Wer gern süße Speisen ißt, kennt das schlechte Gewissen, das vielen
Naschern schlägt, wenn sie an die schlanke Linie und die drohenden Löcher in den Zähnen
denken. Aber die Genießer sind ja nicht auf den herkömmlichen Zucker angewiesen. Auch
leicht veränderte Zuckermoleküle, sogenannte Zuckerersatzstoffe, schmecken auf der Zunge
süß. Sie sind aber im menschlichen Darm schlecht abbaubar und machen deshalb nicht so
dick. Und die Bakterien im Mund können die Zuckerersatzstoffe nicht umsetzen, weshalb
keine Säure entsteht, die die Zähne angreifen könnte.
Markt für Zuckerersatzstoffe
Den Markt für die Zuckerersatzstoffe, die in Hustenbonbons, Schokoriegeln und vielen
anderen Leckereien stekken, hat die Zuckerindustrie schon vor mehr als zehn Jahren
entdeckt. Bei der industriellen Umwandlung von Rohrzucker (Saccharose) zum
Zuckerersatzstoff Isomaltulose hilft ein aus dem Boden isoliertes Bakterium. Es hört auf
den klangvollen Namen Protaminobacter rubrum und kommt in der Natur überall da vor, wo
süße Früchte verderben und Rohrzucker frei wird.
Aber die Techniker waren nicht ganz zufrieden mit ihren
winzigen Mitarbeitern. Die Bakterien setzten den Rohrzucker nicht vollständig, sondern
nur zu 80 bis 85 Prozent zu Isomaltulose um. Es schien so, als ob sie vom Rohrzucker
naschten, statt ihn zum Ersatzstoff zu verarbeiten.
Prinzip Eichhörnchen
Auf der Suche nach Möglichkeiten, die Isomaltulose-Ausbeute zu verbessern, haben Prof.
Ralf Mattes und seine Mitarbeiter vor fünf Jahren begonnen, Protaminobacter rubrum und
seine Zuckerumsetzung zu untersuchen. Dabei haben sie auch entdeckt, daß sich das
Bakterium auf geschickte Weise Nahrungsreserven sichert. Protaminobacter geht nach
dem Prinzip Eichhörnchen vor, sagt Mattes über das taktische Vorgehen der
Mikroorganismen.Protaminobacter rubrum besitzt wie viele andere Bakterien ein Besteck aus
Enzymen, mit dem es Rohrzucker direkt für seine Ernährung nutzt. Sobald aber Rohrzucker
knapp wird, schafft es sich mit dem Enzym Saccharose-Mutase seine Vorräte auf die Seite.
Dieses Enzym macht das Bakterium so interessant, denn es wandelt Rohrzucker in
Isomaltulose um. Die wiederum ist für seine Nahrungskonkurrenten ungenießbar, weil ihnen
das passende Enzymbesteck fehlt. Daher verzehrt in der Natur Protaminobacter seine
Reserven völlig ungestört.
Den ersten Ansatzpunkt, der eine höhere Ausbeute bei der
Isomaltuloseherstellung versprach, haben die Forscher aus der Beobachtung der natürlichen
Vorgänge abgeleitet. Um dem Bakterium das Naschen abzugewöhnen, haben die
Wissenschaftler durch gentechnische Methoden Gene entfernt, die die Erbinformation für
die Nutzung des Rohrzuckers enthielten. Die veränderten Protamin-obacter-Bakterien haben
nur noch das Gen mit der Information für die Saccharose-Mutase. Dieses Enzym, das sie in
der Natur nur bei Saccharosemangel herstellen, produzieren sie nun pausenlos in großen
Mengen.
Neues Saccharose-Mutase-Gen
Der neue Bakterienstamm ist ohne Probleme im Lebensmittelbereich einsetzbar, denn trotz
der Manipulation am Erbmaterial zählen die Bakterien nicht zu den gentechnisch
veränderten Organismen. Weil ihnen lediglich ein Stück ihrer ursprünglichen
Erbmasse fehlt, gelten sie als unbedenkliche Mangelmutanten.
Zur Zeit sind Mattes und seine Mitarbeiter auf dem Weg, ein
in der Zuckerindustrie noch erfolgreicheres Haustierchen zu entwerfen. Denn die
angestrebten 100 Prozent Ausbeute bei der Isomaltuloseproduktion sind allein durch das
Entfernen der Gene noch nicht erreicht. Als nächster Kandidat für Verbesserungen ist das
Enzym Saccharose-Mutase selbst an der Reihe. Das natürliche Enzym macht beim Umbau des
Rohrzuckers gelegentlich Fehler, die die Ausbeute senken. Die Genetiker suchen jetzt nach
den Bereichen im Gen, in denen die Information für die fehlerhafte Saccharose-Umsetzung
liegt. Wenn ihnen das gelingt, wollen sie im Laufe der nächsten Jahre ins Erbmaterial von
Protaminobacter rubrum eingreifen und ein neues Saccharose-Mutase-Gen herstellen, mit dem
keine Nebenprodukte mehr entstehen.
Sollten die maßgeschneiderten Bakterien dann zur Kategorie
der gentechnisch veränderten Organismen zählen, müssen sie umfangreiche Tests
durchlaufen, bevor man sie im Lebensmittelbereich einsetzen darf.
/op
KONTAKT
Prof. Dr. Ralf Mattes, Institut für Industrielle Genetik, Allmandring 31, 70569
Stuttgart; Tel. 0711/685-6971, -6972; Fax 0711/685-6973
|