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In memoriam >>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>
Karl-Wolfgang Mundry
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Wie es einen Norddeutschen in das Schwabenland
verschlagen hat, sollte bezeichnend für Karl-Wolfgang Mundry sein.
Während seines Studiums der Botanik in Göttingen (1946 bis
1949) war er durch Zufall auf die Frage gestoßen, was ein Virus
sei. Sein damaliger akademischer Lehrer, Richard Harder, wusste dies
auch nicht, kannte aber einen, der es wissen könnte: Georg Melchers
am damaligen Kaiser-Wilhelm-Institut in Tübingen, dem späteren
Max-Planck-Institut (MPI). Kurz entschlossen radelte Mundry die 600 Kilometer
nach Tübingen. Daraus entwickelte sich eine jahrzehntelange wissenschaftliche
Beziehung zwischen beiden Forschern, die sich um das kleinste damals
bekannte Virus, das Tabak Mosaik Virus (TMV) drehte und Grundfragen der
gerade entstehenden Molekularbiologie entschlüsseln half. Diese
absolute Konzentration auf eine bestimmte Frage sollte Mundrys Kennzeichen
werden und seinen weltweiten Ruf begründen. Wissenschaftlich aktiv
und fasziniert von neuen Fragen blieb er bis in seine letzten Tage. Und
er war glücklich, dass seine Analysen des Zusammenbaus von TMV zu
einer nanotechnologischen Perspektive mit TMV als Biotemplat für
die Materialwissenschaften führten. Karl-Wolfgang Mundry verstarb
am 6. Mai 2009 im Alter von 82 Jahren. |
Karl-Wolfgang Mundry |
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Mundry promovierte 1954 über die Mutierbarkeit des TMV und konnte dabei
nachweisen, dass Nukleinsäure als Genmaterial in Frage kam. Die Ergebnisse,
die heute zu den Meilensteinen der Molekulargenetik gehören, veröffentlichte
er 1958 gemeinsam mit Alfred Gierer in der Fachzeitschrift Nature. Nach einer
dreijährigen Zwischenstation als Direktor der Abteilung für Virologie
am Institut für Landwirtschaftliche Technologie und Zuckerindustrie an
der TH Braunschweig kehrte er 1957 nach Tübingen zurück und suchte
dann neue Herausforderungen, die ihn von 1959 bis 1961 an das California Institute
of Technology in Pasadena führten. Mit der Aufbruchstimmung der jungen
amerikanischen Molekulargenetiker-Szene setzte er seine Tätigkeit zunächst
noch am MPI in Tübingen fort. 1972 wurde er auf den Lehrstuhl für
Botanik an der Universität Stuttgart berufen, den er bis zu seiner Emeritierung
1993 innehatte.
In Stuttgart war Mundry erst einmal mit Aufbauarbeit konfrontiert. Wie die
Forschung hat er die akademische Lehre mit Nachdruck und Beharrlichkeit vorangetrieben.
Damit wurde er zu einem der Väter des Studienganges „Technische
Biologie", der heute zu den erfolgreichsten Reformunternehmungen in der
deutschen Biologielandschaft zählt. Der Erfolg der frühen Jahre basierte
auf einer Zusammenarbeit von Biologen, Biochemikern, Physikern und vor allem
einer relativ neuen Disziplin, der Kybernetik. Diese weltweit kooperierende
Gemeinde erlaubte es erst, den genetischen Kode zu dechiffrieren. Entsprechend
schlug Mundry vor, in Stuttgart etwas Neues im Biologiestudium zu kreieren,
mit starken Anleihen in den Naturwissenschaften, der Mathematik, der Informatik
und den Ingenieurwissenschaften. Die Absolventen sollten wissenschaftlich detailliert
mit den anderen Disziplinen kommunizieren können. Mit diesen Gedanken
war Mundry seiner Zeit weit voraus. Auch wenn die Spezialisierung der „Technischen
Biologie“ Abstriche in Disziplinen wie Systematik und Ökologie erforderte,
sind Freilandexkursionen nach Lappland sowie in die Alpen unter Mundrys Leitung
legendäre Ereignisse des Studienganges geblieben. Dabei erinnerte er die
Studierenden mit der gleichen Akribie wie in der Molekularbiologie daran, dass
die Lebenswelt mehr ist als die Summe der Moleküle.
Wichtige Beiträge zum Verständnis der RNA-Entpackung
Mundrys Forschungsinteressen blieben dem TMV und seiner Wechselwirkung mit den Pflanzen treu. Insbesondere der Zusammenbau und
die Zerlegung der Partikel faszinierten ihn, ein Teilaspekt, der für die
technische Nutzung des TMV in der Nanotechnologie wertvolle Hilfen gebracht hat.
Ein weiterer Höhepunkt war die Entdeckung der „Cotranslationalen
Disassemblierung", die er zusammen mit einer schottischen Arbeitsgruppe
veröffentlichte und die den biologischen Vorgang der RNA-Entpackung in der
Zelle verstehen ließ. Sein zweites großes Ziel, die Funktion der
Resistenzgene gegen TMV zu entschlüsseln, blieb für ihn unerreicht.
Erst einer amerikanischen Forschungsgruppe gelang es in den 1990er Jahren, das
TMV eingrenzende N-Gen zu charakterisieren und damit das Tor für die Identifizierung
sehr vieler Resistenzgene gegen Viren, wie Bakterien und Pilzen, zu ermöglichen.
Mundry hat diese Arbeiten immer mit großer Anteilnahme verfolgt, denn auch
für diesen Erfolg hatte er wesentliche Grundlagen geschaffen.
Nach seiner Emeritierung hat er den Fortgang der Pflanzenvirologie weiter mit
großem Interesse verfolgt, Interviews zur Frühgeschichte der Molekularbiologie
gegeben und selbst dazu publiziert. Daneben hat ihn aber auch die Reflexion der
Landesgeschichte in der Kunst der Medaillen beschäftigt - eine Leidenschaft,
die zu einer beachtlichen Sammlung führte. Sein letztes großes Experiment
betraf allerdings den eigenen Krebs. Er hat den Fortgang mit wissenschaftlicher
Akribie verfolgt, die neueste Literatur zum Thema gelesen und sich damit eine
mentale Distanz bewahrt.
Karl-Wolfgang Mundry bleibt ein Vorbild, wie ein Mensch bis ins hohe Alter angetrieben
von wissenschaftlicher Neugier und klarem Denken aktiv bleiben kann. Als Ermutiger
und Ermunterer hat er es nie aufgegeben, an den Fortschritt zu glauben. Viele
seiner Schüler im engeren Sinne hat er in dieser Hinsicht geprägt,
und auch die nächste Generation von Pflanzenvirologen in Stuttgart hat davon
etwas für das Leben gewonnen. Holger
Jeske
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