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100 Jahre Futurismus >>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>
Vorwärts, immer vorwärts!
Die Gesellschaft der Gegenwart zeichnet sich durch eine stetige Technisierung
und Beschleunigung aus. Oft werden diese Elemente der Modernisierung beklagt.
Doch wer 100 Jahre zurückblickt, findet eine Bewegung, die die Beschleunigung
und Mobilisierung begeistert feierte: Den Futurismus. Inwieweit diese Revolution
ihre Spuren in der Geschichte, Gesellschaft und Kultur des 20. Jahrhunderts
hinterlassen hat, war Thema eines internationalen Symposiums im Mai, das vom
Internationalen Zentrum für Kultur- und Technikforschung (IZKT)/Italienzentrum
der Uni in Kooperation unter anderem mit der Staatsgalerie Stuttgart und der
Staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst veranstaltet wurde.
„Wir wollen die Liebe zur Gefahr besingen, die Vertrautheit mit Energie
und Verwegenheit“. … „Wir erklären, dass sich die Herrlichkeit
der Welt um eine neue Schönheit bereichert hat: Die Schönheit der
Geschwindigkeit“. – So hieß es im Gründungsmanifest
des Futurismus, das Filippo Tommaso Marinetti am 20. Februar 1909 in der französischen
Tageszeitung „Le Figaro“ veröffentlichte. Es war die Geburtsstunde
der ersten europäischen Avantgarde-Bewegung. Ihr provozierend und forciert
vorgetragenes Programm zur Erneuerung und Modernisierung der Künste und
der Gesellschaft erlebten enthusiastische Aufnahme, aber auch vehemente Kritik.
Die Veränderungen der modernen Lebenswelt, die um die Jahrhundertwende
in Form des Automobils und der Eisenbahnen, der Elektrizität und der großen
Industrien, des Telefons und der Massenmedien Einzug in das Alltagsleben gefunden
hatten, wurden zu Ausgangspunkten einer Bewegung. Eine veränderte Wahrnehmung
sollte nicht nur die künstlerisch-literarische Produktion, sondern das
gesamte gesellschaftlich-kulturelle System revolutionieren.
Das Stuttgarter Symposium reihte sich als eine der wenigen deutschen Veranstaltungen
in den internationalen Kalender der Feierlichkeiten zur Gründung des italienischen
Futurismus ein. Unter dem Titel „100 Jahre Futurismus. Kunst, Technik,
Geschwindigkeit und Innovation zu Beginn des 20. Jahrhunderts“ zielte sie
darauf ab, die vielfältigen Ausdrucksformen dieser ersten Avantgardebewegung
einer breiteren Öffentlichkeit in Deutschland bekannt zu machen und zugleich
jene Aspekte kritisch zu beleuchten, die nicht nur das 20. Jahrhundert, sondern
auch die Wahrnehmung der modernen Welt nachhaltig beeinflusst haben. Dem in Deutschland
vorherrschenden Bild des Futurismus als einer rein in den bildenden Künsten
angesiedelten Bewegung, deren Nähe zum italienischen Faschismus nicht selten
auf eine Gleichsetzung mit diesem hinausläuft, stellten die international
angesehenen Futurismusforscher ein detailliertes, aber keineswegs unkritisches
Bild einer gesamtgesellschaftlich relevanten Avantgardebewegung gegenüber.
Dies sollte insbesondere der Vortrag von Angelo D’Orsi und Francesca Chiarotto
deutlich machen. Der Futurismus erwies sich als wichtiger Impulsgeber für
die europäische Kunst, Kultur und Gesellschaft des 20. Jahrhunderts.
Die Futuristen und wir
Eine erste Sektion des Symposiums widmete sich aus historisch-vergleichender
Perspektive der Rezeption des Futurismus in Deutschland. Der Akzent der Diskussionen
lag überwiegend auf den Spuren, die der Futurismus in den Bereichen Kunst,
Kultur und Gesellschaft hinterlassen hat, sozusagen auf seinem kulturellen „Erbe“. „Sind
wir heute noch Futuristen?“, so lautete die Frage. Und: Wollen wir es
sein? Ein Teil der Beiträge setzte sich konkret und aus interdisziplinärer
Perspektive mit der Technikbegeisterung der Futuristen und ihrer literarisch-künstlerischen,
aber auch musikalisch-performativen Innovationen auseinander. Gerade hier wurde
deutlich, dass viele der vor 100 Jahren artikulierten Visionen in der heutigen,
maßgeblich medial-technologisch geprägten Gesellschaft des frühen
21. Jahrhunderts Alltagswirklichkeit geworden sind. |
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Futuristisches Klangspektakel für alle Sinne: Das Stuttgarter Vokalensemble
Exvoco. (Foto:
Eppler) |
Das wissenschaftliche Programm wurde ergänzt durch hochkarätige kulturelle
Veranstaltungen. So präsentierte der Florentiner Pianist Daniele Lombardi
in einem beeindruckenden Konzert futuristische und avantgardistische Kompositionen.
Das Stuttgarter Vokalensembles „Exvoco“ sorgte mit einem anspruchsvollen
Lautspektakel für Furore, das alle Innovationen avantgardistischer Bühnenperformance
einbezog. Zum Abschluss lockte ein gastronomischer Performance-Event im Restaurant „Gast“ der
Staatsgalerie, der alle Sinne beanspruchte. Studierende der Akademie für
Darstellende Kunst Baden-Württemberg trugen dem Skandalpotential, welches
dem Futurismus stets per definitionem innewohnte, auf ihre Weise Rechnung,
indem sie das Publikum mit gezielten, teilweise schockierenden Aktionen provozierten. uk
KONTAKT
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Dr. Elke Uhl
Internationales Zentrum für Kultur-
und Technikforschung
Tel. 0711/685-82379
e-mail: elke.uhl@izkt.uni-stuttgart.de
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