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Forschungsschwerpunkt Wirtschaft und Stadtentwicklung   >>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>

Zwischen Urbanität und Kommerz

Shopping-Paläste in den Großstädten, großflächige Einkaufszentren auf der grünen Wiese und ausufernde Gewerbegebiet sind die Antwort der Wirtschaft auf veränderte ökonomische, technische und demographische Rahmenbedingungen. Doch wie wirkt sich dieser Strukturwandel auf die Urbanität der Städte aus? Wie lassen sich die neuen Zentren integrieren und was passiert, wenn der Handel gerade den Nebenzentren endgültig den Rücken kehrt? Diese Fragen untersucht das Städtebau Institut der Uni in mehreren Promotionen bei Prof. Franz Pesch.

Basch Areal-Stuttgart  

Ob Lebensmittel, Schuhe oder Bekleidung: Viele einst innenstadttypische Sortimentsbereiche werden schon seit den 1960er Jahren auch in Einkaufsmärkten am Stadtrand angeboten. Leerstände in den Zentren, eine Ausdünnung der Nahversorgung, mehr Verkehr und ein fortschreitender Landschaftsverbrauch sind die hinreichend bekannten Negativfolgen. Sie führten dazu, dass großflächige Betriebsformen mit zentrenrelevanten Sortimenten an peripheren Standorten heute fast keine Chance mehr auf Genehmigung haben.
Als Antwort darauf kam es in den letzten Jahren zu einem regelrechten Gründungsboom innerstädtischer Shopping-Center. Doch auch diese können ein Umsatzvolumen erreichen, das dem örtlichen Einzelhandel schwer zu schaffen macht; zudem wirken die architektonisch oft jeden Maßstab sprengenden Bauten vielfach als Fremdkörper. „Angriff auf die Innenstädte“ oder „Wolf im Schafpelz“ lauten deshalb die Schlagworte einer kontroversen Diskussion, die auch den Ausgangspunkt der Dissertation von Anne Mayer-Dukart bildete.*) Die Architektin und Stadtplanerin untersucht die Möglichkeiten und Grenzen der städtebaulichen Integration innerstädtischer Einkaufszentren und leitet Indikatoren ab, die das urbane Potential dieser Zentren ausmachen. Dabei werden als Positivbeispiele jene Zentren in den Vordergrund gerückt, die sich durch vielfältige Beziehungen zum öffentlichen Raum und durch Nutzungsmischungen auszeichnen: Passagen, Einkaufshöfe sowie innovative „Open-Air-Center“, bei denen mehrere Gebäude über Freiflächen verbunden sind und unter einem gemeinsamen Management stehen. Fallstudien beleuchten das Bosch-Areal in der Stuttgarter Innenstadt, die Schwabengalerie in Stuttgart-Vaihingen sowie das Cityquartier „Fünf Höfe“ in München.

Beispiel für eine gelungene stadträumliche Einbindung und urbane Nutzungsmischung: Das Bosch-Areal in Stuttgart. (Fotos: Institut)

 

Damit eine Innenstadt von der Ansiedlung eines Einkaufszentrums profitiert, sind ökonomische Interessen und städtebauliche Anforderungen sehr sorgfältig gegeneinander abzuwägen. Ein erster Punkt ist dabei die städtebauliche Integration, so Mayer-Dukart. „Es ist wichtig, dass der Gebäudekomplex in die bestehende Bebauungsstruktur eingebunden ist und möglichst direkt an die Geschäftszonen anschließt.“ Ein zweites Kriterium ist die funktionale Integration. So müssen Verkaufsfläche und Branchenmix auf das bestehende Angebot in der Innenstadt abgestimmt werden. „Sie dürfen keine Dublette der Innenstadt erzeugen und nicht so groß sein, dass sie den gewachsenen Geschäftsbereich ersetzen.“ Hilfreich sei zudem eine Funktionsmischung, indem zum Beispiel Büros, Wohnungen, Dienstleistungen oder auch kulturelle und soziale Einrichtungen in die Zentren integriert werden. So sorgen auf dem Areal der „Fünf Höfe“ Wohnungen, Gastronomie und die Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung auch außerhalb der Geschäftszeiten für Leben, zur Schwabengalerie gehören ein Bürgerzentrum mit Musikschule, ein Fitness-Studio, Büros und ein Hotel.

