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Internationalisierungsprozesse in Literatur und Wissenschaft >>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>
Von der Gelehrtenrepublik zur Globalisierung
Die Globalisierung hat internationale Forschungskooperationen
ebenso beflügelt wie die weltweite Konkurrenz um qualifizierte
Köpfe. Vor diesem Hintergrund hat das Auswärtige Amt
das Jahr 2009 zum Jahr der Außenwissenschaftspolitik erklärt.
Doch wie bewertet man Internationalität und welche Kriterien
tragen zu gelungenen Internationalisierungsbewegungen bei? Grundlagenforschung
dazu leistet ein neues, binationales Promotionsprogramm am Institut
für Literaturwissenschaft der Uni, das aus Mitteln des Deutschen
Akademischen Austausch Dienstes (DAAD) gefördert wird.
Das
Projekt, an dem neben der Uni auch das Deutsche Literaturarchiv
Marbach, das Institut für Geschichte der Medizin der Robert
Bosch Stiftung sowie das King‘s College London beteiligt
sind, untersucht die komplexen Prozesse der Internationalisierung
in Literatur und Wissenschaft seit der frühen Neuzeit. Im
Mittelpunkt steht dabei die Frage nach den Bedingungen und Mechanismen,
die dazu führen, dass ein in einer Nationalsprache verfasstes
Werk im Ausland aufgegriffen wird. Ebenso beleuchten die Wissenschaftler
die Rückwirkungen solcher Prozesse auf die deutsche Wissenschaft.
Hierzu sollen ausgewählte historische Wechselbewegungen nebst
ihren Strukturen und Wissenschaftspersönlichkeiten exemplarisch
untersucht werden. Ein solcher Komplex ist die Gelehrtenrepublik
der Frühen Neuzeit, die sich mit Wissenschaftlern wie dem
Humanisten Erasmus von Rotterdam oder später dem Mathematiker
und Philosophen Gottfried Wilhelm Leibniz verbindet. Auch die Gründung
der ältesten ununterbrochen existierenden medizinisch-naturwissenschaftlichen
Akademie, der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina im
Jahr 1652, ist ein Beispiel für diese Bewegung. „Wissenschaftler
kommunizierten damals auf Latein. Sie hatten nicht die Grenzen
einer Nation, sondern die gemeinsame Kultur im Blick“, erklärt
Prof. Sandra Richter von der Abteilung Neuere Deutsche Literatur
I, die das Projekt koordiniert. Auch die Kernphase der Ausbildung
und Aufteilung des Literatursystems und der ‚modernen‘ Wissenschaftsdisziplinen
zwischen 1750 und 1900 sowie die Historisierung der Geisteswissenschaften
im 19. Jahrhundert werden als Beispiele internationaler Wechselwirkungen
herangezogen.
Wissenschaftshistorisch nicht weniger spannend ist
jene Gegenbewegung, die im 19. Jahrhundert zu einer Nationalisierung
der wissenschaftlichen Landkarte führte und die bis heute
in allen westlichen Ländern dominante nationalsprachliche
Gliederung der Geisteswissenschaften nach sich zog. Einen weiteren
Arbeitskomplex bietet die klassische Moderne des frühen 20.
Jahrhunderts mit ihren internationalen Avantgarden und ihrer emphatischen,
mitunter auch kritischen Betrachtung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse.
Schließlich spannt das Programm den Bogen zur Gegenwart und
fragt, wie sich historische Internationalisierungsprozesse in der
heutigen Literatur- und Wissenschaftslandschaft fortsetzen beziehungsweise
welche Modifikationen sie erfahren. „Derzeit erleben wir
eine Art Wiedererfindung der Gelehrtenrepublik unter anglo-amerikanischen
Vorzeichen – übrigens mit ähnlichen Schwierigkeiten
wie damals“, kommentiert Richter die aktuelle Entwicklung.
Frühes
Beispiel der Internationalisierung: In Schweinfurt wurde 1652
die Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina gegründet.
(Foto: Leopoldina) |
Im Rahmen dieser historischen Schwerpunkte fragen die
Wissenschaftler auch, warum sich einige Disziplinen wie die
Astronomie und die Astrophysik sehr früh und intensiv internationalisierten,
während Fachgebiete wie zum Beispiel die Germanistik nur
zögerlich aus den nationalen Schranken ausbrechen. „Über
die Gründe kann man bisher nur spekulieren“, sagt
Sandra Richter. Neben fachspezifischen Kriterien wie der Sprache
dürften historische und politische Faktoren eine Rolle
spielen. So war es unter anderem der erzwungene Exodus der
deutschen Forscherelite im dritten Reich, der den USA ihre
bis heute gültige Führungsrolle in vielen Wissenschaftsbereichen
bescherte. Heute führt die politisch geprägte Islamismus-Debatte
zu einem zunehmenden Interesse an den Islamwissenschaften,
was wiederum Kooperationen mit Universitäten in der Arabischen
Welt zugute kommt. Einflüsse kommen aber auch aus der
Wissenschaft selbst: „Gerade junge Forscher nehmen zunehmend
wahr, dass es einen globalen Markt für Talente gibt“,
erklärt Richter. „Sie gehen dahin, wo in der Wissenschaft
das eigentlich Spannende stattfindet.“
Für derlei
Ambitionen bietet das neue Promotionsstudium hervorragende Startbedingungen.
Es umfasst einschließlich der Dissertation eine Regelstudienzeit
von sechs Semestern, wobei jeder Doktorand kontinuierlich von
mindestens einem englischen Lecturer/Professor oder einem deutschen
Professor betreut wird. amg |
KONTAKT
_________________________________________________
Prof.
Sandra Richter
Institut für Literaturwissenschaft
Abteilung
für Neuere Deutsche Literatur I
Tel. 0711/685-83065
e-mail:
sandra.richter@ilw.uni-stuttgart.de
> > > www.uni-stuttgart/ilwndl/studienangebote/index.html
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