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Stuttgarter unikurier Nr. 75/76 September 1997
Prototyp eines intelligenten Navigationssystems:
Autopilot für Wasserstraßen
 

Wie von Geisterhand gesteuert tuckert die „Friedrich List“ auf dem Neckar. Im Steuerhaus sitzt Kapitän Computer. Auf dem universitätseigenen ehemaligen Zollboot wird präsentiert, was Wissenschaftler der Universität Stuttgart entwickelt haben: ein intelligentes und hochgenaues Navigationssystem, das künftig auch auf anderen Binnenschiffen zum Einsatz kommen wird.

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Was ursprünglich dazu gedacht war, Studieninhalte anschaulich und praxisnah zu vermitteln, wurde am Institut für Systemdynamik und Regelungstechnik der Universität Stuttgart (ISR) unter der Leitung des Institutsdirektors Professor Ernst Dieter Gilles zum Prototyp eines rechnergestützten Navigationssystems für Wasserstraßen entwickelt. Das System wird bereits heute auf dem Markt nachgefragt.

Der „Clou“ des Systems ist eine Kombination von bordeigenem Radar, GPS-Satelliten-Navigation und elektronischer Karte. Ein leistungsstarker Rechner verarbeitet diese Informationen verschiedenartiger Sensoren und setzt sie um in eine elektronische Steuerung des Schiffes auf einer Ideallinie.

Basisinformationen erhält das System von einer elektronischen Karte der Wasserstraße. Das sind einmal sichtbare Konturen wie der Flußverlauf, aber auch Fahrrinnenbegrenzungen und Leitlinien für die Berg- und Talfahrt. Tiefenprofile quer zur Wasserstraße sowie lokale Strömungsgeschwindigkeiten des Gewässers sind ebenfalls elektronisch gespeichert.

 

Schiff ohne Steuermann
Aktuelle Daten liefert erstens das bordeigene Radar, das vom Navigationssystem in Verbindung mit der elektronischen Karte für Zwecke der Positionsbestimmung und zur Erfassung der Verkehrssituation ausgewertet wird. Das System bestimmt die Position des Schiffes durch einen Vergleich der Radarbildkonturen mit der elektronischen Karte. Eine weitere Positionsmessung erfolgt mit dem Differential Global Positioning System GPS, einem Hochleistungs-Satelliten-Navigationssystem, dessen Genauigkeit besser als drei Meter ist.

Die Kombination aller drei Faktoren im Rechner läßt das Schiff ohne Steuermann navigieren. Der Kapitän hat lediglich überwachende Funktion.

Das Projekt wurde in der Entwicklungsphase über mehrere Jahre hinweg von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert. Angesiedelt war es im Sonderforschungsbereich „Hochgenaue Navigation“.

Professor Gilles hat den Prototyp dieses integrierten Navigationssystems bereits auf dem Rhein und, in Zusammenarbeit mit dem Wasser- und Schiffahrtsamt Stuttgart, auf dem Neckar erfolgreich getestet. Nun steht ein erster großer Einsatz auf drei Rheinschiffen bevor, einem Motorgüterschiff, einem Tanker und einem 180 Meter langen Schubverband. Das System ist in der Lage, sich durch die Auswertung weiterer Daten automatisch an unterschiedliche Schiffe und Beladungszustände anzupassen.

Der kommerzielle Einsatz wird sich nicht nur auf den Bereich der automatischen Navigation beschränken. Weitere Verwendung findet das System bei der Vermessung von Wasserstraßen und der Erstellung von elektronischen Flußkarten. Demnächst wird es auf dem rumänischen Teil der Donau zum Einsatz kommen. Rund 1.100 Kilometer Fluß sollen elektronisch vermessen und kartiert werden.

Zwei Mitarbeiter aus dem fünfköpfigen Forscherteam um Professor Gilles arbeiten an der Vermarktung des integrierten Navigationssystems und werden eigens dafür ein Unternehmen gründen. Man rechnet damit, daß es auf einigen tausend Binnenschiffen auf Rhein, Main und Donau eingesetzt werden kann. Die Kosten für die Installierung werden auf 30 - 50.000 DM geschätzt.

In der Erprobungsphase hat sich herausgestellt, daß die Sicherheit des Verkehrs auf Wasserstraßen mit Hilfe dieses Navigationssystems wesentlich verbessert werden kann. Der Kapitän wird von ermüdenden Routinearbeiten entlastet. Vor allem bei Nacht und Nebel und beim Transport gefährlicher Güter zeigt sich die Überlegenheit des Systems gegenüber der herkömmlichen Fahrweise.

Professor Gilles resümiert deshalb auch, daß dieses von ihm entwickelte Navigationssystem die Sicherheit, Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit der Wasserstraßen wie auch den Aktionsradius der Schiffe auf diesem umweltfreundlichen Verkehrssystem wesentlich erhöhen könne.      /ck

 

KONTAKT
Prof. Dr.-Ing. Dr.h.c.mult. E.D. Gilles, Universität Stuttgart, Institut für Systemdynamik und Regelungstechnik, Pfaffenwaldring 9, 70550 Stuttgart;
Tel. 0711/685-6302; Fax 0711/685-6371

 


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Pressestelle der Universität Stuttgart 1998