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Ein intellektuelles Spiel >>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>
Wie die Kunst zum Sport kam
Noch vor der Fußball-Europameisterschaft, der Tour de France
und den Olympischen Spielen im Sommer 2008 luden das Institut für
Literaturwissenschaft, Abteilung Romanische Literaturen I, das
Institut für Sport- und Bewegungswissenschaft sowie das Internationale
Zentrum für Kultur- und Technikforschung am 9. Juni zu einem „intellektuellen
Spiel“. Das Symposium „Wie die Kunst zum Sport kam – Kulturwissenschaftliche
Ansichten vom Sport“ bestach durch Akteure von Universitäten
aus ganz Deutschland, die alle in den oberen Ligen ihres Fachs
spielen.
Körperpoetik
oder Fußlümmelei? Der italienische Filmregisseur
Pier Paolo Pasolini beim Fußball.
(Entnommen aus: Valerio Piccioni: Quando giocava Pasolini, Arezzo 1996 |
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Den „Anpfiff“ gab Prof. Reinhard
Krüger von der Uni Stuttgart mit seinem Vortrag „Der
Sportler als Hyperanthropos, oder: Wie Künstler in Frankreich,
Italien und Brasilien zum Sport kamen“. Kunst und Sport
präsentierte er einander nahe, da von der Überlebensnotwendigkeit
enthoben. Die sportliche Aktivität, wie etwa den Speerwurf,
sei die „Simulation einer Gebrauchsbewegung“,
losgelöst von ihrem ursprünglichen Zweck. Den Sportler
als hochmodernen Menschen stellte er unter anderem am
Beispiel von Sir Arthur Conan
Doyles Roman
„The Boxer Rodney Stone“ vor oder an Alfred Jarrys Roman „Le
Surmal“ von 1901, der die Verschmelzung von Mensch und Technik thematisiert. Ähnlich
inspiriert ist Robert Delaunays Bild „L’Equipe de Cardiff“,
das eine Rugbymannschaft zwischen Eiffelturm, Riesenrad und Flugzeug – Symbolen
der Moderne – zeigt.
Als Reaktion auf einen „Medienkrieg“ mit der Sportzeitschrift „l’Auto“ veranstaltete
die Zeitschrift „le Vélo“ im Jahr 1903 die
erste Tour de France. Wie diese in der Presse zum großen
Heldenereignis und zur Lebensphilosophie gemacht wurde, griff
Dr. Dietrich Scholler von der Ruhr-Universität Bochum
in seinem Vortrag „Die Geburt des Sportjournalismus aus
dem Geiste der Tour de France“ auf. Die Etappen der Tour,
die den Franzosen ihr Vaterland näher bringen sollte,
folgten den natürlichen Landesgrenzen. Erst nach dem Zweiten
Weltkrieg bedurfte es dieser nationalen Selbstvergewisserung
nicht mehr – die Streckenpläne weiteten sich auf
das Landesinnere aus.
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Von der Fußlümmelei zum Fußball
„Sie kommt zum Sport, weil sie eingeladen wird“, antwortete
Dr. Karin Rase (Berlin) in ihrem Beitrag „Von der ‚Fußlümmelei?
zur Fußballkunst“ auf die Frage, wie denn die Kunst
zum Fußball käme. Klinsmann auf der Titelseite der Zeitschrift „Cicero“, „das
Wunder von Bern“ in Porzellan als Rosenthalproduktion – heute
gibt es die „Fußballkunst“. „Das war nicht
immer so“, erläuterte Rase. Im Zeitalter der Zeitungsgründungen
entwickelte sich zuerst der Boxsport als Kunstmotiv. Der Fußball
dagegen wurde zunächst stets als „Fußlümmelei“ bezeichnet
und in Karikaturen dargestellt. Erst um 1920 mit Gründung
der Zeitschrift „Kicker“ erhielt er seine eigene Plattform.
„Fußball als Körperpoetik“ hatte Prof.
Gunter Gebauer von der Freien Universität Berlin seinen Vortrag überschrieben,
der sich der tiefen Gegensätze im Fußball annahm, der
Schönheit und der Gemeinheit. Das willkürliche und kräftige
Traktieren des Balls sei eine „gemeine Handlung“, da
hier eine perfekte Form, die zugleich an die Welt erinnert, mit
dem Fuß getreten werde. Die besondere Poetik des Spiels,
so Gebauer, werde durch die vorgegebenen Beschränkungen erzeugt,
wie etwa die groben Schuhe oder die Ungeschicktheit der Füße.
Um Erfolg zu haben, sei daher immer die Kombination von Stärke
und Gewalt mit Finesse, vorausschauendem Handeln und Raffiniertheit
verlangt.
Körperpoetik oder
Fußlümmelei? Der italienische Filmregisseur Pier
Paolo Pasolini beim Fußball.
(Entnommen aus: Valerio Piccioni: Quando giocava Pasolini, Arezzo 1996)
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Dem „Beitrag des Fußballs zur
Stiftung kollektiver Identität“ ging Prof. Wolfram
Pyta von der Universität Stuttgart auf den Grund. Das
Spiel mit dem Ball in Deutschland beschrieb er als ein Spiegelbild
des Föderalismus: War das Interesse am Fußball
bis in die 1930er Jahre auf internationaler Ebene zweitrangig,
so trat mit dem WM-Titel 1954 ein Prozess der nationalen
Vergemeinschaftung ein. Im Zuge der zunehmenden Europäisierung
verlagerte sich das nationale Bewusstsein auf Handlungsfelder,
in denen ein nationaler Ausdruck möglich ist, ohne dabei
einen neuen Nationalismus zu erzeugen. Bei der Fußballweltmeisterschaft
2006 in Deutschland, so Pyta, kam in der Darbietung der Nation
Deutschland der Wunsch nach nationaler Identität zum
Ausdruck. Der „Fußballsprache“ begegnet
man in Tageszeitungen, Sportzeitschriften und Fußballlehrbüchern.
Prof. Franz Simmler von der Freien Universität Berlin
analysierte exemplarisch Artikel aus einem Sportmagazin und
einer Tageszeitung und nahm dabei die Form und den Inhalt
von Oberzeile, Überschrift und Unterzeile unter die
Lupe. Während Lehrbücher keine besondere Fachsprache
wählen, benutzen Sportzeitschriften oft Begriffe wie „einknallen“ oder „verladen“,
erklärte Simmlers. Spannende Sprachkonstruktionen bieten
auch Überschriften wie diese: „72. Minute: Ein
selten schöner Zug von Dieter Müller über
Fischer zu Hansi Müller“ – ein viergliedriger
Nominalsatz, ganz ohne Verb.
Die Vorträge werden voraussichtlich
Anfang 2009 veröffentlicht. Ein weiteres Kolloquium über
Kunst und Sport ist geplant.
Julia Alber
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