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Computersimulationen menschlicher Bewegung >>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>
Von der Wirbelsäule bis zu Muskeln
Um den menschlichen Bewegungsapparat besser zu verstehen und dessen Therapiemöglichkeiten
auszuloten, spielen Computermodelle eine immer wichtigere Rolle. Die Basis
für ein solches „Menschmodell“ bildet die numerische Beschreibung
der biomechanischen Prozesse während der Bewegung. Sie ist der Schwerpunkt
der Arbeitsgruppe „Computersimulation menschlicher Bewegung“ am
Institut für Sport- und Bewegungswissenschaft (InSpo) und ein Forschungsgebiet
des Exzellenzclusters „Simulation Technology“ (SimTech) der Uni
Stuttgart.
Jede fünfte Frau und jeder siebte Mann in Deutschland leiden an Rückenschmerzen.
Die Ursachen sind vielschichtig und können von Erkrankungen der Knochen
oder Gelenke, des Bindegewebes, der Muskeln oder bestimmter Nerven herrühren.
Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen, hauptsächlich Verschleißerscheinungen
der Bandscheiben und Wirbelkörper der Lendenwirbelsäule, stellen
dabei einen großen Teilbereich dar.
Um die Zusammenhänge zu erforschen, wurden in den letzten Jahren komplexe
Computermodelle der Wirbelsäule entwickelt. Hierbei sind zwei Gruppen zu
unterscheiden: Feinskalige Strukturanalysen, die einzelne Elemente der Wirbelsäule
darstellen und gut geeignet sind, um zum Beispiel die Spannungsverläufe
im Wirbelkörper und in der Bandscheibe aufzuzeigen. Dazu kommen grobskalige
Mehrkörpersimulationen, bei denen biomechanische Modelle des gesamten Rumpfes
oder gar des ganzen Menschen erstellt werden. Solche Mehrkörpersimulationen
(man spricht auch von Starrkörpersimulationen) der menschlichen Bewegung
sind gut geeignet, um das Verständnis des Zustandekommens von degenerativen
Veränderungen im Bereich der Wirbelsäule zu verbessern.
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Möchte man die beiden Betrachtungsweisen
jedoch zusammenführen, kommt es zu einem so genannten Mehrskalenproblem,
dem die SimTech-Forscher den sinnreichen Namen „Homunkulus“ gegeben
haben: Das bedeutet, dass je nach Detailgrad der Betrachtung und Fragestellung
die passenden Modelle des Menschen und Simulationsmethoden eingesetzt
werden müssen. So zeigt die makroskalische Betrachtung zwar die
Gesamtabläufe, lässt aber zum Beispiel anatomische Veränderungen
innerhalb eines Wirbels außer Acht. |
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Mikroskalische Betrachtungen dagegen liefern
zwar genaue Ergebnisse für einen Detailbereich. Würde man sie
aber auf den gesamten Rumpf anwenden, wäre zum einen der Rechenaufwand
immens. Zum zweiten würde eine solche Berechnung die Realität
unvollständig abbilden, da viele externe Einflussgrößen
wie zum Beispiel aktive Muskelkräfte derzeit vernachlässigt
bleiben.
„Keine der bisher veröffentlichen Studien an der lumbalen Wirbelsäule
berücksichtigt, welche Muskelkräfte konkret bei einer bestimmten
Haltung wirken und wie sich diese verändern, wenn der Mensch zum Beispiel
einen Stoß bekommt oder auch nur wackelt“, erläutert Gruppenleiter
Dr. Syn Schmitt vom InSpo dieses Forschungsdefizit. Deshalb wollen die Stuttgarter
Wissenschaftler eine aktive Bewegungsansteuerung und -kontrolle in das Modell
integrieren. Hierzu bedienen sie sich des Forschungskonzepts von SimTech, dessen
Skalenniveau zwischen der Grobskala „Mensch als Volumenmodell“ und
der feineren Skala „Detailliertes Strukturmodell“ liegt. Es beantwortet
zunächst die Fragen der Grobskala, behält dabei jedoch von Anfang
an die Fragen der Detailskala im Auge.
