Salomon Korn über deutsch-jüdische Normalität >>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>
Schwarze Löcher des Schweigens
Einen nicht nur rhetorisch brillanten Vortrag hielt der Gastredner
der zehnten Theodor-Heuss-Gedächtnisvorlesung, Prof. Salomon
Korn, über die deutsch-jüdische Normalität. Der
Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland veranschaulichte
am 11. Dezember 2007 diese gesellschaftliche Normalität anhand
seiner Familiengeschichte. Innerhalb nur einer Generation wurde
die orthodox-jüdische Familie „vom Mittelalter in die
Neuzeit katapultiert.“ Eine Geschichte, die auch als exemplarischer
Beitrag zur deutsch-jüdischen Normalität gelten kann.
In der Aufhebung der Unterschiede und der Einkehr der Normalität
zwischen beiden Kulturen sieht Salomon Korn seine Lebensaufgabe.
(Foto:
Eppler)
Eine solche Normalität hat es im Nachkriegsdeutschland (noch)
nicht gegeben. Dabei leben Juden seit 1.700 Jahren in Deutschland.
Länger als manche „deutschen“ Stämme, die
sich im Zuge der Völkerwanderung angesiedelt haben. Der Ausbruch
des Nationalsozialismus zwang die Überlebenden des Holocaust
zur Emigration. Die Eltern Korns gelangten über Kasachstan
nach Polen und schließlich in ein Auffanglager für „displaced
persons“ nach Frankfurt am Main. Frankfurt war nur als „Wartesaal“ zur
Auswanderung in die USA oder nach Israel gedacht. Schleichend wurde
aus dem „Wartesaal“ ein Zuhause, das noch lange nicht
fertig ist, gerade weil das deutsch-jüdische Verhältnis
kein normales ist. Der promovierte Architekt Korn sieht hierin
seit langer Zeit seine Lebensaufgabe: In der Aufhebung der Unterschiede
und der Einkehr der Normalität zwischen beiden Kulturen.
Als „schwarze Löcher des Schweigens in den Seelen der
Täterkinder“ bezeichnete Prof. Korn das größte
Hindernis, das einer deutsch-jüdischen Normalität im
Wege steht. Die erste Generation sprach nicht; zur zweiten wurde
nicht gesprochen; es bleibt die Hoffnung, dass in der dritten und
vierten Generation diese Löcher verschwinden. Erst dann kann
von einer deutsch-jüdischen Normalität gesprochen werden.
Es bleibt eine „transgenerationelle“ Aufgabe, sich
mit den nationalsozialistischen Menschheitsverbrechen auseinanderzusetzen.
Zwar gibt es heute keinen „eliminatorischen Antisemitismus“ in
Deutschland mehr, dafür aber einen latenten, „Schulddruck
abwehrenden“ Antisemitismus. Korn sieht hierin die Gründe,
warum die Juden immer noch als das Symbol des dunkelsten Kapitels
der deutschen Geschichte empfunden werden – „Das Unbehagen
am Unbehagen“.
Die Einkehr der deutsch-jüdischen Normalität braucht
Zeit. Aus den Fehlern der Vergangenheit gilt es, für die Zukunft
noch Vieles zu lernen. Wenn der „Jude“ als Individuum
und nicht mehr als Kollektiv angesehen wird, spielt es auch keine
Rolle, ob es ein Jude ist oder nicht. Das Adjektiv „jüdisch“ würde
mit der Zeit verschwinden. Man würde nicht mehr von der „jüdischen
Intelligenz“, vom „jüdischen Geist“, vom „jüdischen
Kapital“ sprechen. Das Ganze würde darauf hinauslaufen,
dass deutsch-jüdische Normalität kein Thema mehr sei. Nikolaos
Karatsioras
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