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Genderforschung aus Historischer Perspektive >>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>

Was macht den Mann zum Mann?

Gender Studies (Geschlechterforschung) werden in der Öffentlichkeit meist mit dem Stichwort Frauen in Verbindung gebracht. Tatsächlich geht es jedoch um die Analyse von Geschlechterdifferenzen, wobei auch die Entstehung von Männlichkeitsbildern einen wichtigen Forschungsbereich darstellt. Aufschlussreich sind dabei Personengruppen, die nicht in das scheinbar selbstverständliche Schema von männlich und weiblich passen, wie zum Beispiel der Klerus, das Militär oder männliche Prostituierte. Beiträge dazu waren ein Thema der Tagung „Eine weitere Dialektik der Aufklärung“, die von der Abteilung Landesgeschichte der Uni in Zusammenarbeit mit der Volkshochschule Stuttgart im November 2008 durchgeführt wurde.

Hätte man einen Fürstbischof des Alten Reiches nach seiner Männlichkeit gefragt, so hätte er mit dieser Frage wohl schlichtweg nichts anzufangen gewusst. Aus der Sicht der modernen Genderforschung dagegen sind diese Reichsfürsten der katholischen Kirche, die geistliche Macht und weltliche Herrschaft in Personalunion vereinten, ein spannendes Forschungsfeld. Denn sie erfüllen einerseits die von der Moderne formulierten „weiblichen“ Rollenmuster wie etwa Magie, sollten ihren Körper Vermeidungshaltungen wie Keuschheit oder Fasten unterziehen, eine verhüllende, entsexualisierende Amtskleidung tragen und sich einem dynastischen Gefüge unterordnen. Andererseits weisen Fürstbischöfe aber auch modern-„männliche“ Muster auf wie zum Beispiel die Öffentlichkeit ihrer Tätigkeiten zur Mehrung von Ruhm und Ehre oder ihr Mäzenatentum. Darüber hinaus zählen androzentrische, hypermännliche Konstrukte wesentlich zur Rollendefinition, wenn Bischöfe bis heute auf der absoluten Vorrangstellung des Mannes beharren und eine moralische Ordnung vertreten, in der Moralität mit Stärke, Mut und Beherrschung der Begierden des Körpers in Verbindung gebracht wird.
„Gerade weil geistliche Fürsten nicht mit modernen Kategorien zu beschreiben sind, eröffnet sich die Möglichkeit, historische Figuren bei der Konstruktion ihrer Rollen und der Belegung mit bestimmten Geschlechtlichkeiten zu beobachten“, erklärt Dr. Mareike Menne vom Historischen Institut, die im Rahmen von Untersuchungen zum frühmodernen geistlichen Staat auf den Gender der Fürstbischöfe stieß. Dabei interessiert weniger, ob sich die Herrscherinnen und Herrscher nun tatsächlich „männlich" oder „weiblich" benahmen, sondern wie diese Zuschreibung oder Erfindung des Geschlechts in ihrer Wahrnehmung und späteren Deutung erfolgte.

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Die sieben Kurfürsten wählen Heinrich von Luxemburg zum König. Links im Bild, kenntlich an ihren Kopfbedeckungen, die drei Kurfürsten, die zugleich Erzbischöfe sind. (Köln, Mainz, Trier).
(Foto: Landeshauptarchiv Koblenz)

  Standen dabei im 18. Jahrhundert noch Einzelcharaktere im Vordergrund, so kommt es im 19. Jahrhundert mit dem Ende der Ständegesellschaft und der Etablierung der professionell-preußischen Geschichtsschreibung zur Herausbildung von Typologien. So wurden Fürstbischöfe einerseits als herzensgut, fürsorglich, gut gebildet, oft musisch begabt oder interessiert wahrgenommen. Andererseits galten sie auch als unentschieden, schwach, unbelehrbar und als weiche Naturen, die zu kühnen Luftschlössern neigten und zur staatlichen Organisation nicht fähig waren. Vor allen Dingen aber mangelte es ihnen an den Pflichten eines wahren Patrioten und an Ehre. Tatsächlich verloren die Fürstbischöfe nach dem Zusammenbruch des ständischen Systems einen Teil ihrer Identität und wurden vom Fürsten zum Untertanen. Die aufgeklärte bürgerliche Kritik erklärte und rechtfertigte dies im Nachhinein mit ihrer unzureichenden Ausbildung beziehungsweise mangelnden Fachkompetenz. Nach preußischen Männlichkeitsvorstellungen galten Fürstbischöfe als „unmännlich“ und wurden als „anormal“ stigmatisiert.Aus heutiger Sicht sind diese Rollenzuschreibungen von Bedeutung, wenn es um die Frage alternativer Staatskonzepte beziehungsweise das Funktionieren politischer Systeme geht. Ist Herrschaft männlich? Zieht man die Jahre 1800 bis 2000 heran, so ist dies wohl zu bejahen.

