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Ausstellung zum 100. Geburtstag von Fritz Leonhardt >>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>>
Visionär und Brückenbauer
Er galt als Brückenbauer und Vater des Stuttgarter Fernsehturms: Prof.
Fritz Leonhardt, ehemaliger Ordinarius für Massivbau und Rektor der Universität
Stuttgart, war einer der bekanntesten Konstrukteure der Nachkriegszeit. Am
11. Juli 2009 wäre der berühmte Bauingenieur 100 Jahre alt geworden.
Das Südwestdeutsche Archiv für Architektur und Ingenieurbau (saai)
ehrte ihn aus diesem Anlass mit einer umfassenden Retrospektive im LBBW-Forum
am Stuttgarter Hauptbahnhof. Die Vorbereitungen wie auch das Rahmenprogramm
der sehr gut besuchten Schau mit dem Titel „Die Kunst des Konstruierens“ wurden
durch die Uni in vielfacher Weise unterstützt.
„Schlank, aber nicht zu schlank, um noch Vertrauen zu wecken“ – so
wollte Fritz Leonhardt den 1956 als erstes Bauwerk dieser Art errichteten Stuttgarter
Fernsehturm, und löste mit seiner kühnen Betonnadel zunächst
einmal heftige Debatten aus. Nicht weniger Aufsehen erregte das längst
zum Wahrzeichen gewordene und zigfach kopierte „Schandmal“ von
einst im Zentrum der Präsentation, die das Lebenswerk Fritz Leonhardts
auf acht chronologisch angeordneten „Brückentischen“ aufblätterte.
Die innovative Ausstellungsarchitektur hatte durchaus Symbolkraft, denn der
Brückenbau, die Königsdisziplin der Ingenieure, nahm eine zentrale
Rolle im Schaffen Fritz Leonhardts ein.
34 Neuerungen gehen allein in diesem Bereich auf ihn zurück, darunter
Schrägkabelbrücken, deren überlegene Technik er als einer der
ersten erkannte und aerodynamisch stabile Hängebrücken mit windschnittigen
flachen Querschnitten. „Ohne die genialen Ideen Fritz Leonhardts wäre
der moderne Brückenbau in Deutschland kaum denkbar“, betonten die
Projektleiter Dr. Joachim Kleinmanns und Christiane Weber vom saai bei der
Eröffnung.
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Inspiriert von frühen Aufenthalten in
den USA hatte es sich der geborene Stuttgarter und Alumnus der Uni dabei
zum Leitsatz gemacht, technische Innovationen mit hohen gestalterischen
Maßstäben zu verbinden. „Die Ästhetik muss stimmen“,
betonte er immer wieder. Sichtbar wird dieser Anspruch an Bauwerken,
an denen man im Alltag allzu oft gedankenlos vorüber fährt
und die doch vielfach Superlative in sich bergen: Der Reichsautobahnbrücke
bei Köln-Rodenkirchen, 1941 nach einem Entwurf von Paul Bonatz fertig
gestellt als erste Hängebrücke Europas, wenige Kilometer weiter
an der Köln-Deutzer Rheinbrücke, der 1948 noch vor den Kulissen
der Trümmerstadt als Ausdruck des Aufbruchs und der Hoffnung eingeweihten
ersten Stahlkastenträgerbrücke der Welt, oder an der Kochertalbrücke
zwischen Heilbronn und Nürnberg, der mit 185 Metern über Grund
höchsten Talbrücke in Deutschland.
