Die Schwierigkeiten, eine gemeinsame Heimat für die Geodäsie zu finden,
schilderte Rektor Prof. Dr.-Ing. Günter Pritschow. Nachdem der Plan für einen Neubau auf
dem Vaihinger Campus aufgrund finanzieller Probleme in sehr weite Ferne gerückt war, habe
sich mit der Anmietung des Siemens-Gebäudes die Möglichkeit eröffnet, alle vier
Institute in der Stadtmitte zu arrondieren. Der Rektor wies auch auf die Namensänderung
des bisherigen Studiengangs Vermessungswesen hin, der durch einen einstimmigen
Senatsbeschluß kürzlich in Geodäsie und Geoinformatik umbenannt wurde. Der
neue Name soll nach außen transparenter machen, welch interessante Tätigkeitsfelder sich
hinter dem traditionellen Begriff des Vermessungswesens verbergen.
Die Entwicklung in der amtlichen Vermessung in den letzten 30
Jahren skizzierte Alfred Hils, öffentlich bestellter Vermessungsingenieur und Chef eines
Büros mit 85 Mitarbeitern; er warb eindrücklich - besonders unter dem Druck anstehender
Stellenstreichungen gerade im öffentlichen Dienst - für eine Öffnung des traditionellen
Vermessungswesens für neue Aufgabengebiete. Diese sieht er speziell in der Geoinformatik,
d.h. der Erfassung, Speicherung, Verwaltung und Analyse raumbezogener Daten. Gerade mit
der wachsenden Verfügbarkeit digitaler Daten werden die möglichen Anwendungsgebiete von
Basisinformationssysteme bis zu Netz-, Umwelt- oder Gebäudeinformationssystemen immer
vielfältiger. Er forderte zudem eine marktwirtschaftliche Verteilung der Aufgaben auf
öffentlichen Dienst und Privatwirtschaft.
Wie eine solche Öffnung aussehen kann, verdeutlichte Prof.
Manfred Hintzsche, Direktor des Stadtmessungsamts. Seine Behörde versteht sich als
Servicestelle für Geoinformationen. Um diese Funktion auch für die breite
Öffentlichkeit zu erfüllen, muß zunächst informiert werden, welche Art von Daten
überhaupt angeboten werden. Diese reichen von der digitalen Stadtgrundkarte, über
Klimakarten bis hin zu 3D-Stadtmodellen. Ein transparenter Vertriebsweg soll das Angebot
verdeutlichen und die Zugänglichkeit der Daten erleichtern.
Rolle der Satellitentechnologie
Die vielfältigen Möglichkeiten zur Erfassung von Klimadaten beschrieb Prof. Christoph
Reigber vom Geoforschungszentrum Potsdam zunächst in seinem Vortrag Geodäsie und
Klima. Hier spielt die Satellitentechnologie eine herausragende Rolle: eine Vielzahl
an Sensoren befindet sich im All; jeder ist speziell auf die Erfassung bestimmter Effekte
ausgelegt. Diese erlauben dann, im Zusammenspiel mit vorgegebenen physikalischen und
mathematischen Modellen, beispielsweise die Struktur der verschiedenen
Atmosphärenschichten zu erfassen, Grundwasser zu detektieren oder auch
Klimaveränderungen aufgrund Kontinentaldrift oder Gebirgsbildung zu messen.
Prof. Erik Grafarend, Studiendekan der Geodäsie und Direktor
des Geodätischen Instituts, gab einen Überblick über die Forschungsaktivitäten der
vier Institute. Hier wurde besonders deutlich, weshalb eine Umbenennung des Studiengangs
sehr naheliegend, wenn nicht gar überfällig war. Das traditionelle Berufsbild des
Vermessungsingenieurs wurde durch die rasanten Entwicklungen in den erdgebundenen und
satellitengetragenen Informations- und Kommunikationstechnologien grundlegend erweitert.
Heutzutage gehört zum Studium des Vermessungswesens selbstverständlich der Umgang mit
dem Computer - etwa die Nutzung verschiedenster Softwaresysteme zur Informationsgewinnung,
Speicherung und Verarbeitung. Einen weitaus größeren Teil nimmt die eigenständige
Softwareentwicklung ein, d.h. eine Erweiterung der Möglichkeiten, welche die heute
gängigen Computerprogramme anbieten. Wenn es etwa um die automatische Interpretation
digitaler Bilder geht, so gilt es, den Computer sehen zu lehren. Im Bereich
der Steuerung von Baumaschinen werden weitestgehend autonom arbeitende Systeme entwickelt
und erprobt. Durch Entwicklungen in der Sensortechnik entstehen grundlegend neue Systeme,
wie beispielsweise ein Distanzmeßgerät, das gleichzeitig die Entfernung und die Farbe
des Objektes erfaßt. Aber auch traditionelle Aufgaben wie die Bestimmung der Erdfigur
oder die Kartographie wurden durch die neuen Technologien revolutioniert und in ihrem
Spektrum grundlegend erweitert.
Zur Zeit sind etwa 200 Studierende in diesem Studiengang
eingeschrieben. Daneben bieten die vier Institute auch Vorlesungen und
Vertiefungsrichtungen für Bauingenieure, Architekten, Geographen und Informatiker an.
Einen musikalischen Leckerbissen kündigte Prof. Grafarend
zum Abschluß des Kolloquiums an: er hatte Prof. Pritschow dafür gewinnen können, mit
sechs weiteren Musikern eine kleine Jazz-Session aufzuführen.
M. Sester
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