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Stuttgarter unikurier Nr. 75/76 September 1997
Studiengebühren:
Schlechtere Bedingungen in Sicht
 

Am 24. April wurden in Baden-Württemberg allgemeine Studiengebühren eingeführt. Die Diskussion darüber ist geprägt von Vorurteilen gegenüber Studierenden und von Argumenten, die aus fehlendem Einblick in den Alltag der Studierenden resultieren. Viele dieser Argumente finden sich auch wieder in einem Merkblatt, das das Wissenschaftsministerium erstellt hat und über die Hochschulen an die Studierenden versenden läßt. Durch die inhaltlich falsche Darstellung werden viele Studierende diffamiert. Wir als Studierendenvertretung möchten daher Stellung nehmen zu Studiengebühren im allgemeinen und zum aktuellen Merkblatt des Ministeriums im besonderen.

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Das Ministerium benutzt in seiner Rhetorik und auch wieder in dem Merkblatt den Begriff „Langzeitstudiengebühr“ für die eingeführten Studiengebühren. Dieser Begriff stimmt mit den Regelungen im Gesetz nicht überein. Es handelt sich bei den jetzt eingeführten Gebühren dem Gesetzestext nach um allgemeine Studiengebühren, die alle Studierenden zahlen müssen - in Form von Gutscheinen oder aber ab dem 14. Semester in bar.

 

Mangel an Einblick
Als „hochschul- und ordnungspolitische Zielsetzung des Gesetzes“ schreibt das Ministerium, daß dem Studierenden „angesichts der hohen Aufwendungen der Gesellschaft für Studium und Lehre das Bewußtsein [...] gestärkt werden soll, das Studium zügig und effektiv zu absolvieren.“ Dieses Bewußtsein ist angesichts der hohen Kosten des Studiums (jährlich wenigstens DM 15.000,- allein für den Lebensunterhalt), der erdrückenden Einstellungsanforderungen für Absolventen und dem eigenen hohen Anspruch an das Studium, das viele von uns haben, auch ohne diese „Studiengebühr“ schon ausreichend vorhanden. - Aus der Formulierung des Ministeriums spricht der Mangel an Einblick in die Situation an den Hochschulen. Das Unverständnis der Verantwortlichen, das daraus entsteht, erklärt teilweise die Hochschulpolitik der vergangenen Jahre, ebenso wie der politisch aufgebaute, sachlich aber inzwischen widerlegte Zusammenhang zwischen Studiendauer, Belegung von Ressourcen und damit Studienkosten. Denn „Langzeitstudierende“ besuchen ja nicht mehr Praktika und Seminare als Studierende in der „Regelstudienzeit“, sie verteilen ihr Studium lediglich auf mehr Semester. Die Länge des Studiums ist also nicht das Maß für die Höhe der Aufwendungen der Gesellschaft zugunsten von Studium und Lehre, aber eine geschickte (Not-) Lüge zur Begründung von allgemeinen Studiengebühren.

Die Verfechter von Studiengebühren versuchen oft, mit den durch den Studienausweise möglichen Vergünstigungen zu argumentieren. Dies ist für den großen Teil dieser Vergünstigungen aber nicht zulässig. Beispielsweise werden ermäßigte Zeitungsabonnements oder kostenlose Kontoführung als Kundenwerbung gewährt, belasten also nicht im eigentlichen Sinne die Gesellschaft, sondern sind ein Mittel unseres Wirtschaftssystems. Rundfunkgebühren und Telefongrundgebühren werden einigen Studierenden nicht aufgrund des Studierendenstatus erlassen bzw. ermäßigt, sondern weil sie zu wenig Geld zur Verfügung haben. Kranken- und Rentenversicherung müssen von Studierenden in gleicher Höhe gezahlt werden wie von Arbeitnehmern, sobald sie mit ihrem Verdienst über die allgemeingültige Grenze kommen oder sie älter als 26 Jahre sind. Die sogenannten „Langzeitstudierenden“ haben diese Grenze überschritten.

Diese Vergünstigungen rechnen die Aufwendungen und den persönlichen Einsatz der Studierenden in keiner Weise auf. Viele Studierende müssen, verglichen mit ihren Altersgenossen, die nach der Schule kein Studium aufgenommen haben, mit sehr viel weniger Geld auskommen. Daraus ergibt sich für die Universitäten und die Gesellschaft die Aufgabe, den Studierenden ein schnelles und gutes Studium zu ermöglichen.

 

Bildung wird unzureichend finanziert
Dafür sind gute Studienbedingungen notwendig. Die Betreuung in den Instituten müßte gut sein, die Bibliotheken müßten ausreichend und aktuell ausgestattet sein und kein Studierender/keine Studierende sollte zur Finanzierung seines/ihres Berufes „StudentIn“ arbeiten müssen. Dann könnte das Studium dem Anspruch des Studierenden gerecht werden, die Hochschulen würden das leisten, was ihre Aufgabe ist, und auch die Gesellschaft würde für ihre Aufwendungen etwas zurückbekommen, was dauerhaften Wert hat. Eine solche Hochschule würde etwas kosten, aber zu teuer wäre sie nicht. Das Problem liegt nicht bei denen, die etwas länger studieren, sondern bei denen, die die Hochschulen (und Bildung allgemein) unzureichend finanzieren.