Spektakuläre Impulse gingen von Fritz Leonhardt und dem durch ihn gegründeten
Ingenieurbüro Leonhardt, Andrä & Partner auch auf dem Gebiet der
Tragwerksplanung aus. Hier arbeitete er mit den kreativsten Architekten und Ingenieuren
seiner Zeit zusammen, darunter Frei Otto, Rolf Gutbrod sowie den Architekten
Behnisch & Partner. Entstanden sind dabei so repräsentative Bauten wie
der Pavillon der Bundesrepublik Deutschland auf der Weltausstellung in Montreal
oder das berühmte Zeltdach des Olympiastadions in München. |
Fritz Leonhardt (1909-1999) |
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Kritisches Plädoyer für rebellierende Studenten
Ein Talar in der Ausstellung weist auf das Wirken Leonhardts an der Universität
Stuttgart, an der er von 1927 bis 1931 studierte, 1938 promovierte und 20 Jahre
später den Lehrstuhl für Massivbau übernahm. In den turbulenten
Jahren von 1967 bis 1969 lenkte er als Rektor die Geschicke der Uni und forderte
in seiner mit „Anregungen zur Bildungspolitik“ überschriebenen
Rede Entlastung „in Form spürbaren Freiraums, ohne den eine forschende
und lehrende Universität nicht leben, nicht atmen kann“. „Das
ist heute aktueller denn je“, so Uni-Rektor Prof. Wolfram Ressel. In
einer Diaserie, die das „Geschmier an Uni und Kunstakademie“ zeigt,
setzt Leonhardt sich kritisch mit den Studentenunruhen auseinander und ergreift
doch Partei für die rebellierenden jungen Menschen: Eine Publikation aus
der Zeit trägt den Titel „Studentenunruhen – Ein Plädoyer
für die Jugend.“
Exponate wie diese machten hinter dem Ingenieur und Wissenschaftler Leonhardt
den Menschen sichtbar. Dass auch dessen Bauprinzipien erfahrbar wurden, dafür
sorgten Studierende der Architektur, die in der Modellbauwerkstatt der Fakultät
Architektur und Stadtplanung unter der Leitung von Martin Hechinger die 21
Modelle für die Ausstellung angefertigt hatten, darunter die Fernsehtürme
von Stuttgart und Frankfurt, die Hubbrücke von Porto Allegre sowie ein
Modell der Alster-Schwimmhalle in Hamburg. Beratend unterstützt wurden
sie dabei durch den Bauingenieur Henning Dürr von der Fakultät für
Bau- und Umweltingenieurwissenschaften. Hans-Joachim Heyer und Boris Miklautsch
aus der Werkstatt für Fotografie der Fakultät für Architektur
und Städtebau haben die Architekturmodelle für Publikationen fotografiert.
Und unter der Leitung von Prof. Erwin Herzberger vom Institut für Darstellen
und Gestalten entstanden filmische Visualisierungen zu den Fundamenten von
Fernsehtürmen und zum Taktschiebeverfahren für Brücken.
Das dritte Jahrtausend bauen
Die Ausstellungseröffnung war gleichzeitig der Auftakt zu hochkarätigen
weiteren Veranstaltungen. So initiierten das saai und das Institut für
Architekturgeschichte (IFAG) der Uni Stuttgart eine Vortragsreihe, die
ausgewählte Aspekte des Werks Fritz Leonhardts beleuchte. Ein wissenschaftliches
Highlight war das internationale Symposium „Building the third Millenium“,
das Prof. Werner Sobek, der in der Tradition von Leonhardt und Jörg
Schlaich dem heutigen Institut für Leichtbau, Entwerfen und Konstruieren
(ILEK) der Uni vorsteht, leitete. Zu den Referenten zählten unter
anderem Jörg Schlaich, der Schweizer Brückenbauer Christian Menn,
der für seine Wolkenkratzer berühmte Bauingenieur Bill Baker
(Fritz Leonhardt Preisträger 2009) und der Architekt Volkwin Marg.
Im Mittelpunkt des Symposiums standen die neuesten Entwicklungen in der
Architektur und im Bauingenieurwesen. Um den Bezug zu Fritz Leonhardt herzustellen, wurde jeder Session ein Vortrag
mit historischen Inhalten vorangestellt.
Die Themen spannten den Bogen von aktuellen Tendenzen im Bauwesen über
Beton- und Brückenbau sowie Leichtbau bis hin zur Thematik des nachhaltigen
Bauens mit Rednern aus der universitären Forschung, der Baupraxis
sowie der Architektur- und Technikgeschichte. Von besonderer Bedeutung
war die hochkarätig besetzte Opening-Session, die in einer Standortbestimmung
architekturtheoretische und interdisziplinäre Themen behandelte. Ein
weiterer Höhepunkt war die von Prof. Jörg Schlaich moderierte „Brücken-Session“ mit
dem Titel „widespans“ (weit gespannt). amg |
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Fernsehturm |
Nach Anschlussausstellungen der Komplettschau in Köln und Berlin werden
die Brücken ab 2010 im Deutschen Museum in München zu sehen sein.
Weitere Informationen unter:
http:// www.fritz-leonhardt.de.
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