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Satellitenmission GRACE erlaubt Rückschlüsse auf den
Klimawandel >>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>
Eis schmilzt schneller als erwartet
Dass das Klima sich erwärmt, ist inzwischen hinreichend bekannt. Wie
stark sich der Klimawandel langfristig auf die eisbedeckten Gebiete der Erde
auswirkt und welche Folgen das für den Meeresspiegel hat, darüber
gibt es jedoch allen Schlagzeilen zum Trotz nur wenig belastbare Daten. Diese
Fragen untersuchen Mitarbeiter des Geodätischen Instituts der Universität
Stuttgart zusammen mit Kollegen der Curtin University of Technology in Perth,
Australien, auf der Basis von Messdaten der Satellitenmission GRACE. Sie fanden
heraus, dass die Eismassen über Grönland in den letzten Jahren kontinuierlich
und weitaus mehr als erwartet abgenommen haben. Dadurch stieg der Meeresspiegel
um etwa 0,5 Millimeter pro Jahr an.
Mit dem Start der Satellitenmission GRACE im Jahr 2002 wurde es erstmals möglich,
globale Massenänderungen wie zum Beispiel das Abschmelzen von Eismassen
zu bestimmen, indem man Änderungen der Erdanziehungskraft (Gravitation)
misst. Das dahinterstehende Prinzip ist denkbar einfach. Es basiert darauf,
dass eine Umverteilung der Erdmasse zwangsläufig eine Änderung des
Gravitationsfeldes der Erde nach sich zieht. Dementsprechend messen die Wissenschaftler,
wie sich die Kraft, mit der eine Probemasse von der Erde angezogen wird, über
einen bestimmten Zeitraum hinweg verändert. Daraus ziehen sie Rückschlüsse
auf entsprechende Massenänderungen an der Erdoberfläche.
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Im Fall von GRACE ist die Probemasse als eine
Kombination zweier Satelliten realisiert, die etwa 220 Kilometer voneinander
entfernt in einer Höhe von 450 Kilometern um die Erde fliegen. Durch
die variierende Gravitationskraft der Erde werden die Satelliten unterschiedlich
stark beschleunigt oder abgebremst. Somit gibt die relative Distanzänderung
zwischen den Satelliten die Struktur und die zeitliche Variation des
Erdgravitationsfeldes wider.
Die Satelliten-Daten zeigen, dass Grönland den stärksten Massenschwund
zu verzeichnen hat, was vorrangig durch das anhaltende Schmelzen der dortigen
Eisschilde zu erklären ist. Die arktische Insel verliert jährlich zwischen
165 und 189 Kubikkilometer Eis – weit mehr, als aufgrund der Ergebnisse
von Messungen mit alternativen Verfahren in den 1990er Jahren bisher angenommen
wurde. Die Forscher erklären sich die Differenzen hauptsächlich mit
einem beschleunigten Schmelzvorgang. „Tatsächlich weisen mehrere Indikatoren
darauf hin, dass Grönland von Jahr zu Jahr einen stärkeren Eismassenverlust
zu ertragen hat. Erste Ergebnisse offenbaren, dass sich die Schmelzrate in den
letzten sieben Jahren mehr als verdoppelt hat“, sagt Oliver Baur vom Geodätischen
Institut der Uni. „Eine genaue Quantifizierung des beschleunigten Schmelzvorgangs
wird allerdings erst möglich sein, wenn die GRACE-Beobachtungsdaten weiterer
Jahre vorliegen.“ |
Globale Massenänderungen in den Jahren 2002 bis 2008. Über
Grönland, Alaska und der Antarktis dominieren negative Signale (dunkelblau),
die aus dem Abschmelzen von Eis resultieren. (Grafik:
Institut) |
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Rätselraten um den Meeresanstieg
Der Abschmelzvorgang bewirkt den Zufluss der entsprechenden Wassermassen
in die Ozeane. Zudem bedingen die global steigenden Temperaturen die
thermische Ausdehnung des Wassers. Zusammengenommen sind die beiden
Effekte von höchster Brisanz: Schließlich leben heute in
den Küstengebieten weltweit Millionen Menschen. Allerdings ändert
sich der Meeresspiegel entgegen der allgegenwärtigen Vorstellung
nicht gleichmäßig über die Ozeane hinweg. Vielmehr
bedingt die globale Massen-Neuverteilung eine regional sehr unterschiedlich
ausgeprägte Variation des Meeresspiegels. Dabei gilt das Prinzip,
dass das Schmelzen der Eismassen auf der Nordhalbkugel den Meeresspiegel
auf der südlichen Hemisphäre am stärksten anwachsen
lässt. Umgekehrt wirkt sich der Eismassenverlust über der
Antarktis am stärksten auf der Nordhalbkugel aus.
Dass, wie in den Medien immer wieder kolportiert, das Schmelzen sämtlicher
Eismassen der Erde einen Meeresspiegelanstieg von 75 Metern nach sich ziehen
und zehn Prozent aller Landflächen verschlucken würde, ist zwar
reichlich utopisch. Doch auch die genannten Änderungen sind alarmierend
genug. Schon Hochrechnungen aufgrund bisheriger Messungen über Grönland
lassen über 100 Jahre hinweg auf einen Anstieg des Meeresspiegels
von fünf Zentimetern schließen – und dabei ist eine beschleunigte
Abnahme der Eismasse noch nicht berücksichtigt. Hinzu kommt der Effekt
der Eisschmelze über der Antarktis, über deren Größenordnung
keine Einigkeit herrscht. Berücksichtigt man diese Progressionseffekte,
so gelangt man schnell zu einer Prognose von 50 Zentimetern Wasseranstieg
bis zum Ende des Jahrhunderts – wissenschaftlich gesichert ist sie
allerdings bisher nicht.
Nicht berücksichtigt ist zudem, dass durch die Überflutungen
der Verlauf der Küstenlinien verändert wird. Bereits jetzt werden
weltweit vielerorts Küstenregionen von zunehmenden Wassermassen bedroht.
Diese Situation wird sich in Zukunft verschärfen. Vor allem niedrig
gelegene Küstenebenen und Barriereinseln leiden besonders unter dem
anhaltenden Meeresspiegelanstieg. In Europa sind neben Großbritannien
die Nordseeküsten der Niederlande, Belgiens, Deutschlands und Dänemarks
in besonderem Maße gefährdet. Dramatische Entwicklungen sind
darüber hinaus in Deltabereichen absehbar, so beispielsweise in Bangladesch
und Ägypten. amg |
Bedrohte Welten: Die Eiskappen an Nord- und Südpol
schmelzen schneller, als bisher angenommen. (Foto:
ESA) |
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KONTAKT
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Dr. Oliver Baur
Geodätisches Institut
Tel. 0711/685-84640
e-mail: O.Baur@gis.uni-stuttgart.de
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