Dazu einige Bespiele:
Die Kürzungen der vergangenen Jahre haben ein Maß erreicht, das von allen Seiten als „Desaster“ bezeichnet wird. Es wurden und werden aufgrund von Kürzungen viele Tutorien gestrichen, die Ausstattung der Bibliotheken veraltet und die Kontinuität der Archive wird unwiederbringlich unterbrochen. Viele Stellen gehen den Universitäten (in Stuttgart sind es ca. 60) durch das Auslaufen diverser Sonderprogramme (beispielsweise das Programm zur Sicherung einer ausreichenden Grundausstattung - HSP I) verloren. Des weiteren müssen im Rahmen des sogenannten „Solidarpaktes“ 265 Stellen (das sind 10 Prozent aller Haushaltsstellen) gestrichen werden. Dies wird eine Verschärfung der Studiensituation zur Folge haben. Damit wird Deutschland als „rohstoffarmes“ Land im internationalen Vergleich noch weiter zurückfallen.

Die Freibeträge für das BAföG wurden in den vergangenen Jahren nicht der Lohnentwicklung angepaßt. Während die Lebenshaltungskosten zwischen 1971 und 1993 um 125 Prozent stiegen, wurde der BAföG-Höchstsatz nur um 89,3 Prozent erhöht. Auch werden immer weniger Studierende für ihre Ausbildung gefördert. Das bedeutet, daß immer mehr Studierende gezwungen sind, ihren Lebensunterhalt neben ihrem Studium selbst zu verdienen, was dieses natürlich verlängert. Wenn zusätzlich noch Studiengebühren bezahlt werden müssen, wirkt dies sicher nicht studienzeitverkürzend.

Die Studentenwerke mußten schon in den vergangenen Jahren große Streichungen in ihren Etats hinnehmen, dieses Jahr aber werden sie noch einmal besonders hoch sein. Allein die Zuschüsse für das Mensaessen werden voraussichtlich von 4,50 DM auf 3,75 DM zusammengestrichen.

Zu den finanziellen Schwierigkeiten kommt auch noch die lähmende Abhängigkeit der Hochschulen vom Ministerium. Beispielsweise können durchaus zweieinhalb Jahre vergehen, bis das Ministerium eine vorgelegte Prüfungsordnung genehmigt.

 

 

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Die Grafik links zeigt staatliche Ausgaben für die Hochschulen pro StudentIn in US $, die Grafik rechts staatliche Bildungsausgaben in Relation zum BIP (in Prozent).

Quelle: Organization for Economic Cooperation and Development (OECD), Education at a Glance, 1995/ Bildungsstatistik in den OECD-Ländern.

 

 

Vor diesem Hintergrund verkommt der Appell des Ministeriums an die Hochschulen, „alles zu tun, um einen zügigen und strukturierten Studienablauf [...] zu gewährleisten“ (Merkblatt zum Bildungsguthabenmodell), zur Farce. Die Einführung von Studiendekanen und Studienkommissionen, die diesen zügigen und strukturierten Studienablauf gewährleisten sollen, haben an den Hochschulen keinerlei Bedeutung.

 

Keine Rücksicht auf besondere Lebenslagen
Im Zusammenhang mit den nun eingeführten Studiengebühren haben die sich verschlechternden Studienbedingungen für einzelne von uns existenzbedrohende Folgen. Die Behauptung des Ministeriums, das Landeshochschulgebührengesetz nehme durch Gebührenbefreiung und Bildungsguthabenerhöhung auf besondere Lebenslagen oder Situationen Rücksicht, zeugt vom Unverständnis der Verantwortlichen über die Vielfalt im Lebensraum Hochschule.- Was ist mit Studierenden, die wegen einer Behinderung oder Krankheit am schnellen Studieren gehindert sind?- Was ist mit denen, die neben ihrem Studium ihren Lebensunterhalt verdienen müssen?- Was mit denen, die ihr Leben, ihr Studium einfach anders organisieren wollen?- Warum müssen Studierende zahlen, die, um ihr Berufsziel zu erreichen (z.B. Lehramt) mehrere Fächer gleichzeitig studieren müssen und damit länger brauchen?

Wir stellen fest, daß die Begründung für die Einführung von Studiengebühren, die „länger Studierende“ mit Geld begleichen müssen, falsch ist und stark am eigentlichen Problem vorbei geht. Weiter halten wir fest, daß die ordnungspolitische Zielsetzung „das Bewußtsein der Studierenden“ zu stärken, „das Studium zügig und effektiv zu absolvieren“ keiner weiterer finanziellen Zwangs-mittel bedarf. Die Annahme der Notwendigkeit eines solchen Instrumentes zeugt von Unkenntnis und Unverständnis der Situation der Studierenden. - Die Effektivität des Studiums kann durch bessere Betreuung und bessere Studienbedingungen erhöht werden. Die momentane Hochschulpolitik fördert dies nicht.

Bei weiteren Fragen zu diesem Thema steht Ihnen das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst zur Verfügung: Königstr. 46, 70173 Stuttgart.

Natürlich können Sie sich mit Ihren Fragen, auch zu anderen Themen, an die Fachschaften und die uniweite Studierendenvertretung, die FaVeVe, wenden.

Arbeitskreis Hochschulpolitik der
unabhängigen Studierenden-
vertretung FaVeVe
(FachschaftsVertreterInnen
Versammlung)

 

KONTAKT
Stadtmitte: Zentrales Fachschafts Büro "ZFB", Keplerstr. 17, K II (2. Stock), Vaihingen: Vaihinger Fachschafts Büro „Hellblaues Nilpferd“, Pfaffenwaldring 57, 70550 Stuttgart; Tel. 0711 / 685-2004
e-mail: info@faveve.uni-stuttgart.de

 


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