|
|
Stuttgarter Chemiker erforschen ferroelektrische Flüssigkristalle >>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>
Displays ohne Nachzieheffekte?
Fest, flüssig, gasförmig – Aggregatzustand Nummer vier kann
man im Pfaffenwaldring 55 kennenlernen. Am Institut für Physikalische
Chemie erforscht eine Arbeitsgruppe um Prof. Frank Gießelmann Flüssigkristalle.
Diese vereinen die typischen Eigenschaften einer Flüssigkeit wie zum Beispiel
das Fließverhalten mit den elektrischen und optischen Eigenschaften kristalliner
Festkörper. Ferroelektrische Flüssigkristalle schalten besonders
schnell und sollen einmal die typischen Nachzieheffekte auf LCD-Displays vermeiden.
Die Stuttgarter Wissenschaftler suchen nach Wegen, um die molekulare Struktur
solcher Materialien zu entwerfen.
Aus unserer Informationsgesellschaft sind Flüssigkristalle so gut wie
nicht mehr wegzudenken. Vom einfachen monochromen Display bis hin zum Flachbildfernseher
kommt ihre einfachste, die nematische Phase zum Einsatz. In ihr zeigen die
annährend stäbchenförmigen Moleküle im Mittel in eine Vorzugsrichtung,
die zugleich die optische Achse der Phase ist. Mittels elektrischer Felder
lässt sich die Orientierung der Moleküle beeinflussen. Damit können
auch die optischen Eigenschaften dieser flüssigkristallinen Phase verändert
werden, was sie für elektro-optische Displays aller Art anwendbar macht.
Inzwischen haben Flüssigkristall-Displays praktisch alle früheren
Display-Technologien verdrängt und sind zu einer Schlüsseltechnologie
geworden, die für portable Geräte wie Mobiltelefone oder Digitalkameras
unverzichtbar ist. Der Markt für LCDs (Liquid Crystal Display) ist denn
auch enorm und umfasst ein Umsatzvolumen von derzeit gut 50 Milliarden US-Dollar
pro Jahr.
Bei schnellen Bildfolgen stoßen heutige LCDs mit typischen Schaltzeiten
von fünf Millisekunden an ihre physikalischen Grenzen, so dass es zu Nachzieheffekten
und Schlierenbildung kommt. Ferroelektrische Flüssigkristalle schalten dagegen
bis zu 1.000 Mal schneller, denn sie weisen auch bei Abwesenheit eines elektrischen
Feldes eine so genannte „spontane“ elektrische Polarisation auf,
deren Richtung sich durch ein elektrisches Feld umkehren lässt.
|
|
Obwohl bereits in den 1980er Jahren entdeckt,
fanden ferroelektrische Flüssigkristalle bislang nur in geringem Umfang technische Anwendung.
Ein wesentliches Problem, das dem Einsatz bisher im Wege stand, sind
die Zickzack-Defekte: Am ferroelektrischen Phasenübergang nimmt
die Neigung der Moleküle innerhalb der so genannten smektischen
Schichten zu, wodurch die Dicke der Schichten abnimmt und so Defekte
induziert werden. Erst 1998 wurden zufällig einige ferroelektrische
Flüssigkristalle entdeckt, bei denen die ferroelektrische Phasenumwandlung
ohne Schichtschrumpfung - und damit auch ohne Zickzack-Defekte - abläuft.
Diese so genannten „de Vries-Materialien“ wären für
eine Anwendung in schnellen Displays ideal. Allerdings zeigen bislang
nur etwa zehn von über 1.000 bekannten ferroelektrischen Flüssigkristallen
dieses außergewöhnliche Verhalten.
De-Vries-Materialien stehen
auch im Mittelpunkt eines Forschungsprojektes, in dem Frank Gießelmann
und sein Team am Institut für Physikalische Chemie der Universität
Stuttgart zusammen mit Kollegen der University of Colorado, Boulder,
USA, der Queen’s University, Kingston, Kanada sowie der Chalmers
University of Technology, Göteborg, Schweden an der Weiterentwicklung
dieser ferroelektrischen Flüssigkristalle arbeiten. |
Polarisationsmikroskopische Aufnahme der Domänenstruktur
eines ferroelektrischen Flüssigkristalls. In horizontaler Richtung
verlaufen so genannte Zickzack-Defekte. (Foto:
Institut) |
|
Die Untersuchungen
mit dem Titel „Fundamentals and Applications of Ferro- and Antiferroelectric
Liquid Crystals: The Physics and Chemistry of ‚de Vries‘-type Materials“ erfolgen
im Rahmen des „Material World Network“, einer Kooperation zwischen
der National Science Foundation der USA, der Deutschen Forschungsgemeinschaft
und weiteren Förderorganisationen. Ziel ist es, den Mechanismus der ferroelektrischen
Phasenumwandlung in de Vries-Materialien besser zu verstehen, um systematisch
molekulare Strukturen entwerfen zu können, die zu ferroelektrischen Flüssigkristallen
vom de Vries-Typ führen. Inzwischen wurde klar, dass es sich um eine Ordnungs-Unordnungs-Umwandlung
handelt, die insbesondere dann auftreten kann, wenn die smektischen Schichten
durch nanosegregierende Gruppen von einander getrennt sind. So wiesen beispielsweise
ferroelektrische Flüssigkristalle nach Einführung einer nanosegregierenden
Trisiloxan-Endgruppe (einer organischen Siliziumverbindung) deutlich reduzierte
Schichtschrumpfung auf. Derartige Materialien werden inzwischen von der Firma
Displaytech, die mit der University of Colorado in Boulder kooperiert, für
hochauflösende Microdisplays eingesetzt. Julia
Alber
KONTAKT
_________________________________
Prof. Frank Gießelmann
Institut für Physikalische Chemie
Tel. 0711/685-64460
e-mail: f.giesselmann@ipc.uni-stuttgart.de
|
|