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Giovanni di Lorenzo bei der Theodor-Heuss-Gedächtnis-Vorlesung >>>>>>>>>>
Werte ja – aber welche?
Wer am 8. Dezember zu spät in den Hörsaal in der Keplerstraße
17 kam, fand nur noch Stehplätze vor, um zusammen mit Giovanni di Lorenzo
der Frage „Auch unsere Generation hat Werte – aber welche?“ nachzugehen.
Der Chefredakteur der Wochenzeitung „Die Zeit“ war im Rahmen der
11. Theodor-Heuss-Gedächtnis-Vorlesung zu Gast, einer Veranstaltungsreihe
der Stiftung Bundespräsident-Theodor-Heuss-Haus und der Universität
Stuttgart.
„Ein Vortrag über die Werte verliert nie an Attraktivität,
immerhin hat schon Sokrates über die Jugend geklagt“, sagte Uni-Rektor
Prof. Wolfram Ressel und lud das Auditorium zu einem Abend ein, der „zum
Nachdenken, zur Reflexion und zur Diskussion anregt“. Und das tat der
Vortrag von Giovanni di Lorenzo in der Tat. Die Generation der heute 30- bis
50-Jährigen müsse mit vielen Vorurteilen leben, meinte der Referent
und hatte plastische Beispiele parat. So müsse sich diese Generation vorwerfen
lassen, dass sie als „Weich-Eier“ und „Streber“ den
Kampf gegen das Waldsterben oder das Kernkraftwerk Brunsbüttel zu ihren
größten Herausforderungen zähle und die Politik nur noch als
Event betreibe. „Spätestens seit dem Fall der Mauer haben wir alle
Sorgen hinter uns gelassen und machen nur noch Party, Jogging und Karriere“,
sagte di Lorenzo, der sich mit seinen 49 Jahren selbst zur „Generation
der Beckmanns, Westerwelles und Schirrmachers“ zählt – „Schicksalsgenossen“,
die er durchaus schätzt.
Buchstabierte Werte neu: Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo. (Foto:
Godel) |
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Dabei fehlt es nicht an einem breiten Spektrum guter Absichten:
Waren vor zwei Jahren laut der Zeitschrift „Stern“ noch Ehrlichkeit,
Gerechtigkeit, Mut, Verantwortung, Anstand, Solidarität und Treue
die geltenden Werte, so sind nach einer Ende 2007 in der „FAZ“ publizierten
Studie des Instituts für Demoskopie Allensbach inzwischen Familiensinn,
Treue, Bildung, Höflichkeit und Sparsamkeit im Kommen. „Alles
gewiss lobenswerte Eigenschaften“, merkte Giovanni di Lorenzo an, „aber
keine politischen Werte, die am Gemeinwohl orientiert sind“. Stellvertretend
für seine Generation hatte er sich daher die Aufgabe gestellt, an
diesem Abend einige zeitgemäße und unumstößliche
Werte zu formulieren – „darunter mache ich es nicht“.
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Nachhaltigkeit, Fairness, Toleranz
Das Wachstum hat Grenzen – man denke nur an Erdöl und Wasser. Im
Zuge eines „grassierenden Wachstumswahns“ werde dies aber zumeist
verdrängt, monierte di Lorenzo und leitete daraus seinen ersten Wert ab:
die Nachhaltigkeit. Kein besonders schönes Wort, merkte der Journalist
an, es gebe aber leider kein besseres. Ursprünglich aus der Forstwirtschaft
stammend besagt es, dass immer nur so viele Bäume abgeholzt werden sollen,
wie nachwachsen können. „Auch wir sollten nur so viel verbrauchen,
wie sich von selbst regenerieren kann, und bei all unserem Tun an die kommenden
Generationen denken“, forderte Giovanni di Lorenzo und folgerte: „Wachstum
und Konsum ja, aber nicht gedankenlos und unbegrenzt.“
Die Fairness, in Anlehnung an den amerikanischen Philosophen John Rawls verstanden
als eine bestimmte Form von Chancengerechtigkeit, führte der Chefredakteur
der ZEIT als zweiten Wert an. „Gerade die wirklich Bedürftigen,
die Menschen am unteren Rand der Gesellschaft, haben keine Lobby, und bevor
wir über Pendlerpauschale und Mindestlohn reden, sollten wir erst einmal
sicherstellen, dass wirklich jeder in diesem Land eine faire Chance hat“.
Immense Bedeutung attestierte di Lorenzo schließlich dem dritten Wert,
der Toleranz. Respekt gegenüber dem Fremden und Anderen sei eine Grundvoraussetzung
für das Zusammenleben der Kulturen, befand er. Toleranz, das sei nicht „Wischiwaschi
und Multikulti“, sondern fordere die Mitarbeit der Einwanderer, betonte
Giovanni di Lorenzo: „Wer in Deutschland lebt, muss bestimmte Grundwerte
anerkennen.“ Toleranz bedeute keineswegs, jede Weltanschauung gut zu
heißen und zu billigen, sondern vielmehr, andere Lebensweisen zu ertragen,
sofern sie nicht die universalen Menschenrechte verletzen – „auch
wenn sie einem widerstreben.“
Generation des effizienten Idealismus
Gegenüber Parolen wie „Nie wieder Faschismus!“ oder „Mehr
Demokratie wagen!“ möge manch` einer „Toleranz“, „Fairness“ und „Nachhaltigkeit“ als „lahme
Enten“ abtun, mutmaßte Giovonni di Lorenzo, „dabei sind dies
komplexe Werte in einer unübersichtlich gewordenen Welt.“ Und so
hatte er jenseits aller Vorurteile für die Generation der 30- bis 50-Jährigen
zum Abschluss eine versöhnliche Bezeichnung parat: „Sie ist die
Generation des effizienten Idealismus, die pragmatisch nach Lösungen sucht.“ Julia
Alber
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