,
Perspektiven“, Deutsche Verlagsanstalt/ Wüstenrot Stiftung,
München 2007, ISBN 978-3-421-03560-8, Euro 49,95
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Prof.
Tilman Harlander
Institut für Wohnen und Entwerfen
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e-mail: iwe@iwe.uni-stuttgart.de
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