Das Ministerium benutzt in seiner Rhetorik und auch wieder in dem Merkblatt
den Begriff Langzeitstudiengebühr für die eingeführten Studiengebühren.
Dieser Begriff stimmt mit den Regelungen im Gesetz nicht überein. Es handelt sich bei den
jetzt eingeführten Gebühren dem Gesetzestext nach um allgemeine Studiengebühren, die
alle Studierenden zahlen müssen - in Form von Gutscheinen oder aber ab dem 14. Semester
in bar.
Mangel an Einblick
Als hochschul- und ordnungspolitische Zielsetzung des Gesetzes schreibt das
Ministerium, daß dem Studierenden angesichts der hohen Aufwendungen der
Gesellschaft für Studium und Lehre das Bewußtsein [...] gestärkt werden soll, das
Studium zügig und effektiv zu absolvieren. Dieses Bewußtsein ist angesichts der
hohen Kosten des Studiums (jährlich wenigstens DM 15.000,- allein für den
Lebensunterhalt), der erdrückenden Einstellungsanforderungen für Absolventen und dem
eigenen hohen Anspruch an das Studium, das viele von uns haben, auch ohne diese
Studiengebühr schon ausreichend vorhanden. - Aus der Formulierung des
Ministeriums spricht der Mangel an Einblick in die Situation an den Hochschulen. Das
Unverständnis der Verantwortlichen, das daraus entsteht, erklärt teilweise die
Hochschulpolitik der vergangenen Jahre, ebenso wie der politisch aufgebaute, sachlich aber
inzwischen widerlegte Zusammenhang zwischen Studiendauer, Belegung von Ressourcen und
damit Studienkosten. Denn Langzeitstudierende besuchen ja nicht mehr Praktika
und Seminare als Studierende in der Regelstudienzeit, sie verteilen ihr
Studium lediglich auf mehr Semester. Die Länge des Studiums ist also nicht das Maß für
die Höhe der Aufwendungen der Gesellschaft zugunsten von Studium und Lehre, aber eine
geschickte (Not-) Lüge zur Begründung von allgemeinen Studiengebühren.
Die Verfechter von Studiengebühren versuchen oft, mit den
durch den Studienausweise möglichen Vergünstigungen zu argumentieren. Dies ist für den
großen Teil dieser Vergünstigungen aber nicht zulässig. Beispielsweise werden
ermäßigte Zeitungsabonnements oder kostenlose Kontoführung als Kundenwerbung gewährt,
belasten also nicht im eigentlichen Sinne die Gesellschaft, sondern sind ein Mittel
unseres Wirtschaftssystems. Rundfunkgebühren und Telefongrundgebühren werden einigen
Studierenden nicht aufgrund des Studierendenstatus erlassen bzw. ermäßigt, sondern weil
sie zu wenig Geld zur Verfügung haben. Kranken- und Rentenversicherung müssen von
Studierenden in gleicher Höhe gezahlt werden wie von Arbeitnehmern, sobald sie mit ihrem
Verdienst über die allgemeingültige Grenze kommen oder sie älter als 26 Jahre sind. Die
sogenannten Langzeitstudierenden haben diese Grenze überschritten.
Diese Vergünstigungen rechnen die Aufwendungen und den
persönlichen Einsatz der Studierenden in keiner Weise auf. Viele Studierende müssen,
verglichen mit ihren Altersgenossen, die nach der Schule kein Studium aufgenommen haben,
mit sehr viel weniger Geld auskommen. Daraus ergibt sich für die Universitäten und die
Gesellschaft die Aufgabe, den Studierenden ein schnelles und gutes Studium zu
ermöglichen.
Bildung wird unzureichend finanziert
Dafür sind gute Studienbedingungen notwendig. Die Betreuung in den Instituten müßte gut
sein, die Bibliotheken müßten ausreichend und aktuell ausgestattet sein und kein
Studierender/keine Studierende sollte zur Finanzierung seines/ihres Berufes
StudentIn arbeiten müssen. Dann könnte das Studium dem Anspruch des
Studierenden gerecht werden, die Hochschulen würden das leisten, was ihre Aufgabe ist,
und auch die Gesellschaft würde für ihre Aufwendungen etwas zurückbekommen, was
dauerhaften Wert hat. Eine solche Hochschule würde etwas kosten, aber zu teuer wäre sie
nicht. Das Problem liegt nicht bei denen, die etwas länger studieren, sondern bei denen,
die die Hochschulen (und Bildung allgemein) unzureichend finanzieren.
Dazu einige Bespiele:
Die Kürzungen der vergangenen Jahre haben ein Maß erreicht, das von allen Seiten als
Desaster bezeichnet wird. Es wurden und werden aufgrund von Kürzungen viele
Tutorien gestrichen, die Ausstattung der Bibliotheken veraltet und die Kontinuität der
Archive wird unwiederbringlich unterbrochen. Viele Stellen gehen den Universitäten (in
Stuttgart sind es ca. 60) durch das Auslaufen diverser Sonderprogramme (beispielsweise das
Programm zur Sicherung einer ausreichenden Grundausstattung - HSP I) verloren. Des
weiteren müssen im Rahmen des sogenannten Solidarpaktes 265 Stellen (das sind
10 Prozent aller Haushaltsstellen) gestrichen werden. Dies wird eine Verschärfung der
Studiensituation zur Folge haben. Damit wird Deutschland als rohstoffarmes
Land im internationalen Vergleich noch weiter zurückfallen.
