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Paradebeispiel eines öffentlichen Germanisten   >>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>

Heinz Schlaffer 70

Heinz Schlaffer  

Heinz Schlaffer ist der Professor, vor dem mich meine Lehrer immer gewarnt haben. Der Grund dafür liegt in einem Buch, das im Jahr 1973 erschien – dem Jahr, in dem ich geboren wurde: „Der Bürger als Held“, übersichtliche 150 Seiten stark, standesgemäß veröffentlicht im Suhrkamp-Verlag. Es geht um Darstellungen des Bürgers in der Literatur des ausgehenden 18. Jahrhunderts, und zwar um solche Darstellungen, die den Bürger mehr oder minder entschlossen als Helden zeigen. Im Ergebnis vertrat Schlaffer dort eine Position, die weder so recht marxistisch noch konservativ war: Er plädierte für die Eigenständigkeit der Kunst, für ihre Autonomie, Widersprüchlichkeit, Inkommensurabilität. Dieser Ästhetizismus schreckte die Lehrer ab, denen es um eine eindeutige Lehre ging. Schlaffer hingegen wurde der Bürger als Held zum Habitus, und gemeinsam mit Gattin Hannelore, später gleichfalls Professorin, floh er aus dem klassenkämpferischen Marburg in das zivile Stuttgart.Hier entstanden zahlreiche Bücher, unter anderem „Poesie und Wissen“ (1990), das lange vor der gegenwärtigen Konjunktur von Wissensgesellschaft, Wissenskulturen und dergleichen nach dem Verhältnis von Literatur und Wissen fragte.

Heiz Schlaffer

   

Anlass des Buches war Verwunderung: Verwunderung darüber, dass es tatsächlich eine ernste wissenschaftliche Institution mit Ämtern und finanzieller Ausstattung gab, die sich einem so unernsten Gegenstand wie der Literatur widmete. Hin- und hergerissen zwischen Ernst und Unernst, akademischem Alltag und schönem Augenblick, Pflicht und ästhetischem Vergnügen, stellt Schlaffer das Paradebeispiel des öffentlichen Germanisten dar: Mit seiner stupenden Bildung, seinen Einfällen und durch seine rauhbeinige Persönlichkeit macht er akademische Fragestellungen auch für gebildete Leser und das Feuilleton attraktiv. Öffentliche Germanisten wie Schlaffer hegen ein Misstrauen gegen das Fach, sofern es sich vor dieser Öffentlichkeit verschließt. Dieses Misstrauen ist zum einen historisch aus der nationalsozialistischen Vergangenheit einer Disziplin begründet, die sich kulturkonservativ von ihrer öffentlichen Verantwortung frei sprach, um sich unter dem Hakenkreuz ungestört einem elitären Schönen, Wahren, Guten zu widmen. Zum anderen speist sich dieses Misstrauen aus ästhetischer Distanz zum institutionellen Ehrgeiz der Kollegen. Drittmittel, Antragsprosa, Evaluationskriterien, Rankings und SAP-Bögen gehören nicht in Schlaffers Welt.
Heinz Schlaffer ist kürzlich 70 Jahre alt geworden. Als ich meine Tätigkeit in Stuttgart begann, empfing er mich mit den Worten „Sie haben jetzt den zweitschönsten Beruf der Welt; der schönste ist derjenige des Emeritus.“ Ich fürchte, dass er Recht hat, wünsche ihm alles Gute zum Geburtstag und hoffe, dass er auch weiterhin den Weg in die Keplerstraße findet, um über den akademischen Ernst zu spotten, der in sein ehemaliges Büro eingekehrt ist.                                                     Sandra Richter