In der Vormoderne dagegen hätte es keine eindeutige Antwort gegeben, auch, weil Herrschaft noch nicht zwingend männlich besetzt war. „Die Pointe ist also, dass die Trennung von männlich und weiblich und der damit einhergehende Machtverlust der Eigenschaft ‚weiblich’ Ergebnisse der Aufklärung sind – und keineswegs dank ihr überwunden wurden“, sagt Menne. „Die eindeutigen Geschlechterzuordnungen in Politik und Regentschaft werden heute langsam erneut in Frage gestellt.“

Schizophrene Anpassungsleistung

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Starker Mann nur außerhalb des Kasernenhofs: Soldaten mussten in punkto geschlechtlicher Identität bisweilen eine schizophrene Anpassungsleistung erbringen.                                              (Foto: Institut)

 

Eine ähnlich schizophrene Anpassungsleistung in punkto geschlechtlicher Identität wie die Fürstbischöfe mussten Soldaten erbringen, wenngleich aus ganz anderen Gründen. Über diese Gruppe forscht Daniel Kirn von der Abteilung Landesgeschichte des Historischen Instituts. Innerhalb der Armee war das sich am Ende des 18. Jahrhunderts ausbildende und biologisch begründete bipolare Geschlechtermodell aufgehoben. Ein „starker Mann“ war der Soldat nur dann, wenn er mit seinem Gewehr und seiner Uniform im Schutz der Kompanie über die Straßen marschierte. Innerhalb der Kaserne dagegen hätten starke männliche Ideale den Gruppenfrieden gefährdet und zu Konflikten mit den Vorgesetzen geführt. Außerdem verlangte der praktische Alltag von den Soldaten die Übernahme weiblich besetzter Arbeiten wie Küchen- und Putzdienste. Gelöst wurde dieses Dilemma durch eine straffe militärische Organisation und die Vorstellung, die militärische Ordnung ahme die bürgerliche Familie nach, an deren Spitze der Vater in Person des Offiziers stand, die Mutter durch die Unteroffiziere sowie die einfachen Soldaten als Kinder vertreten wurden. Die Soldaten selbst arrangierten sich im Übrigen mit den widersprüchlichen Normen und Rollen und versuchten vor allem, ihren Dienst unauffällig zu beenden*).

 

 

 

 

 

 

Sozialer Aufstieg mit Körpereinsatz
Wenn es um die Rollenänderung des Mannes vom 18. zum 19. Jahrhundert geht, kann auch die Prostitutionsforschung Hinweise liefern. Sie ist ein weiteres Themenfeld von Daniel Kirn. Unter dem Begriff Prostitution wird dabei recht allgemein verstanden, dass Menschen sich im Tausch einer Gegenleistung sexuell verdingen. Im Zentrum von Kirns Arbeit  steht der Adel des 18. Jahrhunderts. Dort war die homosexuelle Prostitution so weit verbreitet, dass Liselotte von der Pfalz einst an eine Freundin schrieb: „Wollte man alle diejenigen köpfen, welche für Männer in Liebe erglühen, möchten wir wohl nur recht wenige Ritter übrig haben…“. Weniger offensichtlich, gesellschaftlich aber eher geduldet waren Formen der heterogenen Prostitution, bei denen sich Männer in der Rolle des Kurtisan wiederfanden. Von der englischen Königin Elisabeth sowie Katharina der Großen sind mehrere Liebhaber bekannt, und Württembergs Herzog Eberhard Ludwig bannte den Skandal um seine Mätresse Wilhelmine von Grävenitz, indem er letztere kurzerhand mit einem Adeligen niederen Ranges verheiratete, den er dafür zum württembergischen Landhofmeister ernannte. Diese Entlohnung ist charakteristisch für sich prostituierende Männer: Sie wurden nicht nur mit Vermögenswerten bedacht, sondern auch mit Macht, Titeln und Rängen, mit Protektion und anderen Formen des sozialen Aufstiegs. Dieser Status wurde den Männern meist oft auch dann nicht genommen, wenn sich die Frau einen anderen Liebhaber nahm.
Aus Genderperspektive lässt sich festhalten, dass die Prostitution von adeligen Männern im 18. Jahrhundert nicht moralisch verurteilt wurde, sondern im Gegenteil eine wirksame Strategie darstellte, um relativ zügig einen höheren sozialen Status zu erreichen. Erst mit der Französischen Revolution und dem Vordringen des „aufgeklärten Denkens“ änderte sich diese Einstellung: Peu à peu setzte sich auch beim Adel die Auffassung durch, dass der Mann seine soziale Stellung nicht unter Einsatz des Körpers, sondern durch eigene geistige Leistung verbessern sollte. Eine genauere Untersuchung dieses Bruchs in der gesellschaftlichen Wertung männlicher Prostitution, so Kirn, könnte neue Beiträge zum Verständnis der Frühen Neuzeit und der Moderne liefern.                                                          amg

*) Mehr zu den württembergischen Soldaten und ihrem Alltag in der Dissertation von Daniel Kirn: „Soldatenleben in Württemberg 1871-1914“, Stuttgart 2009, ISBN: 3506765922.

 

KONTAKT
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Historisches Institut
Dr. Mareike Menne
Tel. 0711/685-82496
e-mail: mareike.menne@po.hi.uni-stuttgart.de

Daniel Kirn
Tel. 0711/685-83447
e-mail: daniel.kirn@po.hi.uni-stuttgart.de