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Bologna Prozess – Umstellung von Diplom auf die Abschlüsse Bachelor und Master  >>>>>>>>>>>>>>>>>

Was sind die Vorteile der neuen Abschlüsse oder war früher alles besser?

Das Diplom ist ein Auslaufmodell. Die Studienanfänger des Wintersemesters 2009/10 erhalten nach Abschluss ihres Studiums nicht mehr das Diplom-Zeugnis, sondern die Abschlussgrade Bachelor oder Master. Damit ist ein wichtiger Meilenstein bei dem Prozess erreicht, den die europäischen Bildungsminister vor zehn Jahren in Bologna in Gang setzten, um einen einheitlichen europäischen Studienraum zu schaffen. Der Bologna-Prozess, von dem man sich kürzere Studienzeiten, eine bessere Vergleichbarkeit der Abschlüsse und mehr Mobilität versprach, führte zu einem tiefgreifenden Umbruch des deutschen Studiensystems. Viele trauern dem alten Diplom-Abschluss nach. Er genoss in der deutschen und internationalen Wissenschaft und Wirtschaft hohe Anerkennung. Zudem halten viele das neue System für zu verschult, es gäbe zu viele Prüfungen und den Studierenden bliebe keine Zeit mehr für Freizeit, Nebenjobs und Aktivitäten in Gremien und Fachschaften. Und auch Auslandssemester seien kaum mehr möglich, obwohl doch gerade deren Anrechenbarkeit zu den Zielen der Reform zählte. Im Gespräch mit dem unikurier beschreiben und kommentieren der Bologna-Koordinator der Universität Stuttgart, Matthias Gaugele und sein Vorgänger Ralph-Walter Müller, der dieses Amt bis Ende Juni 2009 innehatte, die wesentlichen Neuerungen.

Kürzere Studienzeit
Anstelle der Studiengänge mit Diplom-Abschluss, Regelstudienzeit häufig neun Semester, gibt es nun Studiengänge mit dem Abschluss Bachelor, der in sechs Semestern (Architektur: acht Semester) abgeschlossen wird. Daran kann sich ein Master-Studiengang mit dem Umfang von vier Semestern anschließen.
„Durch die neuen Studiengänge können die Studierenden schon nach drei Jahren einen ersten Abschluss erreichen. Wer möchte, kann so also schon früher in den Beruf starten. Nirgendwo ist übrigens festgelegt, dass das Bachelor-Studium verpflichtend nach den sechs Semestern Regelstudienzeit abgeschlossen sein muss. Genauso wie früher werden manche die Regelstudienzeit überschreiten, zum Beispiel für einen Auslandaufenthalt oder ähnliches“, erklärt Ralph-Walter Müller.

Modularisierung des Studiums und Punktesystem
Das Studium setzt sich aus Modulen zusammen, von denen jedes mit einer Prüfung abgeschlossen werden muss. Zu einem Modul gehören beispielsweise eine Vorlesung, ein Seminar und Übungen mit entsprechenden Aufgaben. Die verschiedenen Module erfordern  unterschiedlichen Arbeitsaufwand, der in Leistungspunkte übersetzt wird. Ein Leistungspunkt entspricht dabei 30 Stunden; darin enthalten sind beispielsweise der Besuch und die Nachbereitung verschiedener Lehrveranstaltungen und die Prüfungsvorbereitungen. Pro Semester, inklusive der vorlesungsfreien Zeit, sind maximal 900 Arbeitsstunden und somit 30 Leistungspunkte vorgesehen. Die Module an der Uni Stuttgart haben in der Regel eine Größe von sechs, neun oder zwölf Leistungspunkten. Fünf Module mit jeweils sechs Leistungspunkten ergeben also den maximal vorgesehenen Arbeitsaufwand. Für das gesamte Bachelorstudium sind 180 Leistungspunkte vorgesehen.
Hier sehen die Bologna-Experten noch Nachbesserungsbedarf. Bei weiteren Akkreditierungen der Studiengänge muss überprüft werden, ob der tatsächliche Arbeitsaufwand mit dem – aufgrund fehlender Erfahrungs- und Evaluationswerte – bislang eher „theoretisch“ bestimmten  übereinstimmt. Sollte dies nicht der Fall sein, müsste die Angabe der „Selbststudiumzeit" überarbeitet werden.

Viele statt wenige Prüfungen
Aus den Ergebnissen der einzelnen Modul-Prüfungen und der Note der Bachelor-Arbeit wird am Ende des Studiums die Abschlussnote berechnet. Es gibt nicht mehr wenige Vor- und Hauptdiplomprüfungen, sondern viele Prüfungen im Laufe jedes Semesters.
„Durch das neue System hängt nicht mehr so viel von einer einzelnen Prüfung ab. Ein schlechter Tag bei der Prüfung konnte früher den ganzen Notendurchschnitt verderben. Das kann in dieser Form nicht mehr passieren“, betont Ralph-Walter Müller den positiven Aspekt vieler, über das ganze Studium verteilter Prüfungen.