Um dem Mensch-Modell Bewegung „beizubringen“, wird die Wirbelsäule
als dreidimensionales Mehrkörpermodell erstellt, bei dem die Wirbelkörper
als homogene Zylinder und die Bandscheiben als komplexe Kraftelemente aufgebaut
sind. Als Muskelmodell dient das in Mehrkörpersimulationen häufig
verwendete und von Syn Schmitt im Rahmen seiner Dissertation modifizierte
Hill’sche Muskelmodell.
In einem zweiten Schritt sollen die Muskel-Sehnen-Komplexe gezielt angesteuert
werden. Hierzu werden zunächst die Freiheitsgrade des Bandscheibenelements
eingeschränkt, so dass nur noch eine Bewegung entlang der Sagittalebene
(vom Kopf zum Becken und vom Rücken zum Bauch) möglich ist. Dies
vereinfacht die Formulierung eines Bewegungsalgorithmus. Die so gewonnen
Parametersätze für eine statische Pose sowie für Beugungen
nach vorne und hinten fließen als Startwerte in die dreidimensionale
Simulation ein. Schließlich werden die Einschränkungen der Freiheitsgrade
aufgelöst und die Parametersätze verfeinert. Nach der Validierung
der Algorithmen wollen die Wissenschaftler berechnen, wie die inneren Strukturen
des Wirbelsäulenkomplexes durch Alltagslasten, in Unfallsituationen
oder beispielsweise durch Vibrationen am Arbeitsplatz beansprucht werden.
Dieses Verständnis soll helfen, Rückenbeschwerden wirksamer vorzubeugen
und zu therapieren oder, falls sich bereits irreparable Schäden eingestellt
haben, geeignete Bandscheibenimplantate zu entwickeln. |
Vereinfachte Darstellung des Wirbelsäulenmodells. Abgebildet
sind die Wirbelkörper der Lenden- und Brustwirbelsäule, dazwischen
die komplexen Kraftelemente und am hinteren Ende der Wirbelkörper
die vereinfachten Facettengelenke, die Rückwärtsbewegung und
Verdrehung einschränken.
(Grafiken: Institut) |
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Natur als Vorbild
Auch für den Bau künstlicher Muskeln, wie sie zum Beispiel für
medizinische Prothesen oder auch bei humanoiden Robotern gebraucht werden,
eröffnet das numerische Mensch-Modell neue Perspektiven. Die biomechanischen
Grundlagen zur Funktionsweise natürlicher Muskeln werden bereits seit
etwa 80 Jahren erforscht; und dank moderner Experimentalmethoden gibt es
inzwischen auch sehr präzise mikroskopische Muskelmodelle. Um die
Funktionsweise und das Design des Muskel-Sehne-Komplexes zu verstehen,
sind jedoch makroskopische Modelle mit ihrem höheren Abstraktionsgrad
besser geeignet, da für den Bau eines künstlichen Muskels eine
möglichst einfache technisch-mechanische Unterstützung wünschenswert
ist. Die Stuttgarter Forschergruppe möchte nun die Erkenntnisse der
makroskopischen Muskelmodellierung mit theoretischen Überlegungen über
einen künstlichen Aktuator, wie er zum Beispiel bei einem Greifarm
eingesetzt wird, zusammenführen und weiterentwickeln. |
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Schaltplan der Elemente für einen Hillschen Ansatz zur Beschreibung
der Muskelcharakteristik. |
Ihr Ziel ist das Design eines technisch-mechanischen Muskels, der das Bewegungsverhalten
eines natürlichen
Muskels möglichst exakt nachbildet und dabei einfach funktioniert. „So
wie es die Natur eben vormacht“, sagt Syn Schmitt. Noch steht diese Entwicklung
von virtuellen zu künstlichen Muskeln freilich in weiter Ferne. Und be-vor
diese zum Einsatz kommen, wird man dann doch einen vollständig getestete
realen Prototypen benötigen. amg
KONTAKT
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Dr. Syn Schmitt
Institut für Sport- und Bewegungswissenschaft
Tel. 0711/685-60484
e-mail: schmitt@inspo.uni-stuttgart.de
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