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Reihe: Fragen an die Wissenschaft >>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>
Lockere Gedanken zur Mathematik
Im Rahmen der Reihe „Fragen an die Wissenschaft“,
die die Uni Stuttgart gemeinsam mit der Volkshochschule Stuttgart
(vhs) und der Stuttgarter Zeitung organisiert, sprach am 26. Februar
im Treffpunkt Rotebühlplatz Timo Weidl vom Lehrstuhl für
Analysis und Mathematische Physik. Seine zahlreichen Zuhörer
unterhielt der Professor von der Uni Stuttgart gut zwei Stunden
lang mit einer Sammlung lockerer Gedanken zur Mathematik – als
Anregung, um über dieses Fach nachzudenken.
Mathematik, das sei weder Kopfrechnen, das Umrechnen von Maßeinheiten
noch Bruchrechnen, erklärte Timo Weidl zum Einstieg. Die „Kunst
des Lernens“, wie sich das aus dem Griechischen stammenden
Wort Mathematik übersetzen lässt, beginne dort, wo das
einfache Rechnen aufhört. In diesem Sinne sei das, was einst
der kleine Carl Friedrich Gauß getan hatte, Mathematik gewesen:
statt, wie von seinem Lehrer gefordert, die Zahlen 1 bis 100 Zahl
für Zahl zu addieren, suchte er einen anderen Weg und rechnete.
Der Mathematiker denke über das Warum nach, suche nach effizienten
Lösungen und interessiere sich besonders für Lösungsmethoden,
die auf weit mehr Probleme anwendbar sind als nur auf das aktuell
untersuchte, sagte Weidl – und „gerade diese Universalität
hebt die Mathematik unter den anderen Wissenschaften hervor“.
Fach ohne Schublade
Im Jahr der Mathematik wird Timo Weidl oft gebeten, Vorträge
zur Mathematik zu halten, „aber bitte mit möglichst
wenig Mathematik“, schmunzelte der Professor. Mathematiker
untereinander würden normalerweise „in Mathematik“ reden
und von dem großen Vorteil leben, dass sie sich länderübergreifend
verstehen. Chinesen, Deutsche, Spanier, Engländer, sie alle
haben die gleichen Begriffe und Symbole definiert. Das eigentlich
philosophische Geheimnis der Mathematik ist laut Timo Weidl: „Wir
denken nach den richtigen Regeln“. Die für den Laien
zumeist eher abschreckenden Symbole seien „Gewohnheitssache“,
versicherte er, und verlören schon nach dem ersten Semester
ihren Schrecken. Ob sein Fachgebiet eher den Natur- oder Geisteswissenschaften
zuzuordnen ist? Für Timo Weidl ist das keine Frage: „Mathematik
ist Mathematik und baucht keine Schublade.“ Ihre Anwendung
sei deren Blut, ihre Seele, die Theorie – und, „sie
ist eine Sprache, die mit Kollegen gesprochen werden muss.“
Wozu ein Jahr der Mathematik, hätten sich die in ihrer Selbstdarstellung
eher zurückhaltenden Mathematiker überrascht gefragt,
erzählte Timo Weidl. „Im Hinblick auf die vielen Studierenden,
die ihr Studium der Natur- und Ingenieurwissenschaften gerade wegen
der Mathematik abbrechen, hat man dieses Jahr aber wohl als Tritt
in den … zu verstehen, um auf die Öffentlichkeit zuzugehen“,
meinte der Professor. Die Schüler müssten besser auf
die Uni vorbereitet werden. So könne man ihnen beispielsweise
beibringen, wie man Vorlesungen hört und nachbereitet. Die
Abschaffung des Mathe-Leistungskurses und die Einführung des
grafischen Taschenrechners sieht Weidl als fachspezifische Fehlentwicklungen
in Baden-Württemberg: „Im Studium rechnet man nicht
mit dem Taschenrechner, und wenn, dann mit dem Laptop und mit einem
ordentlichen Programm.“ Von den Pädagogen von morgen
erwartet der Mathe-Professor, dass sie dazu motivieren, Schwierigkeiten
zu überwinden und ein offenes Arbeitsklima schaffen können,
bei dem man ohne Angst lernen und sich über Fehler unterhalten
kann, denn: „Es gibt keinen Königsweg zur Mathematik,
man muss sie sich erarbeiten.“
Beeindruckende Kosten-Nutzen-Rechnung
„Mathematik beginnt, wo das Rechnen aufhört“:
Prof. Timo Weidl.
(Foto:
Eppler)
Müsste er einen Finanzminister überzeugen, die Mathematiker
zu bezahlen, Timo Weidl wäre um Argumente nicht verlegen:
Obwohl der Mathematiker in seiner täglichen Arbeit keine unmittelbar ökonomischen
Auswirkungen zeigt, ist die Mathematik dennoch die Wissenschaft
mit der beeindruckendsten Kosten-Nutzen-Rechung, wenn man betrachtet,
wie viel mit ihr erreicht, und wie wenig für sie ausgegeben
wurde. Eine unnütze Mathematik gibt es nicht – was gestern
noch „reines Vergnügen“ für eine Doktorarbeit,
kann morgen schon essenziell für die verschiedensten Anwendungen
sein. Und schließlich: Der Mathematiker benötigt nur
Zeit, Ruhe, Papier, einen Bleistift, eine große Tafel nebst
einer großen Bibliothek und einen Laptop mit Internetanschluss.
Eine große Gefahr für die Mathematik sieht Timo Weidl
in der Vergabepraxis von Fördergeldern. „Nur das wird
bei der Förderung bezuschusst, dessen Erfolg sicher ist“,
berichtete er. Dabei entstehe gerade die wirklich interessante
Mathematik an der Grenze des Machbaren und beinhalte die Gefahr
des Scheiterns.
Julia
Alber
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