Braunschweig-Schloss Arkaden  

Eine große Herausforderung ist auch die bauliche und stadträumliche Einbindung der Zentren in die Innenstädte. Gerade in kleinteiligen, historischen Stadtkernen kommt es dabei schnell zu Konflikten, so zum Beispiel um das Gebäudevolumen, die Architektur, die Integration der Anlieferungszonen oder die Berücksichtigung denkmalpflegerischer Belange. Wichtig sind schließlich auch die Integration in die Freiraumstruktur und die Belebung öffentliche Räume. In Braunschweig etwa wurden gegen massive Bürgerproteste der historisch bedeutende Schlosspark zerstört und Teile des ehemaligen Welfen-Schlosses rekonstruiert, um eine sehr große Shopping-Mall zu bauen. Da sich fast alle Nutzungen zur Mall orientieren, ist das Projekt nach außen von abweisenden Wänden und undurchsichtigen Glasflächen umschlossen. Abgesehen von den wenigen Haupteingängen werden kaum Bezüge zum Umfeld aufgebaut. Besser machen könne man es, indem nicht direkt auf den Konsum bezogene Funktionen wie Wohnen, Hotels, Büros oder Gastronomie genutzt werden, um frequenzärmere Bereichen zu „ummanteln“ und so unbelebte Rückseiten zu vermeiden.

Überdimensionierte, nach innen gerichtete Einkaufszentren wie die Schloss-Arkaden in Braunschweig bleiben meist ein städtebaulicher Fremdkörper.

   

Nicht jeder Standort kann revitalisiert werden

Wenn alle Versuche zur Wiederbelebung von Handelsstandorten nicht fruchten, stellt sich freilich auch die Frage nach den Alternativen. „Was kommt nach dem Handel“, fragt deshalb Tilman Sperle in seiner Promotion. „Angesichts der enormen Flächenexpansion im Einzelhandel ist nicht mehr jeder Standort zu revitalisieren.

Industriegebiet  

Deshalb müssen andere Nutzungen für ehemalige Einzelhandelsflächen gefunden werden“, umreißt der Stadtplaner, der bereits an der Publikation „Stadt und Wirtschaft“ von Prof. Pesch sowie mehreren städtebaulichen Gutachten mitgearbeitet hat, sein Vorhaben. Die Arbeit untersucht, wie dem Thema vor Ort begegnet wird, wie Städte und Immobilieneigentümer den Wandel gestalten und wie sich die neuen Nutzungen – beispielweise Wohnen – auf die Standorte auswirkten.

Britta Hüttenhain hat in ihrem Promotionsprojekt den Wandel von Gewerbegebieten im Blick. Hier ist die Entwicklung einerseits gekennzeichnet von großflächigen Monostrukturen, die sich mehr oder weniger nahe der Stadtränder in die Landschaft fressen. Dem gegenüber steht ein Nebeneinander von Schrumpfung und Wachstum in den Bestandsquartieren – mit erheblichen stadtstrukturellen und stadträumlichen Folgen. So entsprechen zum Beispiel das Erscheinungsbild und das Angebot an Dienstleistungen wie Kinderbetreuungs- und Einkaufsmöglichkeiten nicht den Erwartungen an einen zukunftsfähigen Arbeitsstandort.

Erfolgreiche Gewerbeparks sollten die vitale Arbeitswelt abbilden. Anspruch und Wirklichkeit klaffen allerdings oft auseinander.

   

Am Beispiel der Mittelstädte in Baden-Württemberg betrachtet Hüttenhain stadtplanerische Ansätze einer zukunftsfähigen Entwicklung der Gewerbestandorte. Dass die Gewerbegebiete auch einen urbanen Beitrag zu leisten haben, so eine erste Erkenntnis, wird von den Unternehmen durchaus gesehen. „Erfolgreiche Gewerbeparks streben nach einer Funktionsmischung und bilden die vitale Arbeitswelt ab, indem sie Forschungseinrichtungen, Dienstleister, kleinere Läden oder auch öffentliche Räume integrieren“, sagt Britta Hüttenhain. Vor dem Hintergrund des wirtschaftlichen Strukturwandels und der langfristig rückläufigen Bevölkerungsentwicklung ergeben sich darüber hinaus neue Chancen für die Entwicklung attraktiver innerstädtischer Arbeitsorte. Potential für eine solche Strategie gäbe es angesichts der riesigen Brachflächen in vielen Städten gerade genug.                         amg

*) Mayer-Dukart, Anne: Handel und Urbanität. Städtebauliche Integration innerstädtischer Einkaufszentren. Rohn-Verlag, Dortmund 2009

KONTAKT
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Anne Mayer-Dukart
Städtebau Institut
Tel. 0711/685-83350
e-mail: anne.mayer-dukart@si.uni-stuttgart.de