Die Freibeträge für das BAföG wurden in den vergangenen
Jahren nicht der Lohnentwicklung angepaßt. Während die Lebenshaltungskosten zwischen
1971 und 1993 um 125 Prozent stiegen, wurde der BAföG-Höchstsatz nur um 89,3 Prozent
erhöht. Auch werden immer weniger Studierende für ihre Ausbildung gefördert. Das
bedeutet, daß immer mehr Studierende gezwungen sind, ihren Lebensunterhalt neben ihrem
Studium selbst zu verdienen, was dieses natürlich verlängert. Wenn zusätzlich noch
Studiengebühren bezahlt werden müssen, wirkt dies sicher nicht studienzeitverkürzend.
Die Studentenwerke mußten schon in den vergangenen Jahren
große Streichungen in ihren Etats hinnehmen, dieses Jahr aber werden sie noch einmal
besonders hoch sein. Allein die Zuschüsse für das Mensaessen werden voraussichtlich von
4,50 DM auf 3,75 DM zusammengestrichen.
Zu den finanziellen Schwierigkeiten kommt auch noch die
lähmende Abhängigkeit der Hochschulen vom Ministerium. Beispielsweise können durchaus
zweieinhalb Jahre vergehen, bis das Ministerium eine vorgelegte Prüfungsordnung
genehmigt.
Die Grafik links zeigt staatliche Ausgaben für die
Hochschulen pro StudentIn in US $, die Grafik rechts staatliche Bildungsausgaben in
Relation zum BIP (in Prozent).
Quelle: Organization for Economic Cooperation and
Development (OECD), Education at a Glance, 1995/ Bildungsstatistik in den OECD-Ländern.
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Vor diesem Hintergrund verkommt der Appell des Ministeriums
an die Hochschulen, alles zu tun, um einen zügigen und strukturierten Studienablauf
[...] zu gewährleisten (Merkblatt zum Bildungsguthabenmodell), zur Farce. Die
Einführung von Studiendekanen und Studienkommissionen, die diesen zügigen und
strukturierten Studienablauf gewährleisten sollen, haben an den Hochschulen keinerlei
Bedeutung.
Keine Rücksicht auf besondere Lebenslagen
Im Zusammenhang mit den nun eingeführten Studiengebühren haben die sich
verschlechternden Studienbedingungen für einzelne von uns existenzbedrohende Folgen. Die
Behauptung des Ministeriums, das Landeshochschulgebührengesetz nehme durch
Gebührenbefreiung und Bildungsguthabenerhöhung auf besondere Lebenslagen oder
Situationen Rücksicht, zeugt vom Unverständnis der Verantwortlichen über die Vielfalt
im Lebensraum Hochschule.- Was ist mit Studierenden, die wegen einer Behinderung oder
Krankheit am schnellen Studieren gehindert sind?- Was ist mit denen, die neben ihrem
Studium ihren Lebensunterhalt verdienen müssen?- Was mit denen, die ihr Leben, ihr
Studium einfach anders organisieren wollen?- Warum müssen Studierende zahlen, die, um ihr
Berufsziel zu erreichen (z.B. Lehramt) mehrere Fächer gleichzeitig studieren müssen und
damit länger brauchen?
Wir stellen fest, daß die Begründung für die Einführung
von Studiengebühren, die länger Studierende mit Geld begleichen müssen,
falsch ist und stark am eigentlichen Problem vorbei geht. Weiter halten wir fest, daß die
ordnungspolitische Zielsetzung das Bewußtsein der Studierenden zu stärken,
das Studium zügig und effektiv zu absolvieren keiner weiterer finanziellen
Zwangs-mittel bedarf. Die Annahme der Notwendigkeit eines solchen Instrumentes zeugt von
Unkenntnis und Unverständnis der Situation der Studierenden. - Die Effektivität des
Studiums kann durch bessere Betreuung und bessere Studienbedingungen erhöht werden. Die
momentane Hochschulpolitik fördert dies nicht.
Bei weiteren Fragen zu diesem Thema steht Ihnen das
Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst zur Verfügung: Königstr. 46, 70173
Stuttgart.
Natürlich können Sie sich mit Ihren Fragen, auch zu anderen
Themen, an die Fachschaften und die uniweite Studierendenvertretung, die FaVeVe, wenden.
Arbeitskreis Hochschulpolitik der
unabhängigen Studierenden-
vertretung FaVeVe
(FachschaftsVertreterInnen
Versammlung)
KONTAKT
Stadtmitte: Zentrales Fachschafts Büro "ZFB", Keplerstr. 17, K II (2.
Stock), Vaihingen: Vaihinger Fachschafts Büro Hellblaues Nilpferd,
Pfaffenwaldring 57, 70550 Stuttgart; Tel. 0711 / 685-2004
e-mail: info@faveve.uni-stuttgart.de
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