Vorlesungsaal Uni Stuttgart  

Transparentes Studium
Die Professoren beziehungsweise Modulverantwortlichen müssen nicht nur den Arbeitsaufwand berechnen, sie müssen auch genau angeben, was ihr Modul beinhaltet, und die Lernziele benennen, also die Kenntnisse, die der Studierende nach erfolgreicher Teilnahme des Moduls erworben hat.
„Die Studierenden wissen jetzt schon vorher, was auf sie zukommt. Das Studium ist so viel transparenter und verlässlicher. Für die Lehrenden bedeutet dies allerdings einen höheren Zeitaufwand für die Modulbeschreibungen. Auch ein Umdenken ist erforderlich, da sie nun festlegen müssen, was die Studierende können, wenn sie das Modul bestanden haben“, beschreibt Müller die unterschiedlichen Auswirkungen auf Studierende und Professoren.

 

(Foto: Eppler)

 

Studierbarkeit
Die Akkreditierung der Studiengänge hat dafür gesorgt, dass die Module aufeinander abgestimmt sind. Das beinhaltet zum Beispiel auch die zeitliche Organisation. Alle Veranstaltungen sind so terminiert, dass es keine Überschneidungen gibt.
„Dies galt früher nicht für alle Studiengänge durchgängig. Jetzt können sich die Studierenden darauf verlassen, dass sie alle notwendigen Veranstaltungen im vorgegebenen Zeitraum besuchen können“, erklärt Matthias Gaugele. „Dies gilt allerdings nicht für die Kombinationsstudiengänge. Hier gab es schon vor Einführung der Bachelor-Abschlüsse einige Überschneidungen, die im Zuge der Bologna-Reform noch nicht beseitigt werden konnten. Das ist aufgrund der kürzeren Fristen in den neuen Studiengängen für Studierende von Kombinationsstudiengängen sehr unbefriedigend.“

Auslandssemester
Über die Anrechnung von Leistungen während eines Auslandssemesters entscheiden wie früher die jeweiligen Prüfungsausschüsse. Die Universität Stuttgart hat mit vielen internationalen Partnerhochschulen Kooperationen vereinbart, die unter anderem auch die gegenseitige Anrechnung der Studienleistungen betreffen.

Übergang vom Bachelor zum Master
Im baden-württembergischen Landeshochschulgesetz steht, dass überdurchschnittliche Bachelor-Absolventen für den Masterabschluss zugelassen werden sollen. Dies ist deutschlandweit nicht einheitlich geregelt. Die TU9-Universitäten, ein Zusammenschluss der großen, technisch ausgerichteten Universitäten Deutschlands, dem auch die Uni Stuttgart angehört, haben sich auf die Regelung „6 plus 4“ geeinigt. Sie wollen den Master als Regelabschluss.
Wie aber die Masterstudiengänge tatsächlich angenommen werden, kann derzeit noch nicht prognostiziert werden. Hier wird die Zukunft zeigen, ob tatsächlich die Mehrzahl der Bachelorabsolventen sofort einen Masterstudiengang anschließt oder ob ein anderer Weg vermehrt Anklang finden wird. Möglich ist beispielsweise, dass Bachelor-Absolventen zunächst ins Berufsleben wechseln und erst nach einiger Zeit in der Arbeitswelt einen (eventuell auch berufsbegleitenden) Masterstudiengang aufnehmen.

Schlüsselqualifikationen
Ein besonderes Anliegen der Bologna-Übereinkunft ist es, die Berufsbefähigung der Studierenden zu verbessern. Diesem Ziel soll der Erwerb fachübergreifender Kompetenzen dienen, der so genannten Schlüsselqualifikationen (SQ). 18 Leistungspunkte sind hier während des Bachelorstudiums zu erwerben. Es gibt die fachaffinen SQ, die von den Studiengängen definiert werden, so können Chemiker beispielsweise die Fächer Toxikologie oder Rechtskunde wählen – und die fachübergreifenden SQ. Zu letzteren zählen soft skills wie das Erlernen von sozialen und kommunikativen Kompetenzen, so zum Beispiel Führungs- und Teamfähigkeit.

„Zu 98 Prozent wird das neue System zu Unrecht verurteilt“, ist die Meinung von Ralph-Walter Müller und Matthias Gaugele, „es gibt allerdings noch verschiedene Kinderkrankheiten. Zum Beispiel sind einige Studiengänge inhaltlich überfrachtet und die Zahl der Prüfungen ist in einigen Studiengängen zu hoch. Weitere Akkreditierungen werden zeigen, was noch nachzubessern ist.“
Durch das Eckpunktepapier, das der Senatsausschuss Lehre- und Weiterbildung unter Leitung des damaligen Prorektors Lehre und Weiterbildung, Prof. Wolfgang Schlicht, erarbeitet hat, konnte die Umstellung in den letzten drei Jahren zügig erfolgen. Um dieses Papier beneiden uns viele Universitäten, so Müller und Gaugele unisono.                   ve

 

KONTAKT
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Matthias Gaugele,
Bologna Koordinator
Zentrale Verwaltung
Tel. 0711/685-84222
e-mail: matthias.gaugele@verwaltung.uni-stuttgart.de