Forschung hinter den Kulissen >>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>
Wie Autos leiser werden
Zum dritten Mal lud die Pressestelle der Universität Stuttgart
im Dezember zur Reihe „Forschung hinter den Kulissen“ ein,
um Vertretern der Medien abseits des täglichen Aktualitätsdrucks
in den Redaktionen spannende Einblicke in die tägliche Forschungsarbeit
der Uni-Institute zu ermöglichen. Gastgeber war das Institut
für Angewandte und Experimentelle Mechanik. Im Mittelpunkt
stand ein höchst aktuelles Thema: das leisere Auto.
Karajan dirigiert, der CD-Spieler gibt die Kunst des Orchesters
perfekt wieder – nur der Hydroschall produziert leidige Zwischentöne.
Ausgehend von den Brems- und Kraftstoffleitungen des Autos wird
dieser auf die Leitungsstruktur sowie auf angrenzende Fahrzeugkomponenten übertragen,
regt sie zu Schwingungen an und führt zu Geräuschen,
die für Fahrer und Beifahrer nicht nur in Kombination mit
den Werken großer Komponisten durchaus störend sind.
Optimierte Leitungsdynamik
Das muss nicht sein, sagte sich das Team um Prof. Lothar Gaul,
den Leiter des Instituts für Angewandte und Experimentelle
Mechanik, zumal diese Schwingungen nicht nur für störende
Geräusche verantwortlich sind, sondern im ungünstigsten
Fall auch das Material schwächen. In enger Zusammenarbeit
mit der Robert Bosch GmbH entwickelten die Stuttgarter Wissenschaftler
im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG)
geförderten Transferbereichs „Simulation und aktive
Beeinflussung der Hydroakustik in flexiblen Leitungen“ einen
innovativen Bremsleitungsprüfstand. Mit seiner Hilfe können
die Ingenieure messtechnisch bestimmen, wie sich die Druckanregung
der Flüssigkeit in Brems- und Kraftstoffleitungen auf das
Schwingungsverhalten der angrenzenden Komponenten auswirkt. „Der
Prüfstand kann in allen drei Koordinaten messen“,
betont Lothar Gaul. Auch gekrümmte Bremsleitungen und Anbaustrukturen
stellen für ihn somit kein Hindernis dar.
Hydroakustischer Bremsleitungsprüfstand und Simulationsmodell
des Leitungssystems. (Foto:
Institut)
„Unsere Simulation stimmt mit den in der Realität erfolgten Messungen überein“,
erklärt Jan Herrmann. Wenn der Doktorand an den Reglern des hydroakustischen
Bremsleitungsprüfstandes dreht, dann geht das ganz schön aufs Gehör
der Besucher und am Computermonitor mehren sich die Peaks.
Für die Praxis
bedeutet das am Institut für Angewandte
und Experimentelle Mechanik entwickelte Simulations- und Animationstool:
schon in der Entwurfsphase eines Autos können
viele Schwingungsvorfälle beobachtet und daher ausgeschlossen werden;
zugleich wird es möglich, die Leitungsanordnung wie auch die Aufhängung
entscheidend zu verbessern. Beste Aussichten für Firmen, die wie Bosch
Bremssysteme herstellen und ihren Kunden aus der Automobilindustrie somit zu
einer Schwingungs- und Geräuschreduktion bei ihren Fahrzeugen verhelfen
können, zur Optimierung der Bremsleitungsdynamik und zu guter Letzt auch
noch zur Gewichtsreduktion. Da bei dieser Art der Geräuschreduzierung
aufwendige Beschichtungen zur Dämmung nicht mehr notwendig sind, werden
die Autos nämlich nicht nur leiser, sondern auch leichter.
Jan Hermann demonstriert das neue System zur Schwingungsregelung
in der Fahrgastzelle.
Im Hintergrund Institutsleiter Prof. Lothar
Gaul.
(Foto: Eppler)
„Transparent“ Karosserieschwingungen
begegnen
Eine weitere Möglichkeit, den Geräuschpegel im Innenraum
eines Fahrzeugs zu reduzieren, stellt Lothar Gaul am Beispiel eines „Body
in white“ vor, einer unbeschichteten Sportwagenkarosserie.
In ihrer Fahrgastzelle wurde eine modale Schwingungsregelung umgesetzt.
Die Forscher haben, um den durch die Schwingungen der Karosserie
erzeugten Schall zu reduzieren, Aktuatoren und Sensoren – in
Form undurchsichtiger, flexibler Folien – am Ort der Schallentstehung
angebracht. Entsprechend den Informationen, die die Sensoren aufnehmen
und an die Aktuatoren weiterleiten, nehmen diese piezoelektrischen
Polymere Einfluss auf die Karosserie und damit auf die schallerzeugenden
Schwingungen. Der Autofahrer kann daher mit einer beträchtlichen
Schallreduktion rechnen. Um die Optik des Fahrzeuges nicht zu beeinflussen
und um neben den Schwingungen der Karosserie zugleich auch die
der Fahrzeugscheiben zu reduzieren, arbeiten die Forscher derzeit
an transparenten, durchsichtigen Wandlern. Die Erfindung ist schon
patentiert, sie wird aktuell an einem Fahrzeug erprobt und – ein
erfreulicher Aspekt – das Interesse von Seiten der Automobilindustrie
ist schon groß. Julia
Alber
KONTAKT
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Prof. Lothar Gaul
Institut für Angewandte und Experimentelle Mechanik
Tel. 0711/685-66278
Fax 0711/686-66282
e-mail: gaul@iam.uni-stuttgart.de
>>>>http://www.iam.uni-stuttgart.de
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